Shakespeare war nicht zu groß

14.6.2011, 08:18 Uhr
Shakespeare war nicht zu groß

© Maurer

Die Weißenburger Bühne hat sich an den Altmeister der englischen Literatur gewagt und dabei in vielerlei Hinsicht für einen tollen Theaterabend gesorgt – wenngleich die 280 Besucher der Premiere auch Abstriche in Kauf nehmen mussten. Und damit ist nicht nur gemeint, dass ein lauer Sommerabend locker zehn bis 15 Grad mehr aufs Thermometer bringt.

Die Wahl der Weißenburger Bühne fiel auf den „Sturm“, weil Fränkischer-Sommer-Intendant Werner Riedelbauch der gleichnamigen Oper, die seit über 250 Jahren nicht mehr auf­geführt wurde, zu neuem Glanz verhelfen will. Deren Musik stammt nämlich vom Ansbacher Komponisten John Christopher Smith, was die Verbindung zum Fränkischen Sommer herstellt. Am Freitag, 12. August, ist Premiere im Bergwaldtheater.

Ergänzend dazu hat sich Regisseur Thomas Hausner mit seiner Amateurtheatergruppe des Shaekespearschen Sprechtheaterstücks angenommen. Ein clevere Symbiose, die aber noch eine besseren Vermarktung verdient hätte. Vielleicht funktioniert das ja bei der zweiten Aufführung (am Freitag, 5. August) besser, wenn Sprechtheater und Oper terminlich nah beieinanderliegen.
Shakespeare hat in seinem Spätwerk („Der Sturm“ gilt als sein letztes Theaterstück, wenngleich es auch Hinweise gibt, das er es früher geschrieben hatte und aus Zeitgeistgründen erst 1611 aufführen ließ) alle Geschütze aufgefahren. Es geht um Betrug, Zauberei, Machtgier, Reue, Vergebung und Menschlichkeit.

Mailands früherer König Prospero (Thomas Hausner) lebt mit seiner Tochter Miranda (Franka Fischer) auf einer einsamen Südseeinsel, seit ihn sein Bruder Antonio (Rainer Geier) um den Thron gebracht hat. Als Antonio und Alonso, der König von Neapel (Michael Decker), unweit der Insel vorbeisegeln, lässt Prospero den Luftgeist Ariel (Julia Tiede) einen Sturm heraufbeschwören, der das Schiff kentern lassen soll. Doch Ariel ist klüger als ihr allein auf Rache sinnender Herr, verschont das Schiff und lässt Antonio und Alonso samt Gefolge auf der Insel stranden.

Shakespeare war nicht zu groß

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Die Amateure der Weißenburger Bühne beweisen in ihrer Inszenierung von Thomas Hausner einmal mehr enorme Professionalität. Das beginnt bei den Kostümen, für die Anja Tiede und Iris Bauer verantwortlich zeichnen. Fantastisch. Es geht weiter bei der technischen Umsetzung (Thorsten Michel, Frank Pauler, Bianca Kühnel). Der Schiffsuntergang im titelgebenden Sturm wird zum Mini-Hörspiel, das durch eine fantasievolle Tanznummer illustriert wird. Die stimmungsvollen Musikeinspielungen verstärken das Bühnengeschehen. Die Aussetzer der Funkmikros in den Anfangssequenzen sind rasch vergessen.

Und auch die schauspielerischen Leistungen sind allesamt beeindru­ckend. Regisseur Thomas Hausner bewies ein sicheres Gespür für die Be­setzung. Allen voran ist Luftgeist Ariel zu nennen. Eine echte Paraderolle für Julia Tiede. Die begeisterte Tänzerin springt und schwebt voller Anmut über die Bühne, dass das Zuschauen einfach nur Freude macht. Franka Fischer als Miranda gibt gekonnt das naiv-schüchterne Mädchen, das die erste Liebe mit großen Augen erlebt. Ihr Auserwählter ist Ferdinand, der Sohn Alonsos. Emre Yilmaz hat seine Feuertaufe in einer tragenden Rolle bravourös gemeistert. Die Rolle des Mailänder Königs Prospero hat Hausner gleich selbst übernommen. Adlige Arroganz, Verbitterung und Altersweisheit zu vermitteln kosten den Routinier nicht einmal ein müdes Lächeln. Florian Gerbig, Harald Nießlein, Rainer Geier, Michael Decker und Rainer Scheibe garantieren bestens besetzte Nebenrollen.

Eine echte Drecksrolle

Der dankbarste und undankbarste Auftritt in einem gebührt aber Dennis Bock. Als Erdgeist Caliban, der meistbietend gebückt oder auf allen Vieren über die Bühne turnt, gibt er den heimtückischen Fiesling mit begrenztem Horizont mit einer Begeisterung, die ihm zu Recht am Ende den meisten Applaus einbrachte. Undankbar war die Rolle deshalb, weil er trotz der widrigen Temperaturen (zu Beginn waren es mit Ach und Krach noch zweistellige Werte) die ganze Aufführung hindurch nur mit Lendenschurz bekleidet und über und über mit echtem Bergwaldtheater-Dreck eingeschmiert spielen musste. Respekt.

Viel Lob also. Doch wie eingangs angedeutet, gibt es auch etwas Schatten. Thomas Hausner hat Shakes­peares „Sturm“ auf knapp zwei Stunden (inklusive Pause) gekürzt – und ist dabei etwas übers Ziel hinausgeschossen. Durch die Streichungen erklärt sich die Motivation der Hauptdarsteller (vor allem der Sinneswandel Prosperos am Ende) nicht immer stimmig.

Hausner setzt weitgehend auf Shakespeares Originaltext. „Herr, die Geschichte könnte Taubheit heilen.“ Das ist wunderbar und würde heute wohl kein Autor mehr so zu Papier bringen. Aber natürlich ist die damalige Sprachmelodie für heutige Ohren ein wenig sperrig. Ganz vereinzelt wagt es Hausner, das Original mit Ironie zu brechen (beispielsweise, wenn Julia Tiede anfängt, vor sich hinzu­singen: „Hey, Mr. Caliban“). Ein wenig mehr davon hätte der Inszenierung gut getan und gezeigt, dass man sich vor dem großen Shakespeare nicht nur ehrfurchtsvoll verneigen, sondern ihm auch freundlich ins Gesicht lächeln kann.

Trotz der Kritik: Die Weißenburger Bühne hat für ihre Shakespeare-Inszenierung alleine wegen der tollen Schauspieler und der wundervollen Kostüme ein größeres Publikum verdient als die 280 Besucher der Premiere. Hoffentlich spielt das Wetter am Freitag, 5. August, bei der zweiten Aufführung besser mit, sodass sich
das Südseeinsel-Feeling auf der Insel im Bergwaldtheater auch in den Temperaturen widerspiegelt und die Akteure ihren Theater-„Sturm“ vor vollem Haus krachen lassen können.