35 Jahre Jugendwerkstatt Langenaltheim

Eine Chance ins Berufsleben für viele Jugendliche

13.9.2021, 16:48 Uhr
m Bereich Forst/Landschaftspflege gibt es meist Arbeit im Freien, doch auch die Geräte wie hier die Motorsensen wollen geputzt und gewartet werden. Auch das ist Teil der Ausbildung, die junge Frauen und Männer in der Jugendwerkstatt durchlaufen können.

© Jugendwerkstatt Langenaltheim, NN m Bereich Forst/Landschaftspflege gibt es meist Arbeit im Freien, doch auch die Geräte wie hier die Motorsensen wollen geputzt und gewartet werden. Auch das ist Teil der Ausbildung, die junge Frauen und Männer in der Jugendwerkstatt durchlaufen können.

Gegründet 1986 auf einem Höhepunkt der Jugendarbeitslosigkeit in Westdeutschland wurde zunächst versucht, mit „Arbeitsbeschaffungs-Maßnahmen“ (ABM) die jungen Frauen und Männer an geregelte Arbeit heranzuführen und idealerweise in Ausbildung oder Arbeit zu bringen. Doch schon in den ersten Jahren wurde klar, dass das alleine nicht genügt.

Die Jugendwerkstatt wandelte sich vom ABM hin zu einer Einrichtung, die Mädchen und Jungen mit verschiedensten Schwierigkeiten und Voraussetzungen eine Ausbildung ermöglicht – und sie dabei sozialpädagogisch begleitet und betreut. „Wir nehmen den Menschen hier so an wie er ist – und zwar völlig wertfrei“, beschreibt Anette Pappler den Ansatz.

Unter der Leitung von Gunhild Riehl-Knoll und Norbert Weis begann die Jugendwerkstatt mit einer Näherei und der Wald- und Landschaftspflege – über die geförderten ABM-Maßnahmen wurden Biotope gepflegt oder diverse Dinge für Basare genäht. 1996 starteten dann die ersten Jugendlichen mit einer Ausbildung – auch im damals neuen Arbeitsbereich der Schreinerei.

Aktuell sind es 22 Auszubildende

Das ganzheitliche Konzept, die jungen Menschen bei Ausbildung und Qualifizierung zu beraten und zu begleiten wurde ausgebaut. „Fit machen fürs spätere Berufsleben“ blieb aber der zentrale Ansatz der Jugendwerkstatt, in der aktuell 22 Mädchen und Jungen eine qualifizierte Berufsausbildung etwa als Schreiner, Änderungsschneiderin, Maßschneiderin oder Dekorations-Schneiderin erhalten.

Zwar ist die Textilverarbeitung in Deutschland weitgehend nicht mehr existent, doch Anette Pappler zufolge werden gute Kenntnisse auch in Nebenbereichen etwa in Modehäusern mit Änderungsschneiderei oder in Möbelfirmen im Verkauf von Sofa und Co. gefragt.

Bei letzterem fand etwa ein junger Mann mit Migrationshintergrund eine Anstellung. Die Voraussetzungen für ihn schienen nach der Mittelschule, an der er den M-Zweig gut abschloss, gut zu sein. Danach aber schaffte es der in Deutschland geborene Junge nicht, über sechs Jahre hinweg eine Ausbildung zu beginnen.

Im Elternhaus wurde keine Notwendigkeit für eine Lehre gesehen – die Familie sei hier noch nicht kulturell verankert, beschreibt Anette Pappler das Problem. Immer wieder nahm der junge Mann Jobs bei der Zeitarbeit an, um über die Runden zu kommen. Über das Jobcenter wurde er dann an die Jugendwerkstatt vermittelt, machte ein Praktikum in der Näherei und dann dort eine Ausbildung.

Eine zweite Chance

Ein anderes Beispiel ist eine junge Frau, die nach über einem Jahr ihre Bäckerlehre abgebrochen hat – zu heftig war der Umgangston des Chefs, zu schwerwiegend der Druck im Betrieb wie auch von zu Hause, doch mit dem kargen Lohn zum Familieneinkommen beitragen zu müssen, erzählt Anette Pappler. „Sie wollte durchhalten in der Lehre, aber es ging dann so weit, dass sich die junge Frau selbst verletzte.“ Über Mundpropaganda kam sie zur Jugendwerkstatt in die Näherei und begann eine zweite Ausbildung.

„Wir merken immer wieder, dass die Betriebe nicht wissen, dass sie im Bereich des Umgangstons ein Problem haben“, so die Jugendwerkstatt-Geschäftsführerin. Am Ende bleibe dann der Makel einer Ausbildungsabbrecherin im Lebenslauf, was einem beruflichen Neustart nicht eben zuträglich sei.

Ein Unternehmen mit pädagogischer Zusatzleistung

Anette Pappler, ihr Mitgeschäftsführer Christian Söllner , die acht weiteren Mitarbeitenden und die Jugendlichen sind allesamt per „Du“. „Das gehört bei uns zum Umgangston, es lässt sich viel leichter miteinander reden.“ Den Wochenablauf besprechen oder die anstehenden Aufträge – wie in einem normalen Unternehmen –, das gehört dazu. „Wir sind zwar eine Einrichtung der Jugendsozialhilfe, aber Kernstück unserer Arbeit ist eine Firma – mit pädagogischer Zusatzleistung“, beschreibt Pappler.

Und diese Zusatzleistung muss auch bezahlt werden. Neben den aus Wald- und Landschaftspflege, Schreinerei und Näherei erwirtschafteten Gewinnen finanziert sich die Jugendwerkstatt über öffentliche Gelder von der Arbeitsagentur über den Landkreis und die Evangelische Landjugend in Bayern bis hin zu Europäischer Union und Spenden.

Die Näherei war eine der Keimzellen der Langenaltheimer Jugendwerkstatt und bietet heute Ausbildungen in drei Fachrichtungen an. Aufträge werden auch von Privat angenommen.

Die Näherei war eine der Keimzellen der Langenaltheimer Jugendwerkstatt und bietet heute Ausbildungen in drei Fachrichtungen an. Aufträge werden auch von Privat angenommen. © Jugendwerkstatt Langenaltheim, NN

„Auf die sind wir auch immer wieder angewiesen“, so die Sozialpädagogin. Wenn es etwa darum geht, in Corona-Zeiten und Berufsschul-Schließung den Online-Unterricht in der Jugendwerkstatt zu organisieren und zusätzliche Laptops zu finanzieren oder einem jungen Mann den Führerschein mitzufinanzieren, damit dieser zur Ausbildung nach Langenaltheim und später zur Arbeitsstelle gelangen kann. Ohne Führerschein und Fahrzeug geht es auf dem flachen Land oft nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. „Wir haben Auszubildende, die müssen um 5.15 Uhr daheim los, um hierher zu kommen“, erzählt die Leiterin der gemeinnützigen GmbH, als welche die Jugendwerkstatt seit 2017 firmiert.

Keine Wattekugel

Eine Ausbildung in einer gepolsterten Wattekugel – das war und ist die Jugendwerkstatt nicht, vielmehr bieten die Mitarbeiter eine stützende Hand und Hilfe bei Problemen. Reale Arbeitsbedingungen sind aus Sicht von Anette Pappler auch wichtig, die Jugendlichen auf die spätere Berufswelt und deren Anforderungen vorzubereiten. „Wir suchen auch immer, was für den jeweiligen jungen Menschen passt.“

Ist das Mädchen oder der Junge noch nicht so weit, dann gibt es auch Angebote für nicht ausbildungsfähige Jugendliche, damit diese dann eine reguläre Lehre – ob in der Jugendwerkstatt oder einem anderen Unternehmen – beginnen können.

Für die betreuten jungen Menschen nach der Ausbildung einen Arbeitsplatz zu finden, das gestaltete sich vor allem durch die Corona-Pandemie schwierig. Über die Jugendwerkstatt werden auch Praktika in Firmen gesucht und vermittelt, „doch das war wegen der Pandemie so gut wie nicht möglich“, blickt Anette Pappler auf die vergangenen eineinhalb Jahre zurück. Und der für heuer geplante „Tag der offenen Tür“ zum 35-jährigen Bestehen musste ins Wasser fallen.

„Ansonsten sind wir ganz gut durch die Pandemie gekommen.“ In keiner der Arbeitsbereiche habe es Quarantäne gegeben, die Treffen zu den Besprechungen konnten angesichts der vorhandenen Räumlichkeiten weiter angeboten werden, und Corona bescherte jede Menge Arbeit.

"Genäht wie verrückt"

Nicht nur dass fast ständig neue Regelungen besprochen und umgesetzt werden mussten, auch in der Näherei ging es hoch her: Im Frühjahr und Sommer 2020 waren Baumwollmasken gefragt, „da haben wir genäht wie verrückt“. Über 5000 Masken verließen binnen weniger Wochen die Jugendwerkstatt. Da mussten die Hauptamtlichen mit anpacken, vor allem beim Versand der Schutzmasken, die an Firmen und Behörden in ganz Bayern und darüber hinaus gingen. „Das hat den Jugendlichen gefallen, weil sie einen Beitrag leisten konnten zur Bewältigung der Krisensituation.“

Möbelbau unter Marktbedingungen: Mit Aufträgen von öffentlichen wie privaten Kunden wird auch in der Schreinerei Geld erwirtschaftet, das zur Finanzierung der Jugendwerkstatt erforderlich ist.

Möbelbau unter Marktbedingungen: Mit Aufträgen von öffentlichen wie privaten Kunden wird auch in der Schreinerei Geld erwirtschaftet, das zur Finanzierung der Jugendwerkstatt erforderlich ist. © Jugendwerkstatt Langenaltheim, NN

Mittlerweile ist fast wieder Normalbetrieb in der Näherei, in der Polster, Gardinen und sonstige Heimtextilien hergestellt oder für Privatkunden Kleidungsstücke individuell geändert werden. Letzteres hat in Corona-Zeiten nachgelassen, neue Kunden sind nötig. „Da müssen wir wieder etwas mehr tun“, sagt Anette Pappler. Aber das ist ja für die Jugendwerkstatt seit 35 Jahren nichts Neues.

Keine Kommentare