Mit 80 Jahren hat Ingo Friedrich noch drei Jobs

Der Ruhestand ist nichts für "Mister Europa"

Nina Dworschak

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13.8.2022, 16:45 Uhr
Der Ruhestand ist nichts für

© Nina Dworschak, NN

2009 beendete Ingo Friedrich seine aktive Politikerkarriere, in Brüssel ist er aber weiterhin regelmäßig. Doch dort befindet sich nur eines seiner drei Büros. Sein Büro in Gunzenhausen ist im Elternhaus seiner Ehefrau in der Bühringerstraße. Eine der bekanntesten Errungenschaften, die auf Ingo Friedrich zurückzuführen ist, ist auch in seinem Büro in Gunzenhausen allgegenwärtig: die Europaflagge als Symbol des vereinigten Europas. Friedrich war es, der beantragte, die bereits existierende Flagge mit dem Sternenkranz auf blauen Hintergrund für alle EU-Institutionen zu überneh-men. Zuvor war sie nur das Symbol des Europarats.

Den Antrag bewahrt er noch heute auf. Die Flagge wurde zum Symbol für die EU, sie hängt als Uhr über Friedrichs Schreibtisch, ist auf diversen Dokumenten abgedruckt und hängt als Bild des Logos der Europäischen Volkspartei (EVP) an Friedrichs Bürowand. Als CSU-Abgeordneter war er ein Teil der EVP-Fraktion, den Zusammenschluss der bürgerlich-konservativer Parteien im Europäischen Parlament.

Bis heute ist Friedrich für die EVP aktiv, einer seiner drei Jobs ist Chef der Finanzstiftung. Er verwaltet den Immobilienbesitz der Partei wie etwa die Gebäude in Brüssel. Außerdem entscheidet er über Zuschüsse für Parteibüros von Abgeordneten in den verschiedenen Mitgliedsstaaten und überwacht den Haushalt der Parteistiftung. Friedrich erinnert sich, was ein Parteikollege vor vielen Jahren zu ihm gesagt hat: "Wenn du das Geld überwachst, weiß ich, dass alles in Ordnung ist. Das Letzte, was wir brau-chen könnten, ist ein Finanzskandal." Und der bleibt bis heute aus.

Für die Tätigkeit in der Partei hat Friedrich weiterhin ein Büro in Brüssel. Etwa 20 Prozent seiner Arbeitszeit steckt er in den EVP-Job, sein "Hauptbaby" ist allerdings der Europäische Wirtschaftssenat. Der Verein versteht sich selbst als Mittler zwischen Unternehmen und Europapolitik, verpflichtet sich den Werten des "ehrbaren Kaufmannes" und will die europaweite Vernetzung in Wirtschaftssachen voranbringen. Seit 2009 ist Friedrich Präsident der Vereinigung.

Erst vor Kurzem ging es für ihn deshalb zu einer Tagung nach Kitzbühel. Er zeigt stolz Videos vom gemeinsamen Abendessen und dem Auftritt eines Gesangstrios auf seinem Handy, aber auch von sich und den Mitgliedern des Netzwerks. Als Lobbyverband, wie der Europäische Wirtschaftssenat von politischen Beobachtern in der Regel bezeichnet wird, sieht Friedrich die Vereinigung nicht. Es sei eher eine Informationsbörse, sagt er.

In dem Verein kommen Vertreter großer Firmen wie Microsoft, Bosch und Audi zusammen, aber auch kleinere Unternehmen aus der Region sind Teil des Netzwerks, etwa Diakoneo aus Neuendettelsau und das Weingut Wirsching aus Iphofen in Unterfranken sind vertreten. Neben Friedrich gehören weitere bekannte Ex-Politiker dem Verein an, etwa Jean-Claude Juncker, der ehemalige Präsident der Europäischen Kommission.

Durch die Arbeit im Europäischen Wirtschaftssenat ist Friedrich weiterhin eng mit dem politischen Apparat in Brüssel verbunden. "Der Kontakt ist nie abgerissen", erzählt er stolz. Etwa zweimal pro Monat ist er vor Ort, arbeitet und besucht Veranstaltungen. Noch immer bekommt er viele Einladungen. Bis zu fünf Veranstaltungen am Tag müsse er absagen.

Sein drittes Büro hat der 80-Jährige in München. Wie viele Politiker bekam Friedrich nach seiner aktiven Karriere ein Jobangebot aus der Wirtschaft, in seinem Fall von der Wackler Holding SE. Dort ist er stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender, das Unternehmen ist im Bereich Gebäude- und Personalservice tätig und hat etwa 6000 Mitarbeiter deutschlandweit.

Ähnlich wie in der Finanzstiftung der EVP prüft Friedrich als Aufsichtsrat die laufenden Geschäfte, ebenfalls 20 Prozent seiner Arbeitszeit nehme das in Anspruch, erzählt er. Die Qualifikation für den Posten hat er aus der Zeit vor seiner politischen Karriere. Damals arbeitete er bereits in einer führenden Position eines Elektrounternehmens. Seine Arbeit im Aufsichtsrat verknüpft Friedrich regelmäßig mit seiner Verbindung zur EU: "Wir waren letztens mit dem gesamten Aufsichtsrat in Brüssel und hatten dort Gespräche mit Abgeordneten", erzählt er. Getroffen habe man etwa Strauß-Tochter Monika Hohlmeier und Markus Ferber, beides Abgeordnete der CSU.

Um seinen drei Jobs nachzukommen, muss Friedrich nach eigenen Angaben genauso viel arbeiten wie in der Zeit als Abgeordneter. "Eigentlich hat sich nicht viel verändert, außer dass die Sitzungen weggefallen sind", erklärt er. Unterwegs ist er weiterhin viel, letztens erst war er innerhalb von zwei Wochen in drei verschiedenen Ländern.

Doch mittlerweile ist er häufiger in Gunzenhausen als zuvor. Dort sehen ihn viele Menschen weiter als "ihren" Europaabgeordneten, obwohl er das seit mehr als zehn Jahren nicht mehr ist. Schlimm findet er das nicht, im Gegenteil: "Die Leute wenden sich mit ihren Fragen an mich und ich freue mich, ihnen weiterzuhelfen oder Kontakte zu vermitteln."

Aufhören zu arbeiten, will der 80-Jährige erst, wenn er das Pensum nicht mehr schafft. Einige Funktionen hat er in den vergangenen Jahren bereits abgegeben, seine Jobs will er aber den Rest der vorgesehenen Amtszeiten weiterführen. Seine Strategie, um auch im hohen Alter fit zu bleiben: "Nicht viel Alkohol, nicht zu viel essen und viel bewegen", so Friedrich. Sein Sport ist Golf. Wann immer er kann, fährt er zum Spielen an die Ellinger Zollmühle. Aber so viel hat sich in seinem Leben im vermeintlichen politischen Ruhestand unterm Strich gar nicht geändert. Und was hält seine Frau davon, dass er weiterhin so viel unterwegs ist? "Die hat es nicht anders erwartet, sie weiß, dass ich nicht ruhig herumsitzen kann."

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