Erkan Dinar ist Direktkandidat der Linken

Ein Arbeiter im Blaumann für den Bundestag

18.9.2021, 07:27 Uhr
Ein Arbeiter im Blaumann für den Bundestag

© Jan Stephan, NN

Der 40-Jährige wirkt gelassen. Mehr in sich ruhend, als das in seiner aktiven Zeit als Stadt- und Kreisrat in Weißenburg mitunter der Fall war, als er unermüdlich Politik machte. Kleine im Stadtparlament, wo er kommunale Fahrradkonzepte forderte, als das noch nicht jeder tat. Und sehr große, indem er mit seinen Mitstreitern Kundgebungen in Weißenburg zu den verschiedensten Bedauerlichkeiten rund um den Erdball organisierte.

Nebenbei machte er sich im Landesverband der Linken einen Namen, saß zwischenzeitlich im Vorstand und verfehlte bei der letzten Bundestagswahl nur haarscharf einem Einzug in den Bundestag über die Landesliste. Er war auf Platz sechs, fünf bayerische Linken-Abgeordneten erhielten ein Ticket nach Berlin.

"Ich habe Politik nie als Hobby verstanden, Politik war mein Leben", stellt Dinar fest. Wer ihn in den vergangenen zwei Jahrzehnten beobachtet hat, weiß, dass das die nüchterne Wahrheit ist. Und vielleicht auch Teil des ein oder anderen Problems, das sich der Weißenburger in steter Verlässlichkeit einhandelte.

Der Rückzug war nur von kurzer Dauer

Bei der Kommunalwahl 2020 trat er in Weißenburg nicht mehr an und verkündete seinen Rückzug. Er verlegte seinen Lebensmittelpunkt ins Nürnberger Land. Eine Konstante des Weißenburger Politikbetriebs war damit von der Bildfläche verschwunden.

Bis er im Oktober 2020 überraschend in einer Sitzung des Linken-Kreisverbands Ansbach-Weißenburg-Gunzenhausen wieder auftauchte und zum Direktkandidaten für die Bundestagswahl gewählt wurde. Das sorgte für Aufsehen, nicht zuletzt, weil der Weißenburger Stadtrat Victor Rother und Kreisrat Felix Goldhorn daraufhin ihre Ämter niederlegten.

Auch dazu ein Schulterzucken Dinars. Er bedaure diese Reaktion, aber es war nicht seine Entscheidungen, soll das wohl heißen. Was soll er also dazu groß sagen?

Viel lieber, will der 40-Jährige über seine politischen Schwerpunkte reden, mit denen er in die Bundestagswahl zieht. Erkan Dinar verkörpert die alte Linkspartei, wie er selbst sagt. "Mir geht es um Sozial- und Wirtschaftspolitik, um soziale Gerechtigkeit, um klassische linke Kernthemen." Er fordert einen hohen Mindestlohn, niedrige Mieten, Steuererleichterungen und ein Ende von Hartz IV. "Wir dürfen aber nicht nur sagen, was wir wollen, sondern auch, wie wir es finanzieren." Aus seiner Sicht aber kein großes Problem. Dinar: "Es gibt etwas, von dem es in diesem Land wirklich genug gibt. Und das ist Geld."

Rentenniveau wie in Österreich

Das sehe man, wenn im Zuge der Bankenkrise oder nun von Corona binnen weniger Tage Milliardenbeschlüsse erlassen würden. Dieses Geld müsste endlich auch dafür eingesetzt werden, ein höheres Rentenniveau und einen früheren Renteneintritt zu finanzieren. "Wir fordern 53 Prozent als Rentenniveau, aber das Ziel müssten eigentlich 80 Prozent sein, wie das in Österreich der Fall ist", so Dinar.

Innerhalb der Linken sieht er sich damit als Vertreter der Arbeiter und Geringverdiener. "Als Leiharbeiter arbeite ich jetzt mit denen zusammen, für die ich jahrelang Politik gemacht habe." Drei Jahre war er als Keramikbrenner in einer Fabrik, jetzt arbeitet er in der Galvanisierung in einem Betrieb. "Der Stundenlohn liegt bei 13 Euro." Mit Nacht- und Sonntagsschichten könne man aber ordentlich verdienen.

Dinar sieht sich mit seinem Politikverständnis innerhalb der Linken im Lager von Sara Wagenknecht, die er sehr schätzt. "Ich glaube, dass wir mit einer Spitzen- oder sogar Kanzllerkandidatin Wagenknecht um 15 Prozent liegen würden. Aber gut, die Parteiführung hat anders entschieden ..." Derzeit liegt die Linke bei etwa sieben Prozent und schaut nervös nach unten auf die Fünf-Prozent-Hürde.

Die Linkspartei hat sich verändert

Die Linkspartei habe sich in den vergangenen Jahren verändert, stellt Dinar fest. Es seien weniger Gewerkschafter und Industriearbeiter vertreten, dafür mehr Akademiker und soziale Berufe. Das sei grundsätzlich nicht schlecht, aber damit einher gehe aus seiner Sicht auch eine problematische Verschiebung der Inhalte. "Wir müssen sehen, dass die Menschen mehr in der Tasche haben, davon profitieren alle, auch die Minderheiten." Die Identitätspolitik, die auch bei den Linken zunehmend stärker betont wird, betrachtet er als gegenüber der Wirtschaftspolitik nachrangiges Feld.

Die Linkspartei sei aber weiter die Partei, mit er sich am meisten identifizieren können. Der Mann, der in Weißenburg die PDS mitgegründet hat, und über Jahrzehnte hinweg den Kreisverband der Linken in Ansbach und Weißenburg-Gunzenhausen aufgebaut hat, droht derzeit allerdings der Rauswurf aus der eigenen Partei. Zusammen mit sechs anderen Nürnbergern, die bei den Kommunalwahlen 2020 für den Stadtrat in der Norisstadt auf der Linken Liste kandidiert hatten und nicht auf der Liste der Linkspartei.

Das Landesschiedsgericht hat dem Antrag auf Ausschluss seitens des Nürnberger Kreisverbands Recht gegeben (wir berichteten). Dinar kann aber noch Widerspruch einlegen und vor das Bundesschiedsgericht gehen. "Man muss sehen, was passiert", sagt er dazu knapp. Mit seiner Kandidatur für den Bundestag hat all das nichts zu tun, eine Entscheidung wird frühestens im Jahr 2022 erwartet.

Die Wurzeln in Weißenburg

Dass er aus Weißenburg weggegangen sei, habe ihm gut getan, resümiert er im Gespräch. "Da kennt mich keiner, da werde ich nicht überall kritisch beäugt", erzählt er. "Aber ich vermisse Weißenburg schon auch sehr, ich habe hier einfach meine Wurzeln und alte Freunde."

Mal sehen, was die Zukunft bringt. "Natürlich war ich immer ein politischer Mensch", sagt er und lässt vieles Vagen. Erstmal abwarten. Sein kleines Haus in der Weißenburger Innenstadt hat er jedenfalls immer noch und es wartet auf ihn. Jetzt geht es erstmal darum. Stimmen für die Partei zu holen, der er immer noch am nächsten steht.

"Das ist eine Richtungswahl und ich denke schon, dass es einen Linksruck geben könnte." Seine Prognose für den Wahlausgang: die SPD wird stärkste Partei und stellt in einem Rot-Rot-Grün-Bündnis mit Olaf Scholz den Kanzler. "Das wäre spannend und auch für uns als Linkspartei eine Herausforderung. Denn man wird nicht alles durchsetzen können."

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