Weißenburg geht immer öfter der Notarzt ab

2.3.2020, 15:53 Uhr
Weißenburg geht immer öfter der Notarzt ab

© Foto: Jan Stephan

Wie aus Unterlagen hervorgeht, die unserer Zeitung vorliegen, war dort im vergangenen Jahr nur in gut 80 Prozent der Zeit ein Notarzt im Dienst. Übers Jahr summieren sich die Fehlzeiten auf 62 Tage.

62 Tage, an denen der Notarzt bei einem lebensgefährlichen Notfall im Weißenburger Raum längere Anfahrtszeiten hat. Weil er aus Treuchtlingen, Gunzenhausen oder mit dem Hubschrauber aus Dinkelsbühl oder Nürnberg kommen musste. Vorausgesetzt, diese Einsatzstellen waren besetzt und der dortige Arzt nicht schon bei einem Notfall unterwegs.

Schuld an dieser Mangelbesetzung ist im Grunde keiner – und irgendwie auch alle. Denn das Notarztsystem in Bayern wird von einer bemerkenswerten Laissez-Faire-Haltung getragen. Man habe versucht, die offenen Dienste zu besetzen, sagt die KVB, aber keine Ärzte gefunden. Zwingen könne man keinen, weil das System auf Freiwilligkeit beruhe. Ziemlich verblüffend: Ein Land, das für jeden Cent einen Kassenbeleg haben will, zuckt mit den Schultern, wenn es keinen Notarzt findet.

Die KVB verweist auf Artikel 14 des Bayerischen Rettungsdienstgesetzes. Der schreibt vor, dass sich die KVB in so einem Fall an die Klinik vor Ort wenden solle. "Den Artikel muss man aber genau lesen", sagt Dr. Christian Maune, Chefarzt am Klinikum Altmühlfranken. "Da steht drin, dass die KVB sich an das Krankenhaus wenden muss, nicht aber, dass das Krankenhaus die Dienste übernehmen muss."

Wie solle das auch gehen, fragt Maune, man habe ja selbst zu kämpfen, Personal für die eigenen Aufgaben zu finden. Zudem kämen seit einer neuen Vorschrift, wonach nur Ärzte mit spezieller Qualifikation Notarztdienste übernehmen dürften, weniger Kollegen infrage. Man versuche zu helfen, wo möglich, aber die Aufrechterhaltung des Krankenhausbetriebes gehe vor, so Maune, der selbst regelmäßig Notarztdienste übernimmt.

Bleiben die niedergelassenen Ärzte. "Mit einer Praxis ist das zunehmend schwieriger zu machen", sagt der Ellinger Mediziner Gerhard Gagsteiger. Wenn man als Notarzt zu einer Verlegung wegen eines Schlaganfalls nach Ingolstadt müsse, könne man zweieinhalb Stunden weg sein. Die Patienten säßen derweil in der Sprechstunde und würden warten, das sei ihnen nicht zuzumuten. Seine Konsequenz: Er übernimmt nur noch nachts Dienste.

Viele seiner niedergelassenen Kollegen haben das Handtuch geworfen. Zu viel Stress neben der ohnehin anstrengenden Praxiszeit und relativ geringe Verdienstmöglichkeiten. Neben Gagsteiger fährt in Weißenburg nur Thomas Welscher regelmäßig als Notarzt. Längst verdonnert die KVB Mediziner, die in den Großstädten Notarztdienste machen wollen – aufgrund der höheren Einsatzzahlen sind sie dort lukrativer – auch auf dem Land welche zu übernehmen. Aber auch dieses System hat Grenzen.

Es wird eher schlimmer

Fragt man bei der KVB wie man die Einsatzstelle in Weißenburg besser besetzen wolle, verweist man auf Gespräche mit dem Klinikum Altmühlfranken. "Die gibt es", bestätigt Chefarzt Maune. "Wir versuchen in der Klinik, mehr Leute für den Notarztdienst zu qualifizieren, aber das dauert. Und das wird das Problem auch nicht alleine lösen." Die Situation wird eher schlimmer denn besser. Bald würden die letzten niedergelassenen Ärzte aus Altersgründen aus dem Notarztsystem ausscheiden und die Schließung des Treuchtlinger Krankenhauses werde bei der Besetzung der Dienste in der Altmühlstadt für Probleme sorgen.

Zurück zur KVB. Wieder mit der gleichen Frage: Wie man denn in Zukunft die Mangelbesetzung auszugleichen gedenke, wenn das Krankenhaus sich mühe, aber keine dauerhafte Abhilfe schaffen könne? Die KVB verweist auf Absatz 4 ihres 14. Artikels des Landesrettungsgesetzes. Dieser sei als "ultima ratio" vorgesehen, wenn alle anderen Optionen ausgeschöpft seien. Er erlaube es dem Krankenhaus einen Arzt einzustellen, der nur Notarztdienste übernimmt und von der KVB bezahlt wird.

Was die KVB nicht sagt: Diese "ultima ratio" hat man im Falle Weißenburgs bereits anzuwenden versucht. Im vergangenen Jahr hat man eine Stelle für einen Notarzt ausgeschrieben, so Maune. Nur wollte den Job keiner. "Ultima ratio" bedeutet übrigens "letzter Ausweg" .

In Treuchtlingen hatte man vor vier Jahren mehr Glück. Auch dort war die Versorgungslage schlecht, bis man eine 75-Prozent-Notarzt-Stelle schuf und diese auch besetzen konnte. "Das wird der Kollege aber auch nicht auf ewig machen", fürchtet der Weißenburger Chefarzt. Spätestens dann ist das Problem auch in Treuchtlingen zurück.

Bei der Suche nach Schuldigen nimmt Maune die KVB allerdings ein wenig in Schutz. "Die haben kein scharfes Schwert in der Hand und können niemanden zwingen." Allerdings könne man sich schon die Frage stellen, ob es sinnvoll sei, das ganze System auf Freiwilligkeit beruhen zu lassen. Fakt ist, dass es mittelfristig eine Lösung brauche. Denn die Argumentation der KVB, dass die notärztliche Versorgung sichergestellt sei, weil im Zweifelsfall eben der Nachbarnotarzt oder der Hubschrauber komme, folgt Maune nur eingeschränkt. "Wenn völlig egal wäre, wann ein Notarzt dazu kommt, könnte man ihn auch ganz abschaffen. Außerdem ist die Wahrheit auch, dass manche Rettungshubschrauber nachts gar nicht fliegen dürfen", ergänzt er.

Telenotarzt als Lösung?

Lösungsansätze für das Dilemma gibt es verschiedene, nur wird eine Neuordnung des Systems von niemandem vorangetrieben. Ein Telenotarzt könnte die Sanitäter unterstützen, wenn der Notarzt vor Ort verhindert ist. "Inzwischen kann man alle Körperfunktionen messen und übertragen und wenn dann noch eine Bodycam dazukommt, könnte das schon funktionieren", meint Maune. Vielleicht müsse man aber auch über die Zusammenlegung von Notarztstationen nachdenken, lässt die KVB anklingen. Und wenn es nach Maune geht, müsste es jemanden geben, der nicht nur den Auftrag bekommt, die Notarztdienste zu besetzen, sondern auch die Mittel und die Befugnisse das durchzusetzen.

Info:

Die Notarztstellen in der Region haben sehr unterschiedliche Besetzungsquoten. Weißenburg ist mit Abstand die schlechteste. Hier hatte man 2019 insgesamt 1488 Stunden unbesetzter Dienster. In Gunzenhausen waren es lediglich 98 Stunden, in Treuchtlingen 456. In Greding kam man auf 1157 und in Hilpoltstein auf 835.