Die Frau, die sich sich ehrenamtlich beleidigen lässt

6.3.2020, 15:16 Uhr
Die Frau, die sich sich ehrenamtlich beleidigen lässt

© Foto: Miriam Zöllich

In den Kommentarspalten auf Facebook kocht die Stimmung hoch, und durch den Schutzmantel der räumlichen Distanz und Anonymität tritt der sogenannte Online-Enthemmungseffekt ein. Einzelne Hasskommentare, aber auch ganze Shitstorms gegen bestimmte Personen können die Folge sein.

Aktuelles Beispiel: Ein Polizist aus dem Saarland, der sich Ende Februar in den Sozialen Netzwerken klar gegen die AfD positioniert hat, wurde zur Zielscheibe Tausender Hasskommentare. Von der Heftigkeit der Reaktionen sei selbst er als Polizist überrascht gewesen, sagt David Maaß in einem Interview mit Jetzt.de. "Und es ist eben nicht lustig, zu lesen, dass man ein dummer Bulle sei oder Selbstmord begehen solle", gibt sich Maaß bestürzt.

Wer selbst Opfer solcher verbalen Angriffe und Shitstorms wird, hat oft lange daran zu knabbern. Gudrun Pach jedoch setzt sich diesen Attacken bewusst und gezielt aus – ehrenamtlich, mehrere Stunden jeden Tag. Die Alesheimerin engagiert sich seit einem Dreivierteljahr in der Aktionsgruppe des Vereins #ichbinhier. Seinen Sitz hat er in Hamburg, aber das ist eigentlich egal, denn die Netzaktivisten gehen ihrer Tätigkeit online nach. Sie suchen in den Kommentarspalten und Diskussionen auf Facebook nach Hate Speech, Fake News, Trollen und Hetze und setzen dem etwas entgegen.

"Wir schreiben dann sachliche, empathische Kommentare – einfach anständige Beiträge zur Diskussion", erklärt Gudrun Pach das Vorgehen. Das allein reicht dann oft schon, um sich selbst in die Schusslinie zu bringen. Die Aktivisten werden nicht selten beschimpft und beleidigt. In den Kommentaren, aber manchmal auch über private Nachrichten. Besonders als Frau werde man massiv angegriffen, hat Pach festgestellt. Oft gebe es abwertende, sexuelle Beleidigungen oder es werden einem Vergewaltigungen gewünscht.

"Das macht einen kaputt"

"Nach den ersten zwei Wochen habe ich gedacht, ich halte das nicht mehr aus, ich höre wieder auf damit", berichtet die 55-Jährige. "Dieser Hass, diese Hetze. Das macht was mit einem. Das zieht runter und macht einen kaputt." Zum Glück gebe es die Möglichkeit, sich mit anderen Mitgliedern der Initiative abends bei einem virtuellen "Absacker" auszutauschen und sich gegenseitig Tipps zu geben, wie man mit der Situation umgeht.

Den Umgang mit Mobbing musste Gurdun Pach schon vorher lernen, denn vor einigen Jahren wurde sie in ihrem Dorf zur Zielscheibe von Verleumdungen und Beleidigungen. Damals hat sie festgestellt: "Man muss dem etwas entgegensetzen. Von allein hören die Leute nicht auf." In Alesheim hängte sie ein Gedicht als Statement im Ort auf und drehte ein Video gegen Mobbing und Rufmord. Das half. Und als sie später von #ichbinhier hörte, wusste sie: Sie will etwas gegen Mobbing, Hass und Hetze tun.

In der geschlossenen Facebook-Gruppe von #ichbinhier gibt es derzeit 45 000 Mitglieder. Wer sich engagieren möchte, muss eine Beitrittsanfrage stellen und wird dann vorab mit ein paar Fragen geprüft, erzählt Gudrun Pach. Jeden Tag posten Mitglieder in der Gruppe unter dem "Lagerfeuer"-Bild dann die Diskussionen im Netz, die ihnen in Bezug auf Hasskommentare aufgefallen sind. Oft sind es Themen rund um Flüchtlinge, aber auch einzelne Personen können betroffen sein. "Bei der Sache mit dem Polizisten haben wir uns die Finger wundgeschrieben, um dem Shitstorm etwas entgegenzusetzen", erzählt Pach.

"Die Hater sind nur lauter"

Es sei wichtig, sich in die Diskussionen mit fairen Beiträgen einzuschalten, weiß die Alesheimerin. Denn etwa 80 bis 90 Prozent der Facebook-Nutzer seien nur "stille Leser", die selbst nicht kommentieren. "Diese Leute lassen sich aber natürlich dann total beeinflussen von der vermeintlichen Mehrheit, die abwertend und beleidigend kommentiert. Wenn du 20-mal liest: Der Hans is a Depp, dann glaubst du‘s irgendwann. Deswegen müssen wir Kontra geben, und zeigen: Die Hater sind nicht die Mehrheit. Sie sind nur lauter."

Das sogenannte "Melden" der unangemessenen Kommentare bei Facebook würde oft nichts ausrichten, bedauert Gudrun Pach. "Da müsste viel mehr getan werden, um auch die Betreiber der Seiten in die Pflicht zu nehmen." Und auch strafrechtliche Konsequenzen müssten die User kaum fürchten, wie man ja am Fall von Renate Künast jüngst sehen konnte. Kommentare, in denen die Grünen-Politikerin als "Stück Scheiße" oder "Drecks Fotze" betitelt wurde, hat ein Gericht erst in zweiter Instanz als Beleidigung gewertet.

Gudrun Pach hat bei ihrem Engagement auch das große Ganze im Blick. Der Umgang in den sozialen Netzwerken schade der Diskussionskultur massiv, und damit auch der Demokratie. "Hier wird vermeintliche öffentliche Meinung gemacht", warnt sie. Die Hasskommentare kämen nicht von frustrierten Einzelpersonen, sondern von gut vernetzten Trollgruppen. "Die werden teilweise sogar dafür bezahlt", sagt Pach und verweist dabei auf das Buch des #ichbinhier-Gründers Hannes Ley. Darum setzen sie die gleichen Hebel auf Facebook in Bewegung – nur eben umgekehrt. Sozusagen: Lovestorm statt Shitstorm.

Wie viel Zeit man in die Aktionsgruppe einbringt, ist jedem selbst überlassen. Auch ob man mit seinem Klarnamen im Netz agiert oder nicht, muss jedes Mitglied selbst wissen. Schließlich macht man sich ja angreifbar, und das nicht zu wenig. "Manche Mitglieder schreiben selbst auch keine Kommentare und unterstützen dafür die anderen mit ihren Likes – das ist genauso wichtig", sagt Gudrun Pach. Sie würde sich wünschen, dass sie noch Mitstreiter in der Region findet, die sich ebenfalls für #ichbinhier engagieren. Momentan ist die Alesheimerin, soweit sie weiß, im Landkreis die Einzige in der Aktionsgruppe. Dabei würde ihr der Austausch mit Gleichgesinnten guttun.

Raum für Distanz und Erholung

Wenn ihr die Pöbeleien im Netz zu viel werden, schaltet die 55-Jährige ihr Tablet einfach ab und geht für ein paar Stunden in den Garten. "Man muss sich bewusst einen Raum für Distanz und Erholung schaffen", erklärt sie. Denn die ehrenamtliche Tätigkeit im Internet habe natürlich auch Auswirkungen auf das reale Leben. Weitermachen möchte Gudrun Pach vorest aber auf jeden Fall. "Es ist wichtig, dass man sich einmischt. Viele schlimme Dinge passieren nämlich, weil sich Leute einfach nur raushalten."

InfoWeitere Informationen zum Verein #ichbinhier gibt es unter www.ichbinhier.eu.