Stopfenheimer haben in die Zukunft geblickt

14.2.2020, 13:32 Uhr
Stopfenheimer haben in die Zukunft geblickt

© Foto: Jürgen Leykamm

Zwei Jahrzehnte hatte die Kapsel unter einer Fliese geschlummert. Damit beim Heben des kulturellen Schatzes nicht die falsche herausgebrochen wurde, zierte sie die Gravur "2000 – 2020". Unter der Zeitplatte verbargen sich die Ängste, Wünsche und Hoffnungen der Kinder und Erwachsenen der damaligen Zeit, samt Bildern und Schriftstücken.

"Wer war denn bei der Jahresschlussandacht damals mit dabei?", fragte Pfarrer Martin Seefried zunächst in die Runde, worauf etliche Hände in der mit etwa 80 interessierten Besuchern gefüllten Kirche sich nach oben streckten. Im Bibelwort von damals habe Jesus selbst zwar geäußert, dass sich nicht in die Zukunft blicken lasse, "aber wir haben es trotzdem versucht", so der Geistliche: "Ich bin gespannt, ob jemand das Smartphone auf seinem Zettel stehen hat."

Eine gute Frage sei auch, wie die Welt wohl in weiteren 20 Jahren aussehen werde, regte Martin Geistbeck zum Nachdenken an, der im Jahr 2000 Pfarrer in Stopfenheim war. "Ob es dann noch Autos und Bäume gibt?"

Mit vereinten Kräften wurde die Schatulle zutage gefördert und der Deckel abgesägt. Beteiligt an der Aktion natürlich auch Stefan Sichert, dem vor zwei Jahrzehnten als zweijähriges Kind die Ehre gebührt hatte, die Kapsel zu versenken. Groß war nun die Freude, als diese nun Stück für Stück ihre Geheimnisse preisgab. Gemalte Bilder, Fotos von Firmlingen und Sternsingern oder Gästen aus Afrika.

Wahr gewordene Prognosen

Aber auch so manche private Wünsche, die in Erfüllung gingen. So sah sich die heute 35-jährige Carolin Benzinger (geborene Kuschel) etwa damals schon als Ehefrau und zweifache Mutter – das ist genauso passiert. Auch andere Prognosen, wie das dauerhafte Ausbleiben von weißen Weihnachten. Der Urlaub auf dem Mond oder der Besuch von Aliens scheinen ebenso nicht mehr völlig ausgeschlossen.

Stopfenheimer haben in die Zukunft geblickt

© Foto: Jürgen Leykamm

Auf einem anderen Zettel schimmerte die Hoffnung durch, dass beim Öffnen der Zeitkapsel überkonfessionell gemeinsam Abendmahl gefeiert werden kann. Das blieb zwar aus, dafür funktionierten die Wunderkerzen noch, die ebenso in dem Behälter Jahrzehnte auf ihren Einsatz gewartet hatten.

Andrea Lemmermeier, Chefin der Stopfenheimer Kirchenverwaltung, hatte damals ihrer Hoffnung Ausdruck verliehen, dass in 20 Jahren die Krebskrankheit besiegt ist und die Technik des Klonens nicht zur Züchtung von Menschen geführt hat. Und das Ozonloch nicht größer geworden ist – tatsächlich ist es heute kleiner denn je. Außerdem denke sie, dass 2020 "jeder ein Bildtelefon haben wird", worauf Pfarrer Seefried nur noch das Staunen übrig blieb.

Ob es den Euro, der damals als Bargeld noch gar nicht eingeführt war, dann noch gibt, fragten andere Zeilen aus der Schatulle. Und vielleicht ist Stopfenheim ja dann "eine kleine Stadt"? Außerdem könnte es sein, dass man in zwei Jahrzehnten "mit Wasserstoff fährt". Beides vermutete in den Tagen vor dem Jahrtausendwechsel der 13-jährige Thomas Satzinger. Persönlich erhoffte er sich damals, zum Zeitpunkt der Kapselöffnung einen Weiher gepachtet zu haben – auch das trat ein.

Die Ausschaltung von Atomkraftwerken in der Jetztzeit sah Simon
Koller in seinen Worten von einst voraus, als er gerade neun Jahre alt war. Ein leeres Blatt fand sich ebenso in der Kapsel wieder, was vielfach gedeutet werden kann.

Auf einer Pinnwand sind all die Worte und Bilder nun zu bewundern. So auch die Zeilen von Christine Krach, die beim Verfassen gerade einmal volljährig war und mit ihnen voll ins Schwarze traf: "Ich stelle mir 2020 ziemlich hektisch vor. Ich denke, die Menschen werden zu sehr mit sich selbst beschäftigt sein, als dass sie sich noch Zeit für andere nehmen können."

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