Hund tötet Rehkitz Schnuppe - 13-Jähriger muss hilflos zusehen

4.11.2020, 19:05 Uhr
Hund tötet Rehkitz Schnuppe - 13-Jähriger muss hilflos zusehen

© privat

Schnuppe schrie. Schnuppe schrie, aber anders als sonst. "Ganz anders. Durchdringend und fürchterlich", erinnert sich Max an den Beginn der dramatischen Szenen. Er lag in seinem Bett, es war 1.03 Uhr. Sein Zimmer hat das Fenster zum Hof hinaus, daher wachte Max von den Geräuschen auf.

Sofort war der 13-Jährige aus seinem Bett heraus, riss die Haustür auf und sah auch schon das Unglück auf der gegenüberliegenden Hofseite. Ein großer Hund war in das Gehege von Schnuppe gesprungen. Rund 1,20 Meter ist der Zaun hoch, der das kleine Reh schützen sollte. Doch jetzt sorgte er dafür, dass es für das Tier kein Entkommen gab.

Schnuppe rannte im Kreis, der Hund hatte leichtes Spiel. Er stellte das Kitz und biss einmal in den Kopf. Alles ging blitzschnell, Max hatte keine Chance einzugreifen. Mittlerweile war auch seine Familie im Hof angekommen. Sie alle konnten nur noch zusehen, wie der große Hund, aufgeschreckt von ihrem Geschrei, die Flucht ergriff, aus dem Gehege sprang und in der Dunkelheit verschwand.

Das Happy End blieb aus

In dieser Nacht machte bei den Gungls keiner mehr ein Auge zu. Alle trauerten um Schnuppe, konnten sich mit dem Tod des zutraulichen, lieben Tieres nicht abfinden. Vater Robert suchte im Dorf – in dem immer wieder streunende Vierbeiner unterwegs sind – nach dem Hund, fand ihn aber nicht. Und Max weinte – bitterlich. "Warum ausgerechnet meine Schnuppe?", fragte er immer wieder seine Mutter.

Der fröhliche Junge und das kleine Reh waren in den fünf Monaten zuvor wahre Freunde geworden, erlebten eine Geschichte, wie sie Hollywood nicht anrührender hätte schreiben können. Die Realität hatte nur leider kein Happy End mitgeliefert.

Ende Mai hatten die Gungls das Kitz in einem Tannenwedelhaufen am Ortsrand entdeckt. Es hatte sich verheddert und schrie. Sie erkundigten sich wegen einer Handaufzucht und nahmen das Tier, das nach Schätzungen von Jägern zu diesem Zeitpunkt rund eine Woche alt war, mit auf ihren Hof.

Aufzucht im Kälber-Iglu

Max Gungl aus Oberhochstatt hat ein sieben Tage altes Reh gerettet und von Hand aufgezogen.

Max Gungl aus Oberhochstatt hat ein sieben Tage altes Reh gerettet und von Hand aufgezogen. © Foto: Privat

Die erste Nacht verbrachte es in einem Karton im Haus. Kaum einer im Haus konnte schlafen, weil Schnuppe, wie Max das Kitz nannte, ständig schrie. Daher wurde es in ein Kälber-Iglu, das für die Zwecke zurechtgemacht wurde, umgesiedelt. Das bedeutete für Max aber, alle zwei Stunden aufzustehen, in den Garten zu gehen und das kleine Reh zu füttern.

Ein paar Tage hielt er durch, dann musste seine Mutter Andrea ihn ablösen. Die erste Zeit war überhaupt schwierig, bis herausgefunden war, was Schnuppe frisst und trinkt, bis sie ans Füttern mit der Flasche gewöhnt war. "Anfangsmilch mochte sie", erinnert sich Max. Sie sei "sehr wählerisch" gewesen. Lindenblätter habe sie gerne verputzt, aber auch Brombeerzweige, Beeren und Löwenzahn genascht. Und Kälbchenfutter.


Die Hundeflüsterin aus Alesheim


Nach zwei Wochen baute Max seiner tierischen Freundin ein Gehege im Hof, damit er nicht mehr die nächtlichen Touren in den Garten unternehmen musste, und um sie besser im Blick zu haben. Mit der Zeit verlängerten Max und seine Mutter die Trinkintervalle, am Ende bekam Schnuppe nur noch früh, mittags und abends Futter.

Immer längere Spaziergänge

Für den 13-Jährigen stand von Anfang an fest, Schnuppe sollte irgendwann ausgewildert werden. Er begann mit ihr spazieren zu gehen. Immer den gleichen Weg hinaus zur elterlichen Biogasanlage am Dorf-rand. Von der Hecke aus könnte das Reh dann irgendwann in die Freiheit springen, dachte sich der Junge.

Hund tötet Rehkitz Schnuppe - 13-Jähriger muss hilflos zusehen

© privat

Und sein Plan ging auf. Woche für Woche schafften die beiden es weiter. Schnuppe lief Max nach wie ein kleiner Hund. Selbst abseits des Hofes entfernte sie sich nur ein paar Meter von ihm, kehrte immer wieder zu ihm zurück. Zu Max hatte sie ganz offensichtlich großes Vertrauen. Am Tag, bevor sie getötet wurde, hatten die beiden die Hecke tatsächlich erreicht.

Schnuppe hatte auch begonnen sich abzunabeln, Während sie sich anfänglich von allen hatte streicheln lassen, wurde sie immer wählerischer, ließ sich am Ende nur noch von Max streicheln. Alle spürten, irgendwann wollte das Reh in die Freiheit – aber es war eben noch nicht ganz so weit.

Freundschaft mit dem Hofhund

Freundschaft hatte Schnuppe auch mit Hofhund Lotte geschlossen. Der Berner Sennenhund war überall, wo auch das Reh war. Es gibt Fotos, da liegen die beiden in Eintracht nebeneinander. "Man hatte den Eindruck, dass Lotte Schnuppe beschützen wollte", sagt Max. Doch als der Angriff geschah, war Lotte im Haus.

Auch wegen dieses ungleichen Freundespaares hatten die Gungls gar nicht erst ins Kalkül gezogen, dass ein Hund für das Reh zur Gefahr werden könnte. Welcher letztlich Schnuppe getötet hat, wissen sie nicht. "In der Dunkelheit war nur zu erkennen, dass es ein großer Hund war, möglicherweise ein Schäferhund oder ein Schäfermischling", schildert Andrea Gungl.

Hundesbesitzer wachrütteln

Doch selbst wenn sie es wüssten, Schnuppe würde das auch nicht mehr lebendig machen. Die Familie hofft, dass durch den tragischen Vorfall der eine oder andere Hundebesitzer wachgerüttelt wird und dafür sorgt, dass sein Vierbeiner nicht frei herumläuft oder einfach ausbüxen kann. "Dafür wollen wir sensibilisieren", unterstreicht Andrea Gungl. Sie will sich gar nicht ausmalen, was passieren könnte, wenn solch ein Streuner ein spielendes Kind anfiele.


Ansbach: Freilaufende Hunde reißen Reh


Nun bleiben den Gungls und vor allem Max nur noch die Fotos von und die Erinnerungen an Schnuppe. Von anderen Handaufzuchtgeschichten wissen sie, dass Rehe auch nach dem Auswildern immer wieder bei ihren Zieheltern vorbeigeschaut haben. Darauf hatte auch Max gehofft.

1 Kommentar