Sieg beim Race across Italy

Jens Volkersdorfers Solo-Ritt in Süditalien - Ätna inklusive

Bastian Mühling

25.5.2022, 18:23 Uhr
„Landschaftlich eines der schönsten Rennen“: Die Strecke in Süditalien führte den Weißenburger Ultraradsportler Jens Volkersdorfer auch am Meer entlang. 

© Privat, WT „Landschaftlich eines der schönsten Rennen“: Die Strecke in Süditalien führte den Weißenburger Ultraradsportler Jens Volkersdorfer auch am Meer entlang. 

Aber langsam. Was macht Jens Volkersdorfer, 25, nachts mit seinem Fahrrad in italienischen Dörfern? Der Weißenburger Ultraradsportler startete am „Race across Italy“ und hat es in 120:15:10 Stunden, also in gut fünf Tagen, mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 23,3 km/h gewonnen. Es ist der erste Sieg seiner Laufbahn, erwähnt sei aber auch, dass in seiner Kategorie – 2020 Kilometer, ohne Begleitung – am Ende nur drei von sechs Startern im Ziel ankamen. Genau darum geht es im Ultraradsport: ankommen. Die Zeit? Zweitrangig.

2000 Kilometer und 19 000 Höhenmeter

Rund 2000 Kilometer weit und etwa 19 000 Höhenmeter hoch radelte sich Jens Volkersdorfer über fünf Kontrollpunkte (Checkpoints) durch Italien: Von Pescara an der Adria ging es über Matera, Le Castella, Melito di Porto Salvo am Stiefelabsatz entlang. Dann weiter mit der Fähre nach Sizilien, kurz auf den Ätna (ja, den Vulkan) hoch, wieder zurück Richtung Sorrento bei Neapel, am Vesuv vorbei, querfeldein bis nach Vasto San Salvo und schließlich an der Adria entlang zurück nach Pescara. „Landschaftlich eines der schönsten Rennen meiner Karriere“, schwärmt Volkersdorfer. Und die italienischen Straßen? „Schwierig“, sagt er und schmunzelt. Aber das ist zum Teil auch seine Schuld.

Solch idyllische Aussichten konnte Jens Volkersdorfer immer wieder genießen.

Solch idyllische Aussichten konnte Jens Volkersdorfer immer wieder genießen. © Privat, WT

Die Route zwischen den oben erwähnten Kontrollpunkten konnte Volkersdorfer selbst gestalten. Er hat die App Komoot einfach den schnellste Kurs erstellen lassen. „Wenn man sich akribischer vorbereitet hätte, wäre es eine schöne Strecke gewesen.“ So aber musste er mit unerwartetem Schotter und Straßen kämpfen, die man eigentlich gar nicht mit dem Rad befahren kann. „Schlaglochpisten“ nennt Volkersdorfer es. Seinen ersten Platten hat er in der ersten Nacht um zwölf, seinen ersten Sonnenbrand nach zwei Stunden. Also fährt er am zweiten Tag in langer Kleidung. „Ein Sonnenbrand wäre halt der dümmste Grund, um abzubrechen.“

Ohne Team unterwegs

Alles Probleme, für die Jens Volkersdorfer normalerweise ein Team dabeihat. Bisher ist der 25-Jährige jedes seiner Ultrarennen mit einem Begleitbus gefahren. „Da musst du nicht denken, das ist all inclusive“, erzählt er. Diesmal musste er alle Probleme selbst lösen. Immer überlegen, wann er am besten schläft. Und wo. „Ich habe den Schlafplatz immer so ausgewählt, dass ich eine schöne Aussicht habe, wenn ich aufwache“, erklärt er. Diese Taktik hat funktioniert. Es geht aber nicht nur um das Schlafen. Das Team bestimmt alles. Wann er isst. Wann er trinkt. Wo er frühstückt.

Diesmal musste er fünf Tage lang mit seinen drei Taschen am Fahrrad klarkommen, bepackt mit Riegel, Gels, Powerbanks, Schlauch, CO2-Kartusche, Ersatzkleidung, Biwak-Schlafsack, Zahnbürste und -pasta. Zum Reden hat er auch niemanden, deshalb hört er nachts oft Podcasts oder telefoniert mit Freunden oder der Familie. Wo bist du gerade? Ach, auf dem Ätna, kommt dann als Antwort. Auf der Strecke aber ist Volkersdorfer alleine. Und hat niemanden, der ihm sagt, wenn er Schlangenlinien fährt.

Gummibärchen als Retter

Denn klar ist: Jens Volkersdorfer hat das „Race across Italy“ gewonnen, weil er kaum schläft. Fünf Stunden in fünf Tagen, ohne Koffein-Tabletten wäre das nicht möglich. Zum Vergleich: Der Zweitplatzierte hat gut 16 Stunden geschlafen.

Knapp 200 Kilometer vor dem Ziel wird es für Volkersdorfer lebensgefährlich. Nachdem er – wie eingangs geschildert – trotz Warnung der Polizei auf die Schnellstraße geht, fährt er in Schlangenlinien. Die Lastwagen rauschen an ihm vorbei. Es ist halb drei Uhr nachts. Die Augen fallen ihm immer wieder zu. Sekundenschlaf. Er hat nichts mehr zum Trinken. Schlafen kann er auch nicht. Zu kalt. Er holt sich ein paar Gummibärchen aus seiner Tasche. Hält immer wieder an und schafft es irgendwie zum nächsten Ort.

Glücklicher Radsportler: Jens Volkersdorfer hat das „Race across Italy“ gemeistert.

Glücklicher Radsportler: Jens Volkersdorfer hat das „Race across Italy“ gemeistert. © Privat, NN

Als er am Telefon davon erzählt, hat man das Gefühl, dass Volkersdorfer selbst nicht so genau weiß, wie er alleine durch diese Situation gekommen ist. Mit einem Team wäre so etwas nicht passiert. „Mir war das vorher nicht so bewusst, dass es so gefährlich werden könnte.“ Zudem hat er im Hinterkopf, dass auf der kürzeren Distanz ein anderer Fahrer bei einem Verkehrsunfall gestorben ist. Ohne Begleitteam zu fahren, hat er deshalb eher nicht mehr im Plan. Nach seinem Sieg in Italien steht für Volkersdorfer im Juli ein „kürzeres“ Rennen über 750 Kilometer und mit 18 000 Höhenmetern in Frankreich an. Im August nimmt er wie schon 2021 erneut am „Race across Austria“ teil. Dann wieder mit Begleitung.

Kaffee und Pizza gratis

Andererseits hat das Alleine-Fahren auch seine Vorteile: Land und Leute lernte Volkersdorfer auf eine ganz andere Art und Weise kennen. Am Morgen holt er sich meist Kaffee und Cornetto, tagsüber oder abends gerne auch mal eine Pizza. „Das habe ich oft umsonst bekommen, weil die Italiener gesehen haben, wie fertig ich bin“, erzählt er. Probleme hatte er teilweise mit der Sprache, denn in Süditalien komme man mit Englisch nicht besonders weit. Als er am vierten Tag in der Nähe von Pompei einem Autofahrer an einer Kreuzung in die Rücklichter fährt, steigt dieser aus und textet ihn auf Italienisch zu. „Irgendwann hat er gemerkt, dass ich kein Wort verstehe. Hat gelacht und ist weitergefahren. Bye bye“, erzählt Volkersdorfer, der die Italiener als sehr gastfreundlich erlebt hat.

Sah sah der Kurs von Jens Volkersdorfer in Süditalien aus.

Sah sah der Kurs von Jens Volkersdorfer in Süditalien aus. © Privat, NN

So auch kurz nach dem Unfall, als er einen Berg mit 17 Prozent Steigung in Angriff nimmt. Ein vorbeifahrender Autofahrer ruft ihm etwas auf Italienisch zu. Zuerst denkt sich Volkersdorfer nichts, dann dreht er sich doch um. Der Italiener versucht zu erklären und holt seine Mitbewohnerin, die Deutsch spricht, ans Handy. Hier könne er nicht hochfahren, übersetzt die Frau. Also zeigt ihm der Italiener eine Alternativ-Route und fährt vor dem Weißenburger her – auch, um ihn vor Hunden zu beschützen. „In Süditalien hat jeder Hof seinen Hund und die haben mich nachts oft verfolgt“, erzählt Jens Volkersdorfer. Was er dann gemacht habe? „Ich bin einfach schneller gefahren.“

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