Jüdische Gräber in Pappenheim werden erforscht

15.6.2020, 06:18 Uhr
Jüdische Gräber in Pappenheim werden erforscht

© Foto: Miriam Zöllich

Und dabei verschlägt es eben nicht wenige Ahnenforscher nach Pappenheim, wo sie von der Tourist-Info zum jüdischen Friedhof in der Bürgermeister-Rukwid-Straße gelotst werden. Die Grafschaft war einst ein zentraler Ort des jüdischen Lebens in Bayern und der Friedhof hatte – wenn man es so ausdrücken will – ein großes Einzugsgebiet, das bis nach Regensburg reichte.

Rund 300 Grabsteine sind heute noch in beiden Teilen des Friedhofs erhalten, die ältesten stammen aus dem 14., die jüngsten aus dem 20. Jahrhundert. Schon seit vielen Jahren beschäftigt sich der Heimat- und Geschichtsverein Pappenheim mit der Erforschung der Gräber und hat zwei Broschüren zum Thema herausgebracht. Nun soll der Friedhof aber auch in den Online-Forschungskatalog "epidat" vom Salomon-Ludwig-Steinheim-Institut der Uni Essen aufgenommen werden.

Rund 80 000 Euro wird die wissenschaftliche Katalogisierung der Steine sowie die Entzifferung, Übersetzung und Interpretation der hebräischen Inschriften kosten. Hierfür konnte sich man sich schon eine 70-prozentige Leader-Förderung der Monheimer Alb sichern; nun muss das Projekt in den Haushalt der Stadt Pappenheim aufgenommen und vergeben werden, um die Förderung auch tatsächlich noch abrufen zu können.

Darum hat der Heimat- und Geschichtsverein nun zu einem Treffen geladen, um allen Beteiligten das Projekt "Wenn Steine sprechen – die Spuren der Pappenheimer Juden" noch einmal im Detail vorzustellen und vielleicht auch noch ein paar Unterstützer zu gewinnen.

Wie bedeutsam die Forschung am Pappenheimer Friedhof ist, zeigte sich spätestens bei Rang und Namen der anwesenden Gäste. Neben Landrat Manuel Westphal, dem Landtagsabgeordneten Alfons Brandl, der stellvertretenden Bezirkstagspräsidentin Christa Naaß, dem Pappenheimer Bürgermeister Florian Gallus und einigen Stadträten konnte Renate Prusakow, die Vorsitzende des Heimat- und Geschichtsvereins, auch Bayerns ehemaligen Kultusminister Dr. Ludwig Spaenle begrüßen.

Antisemitismus nimmt zu

Spaenle konnte in seiner Funktion als Antisemitismus-Beauftragter der Staatsregierung als Schirmherr für das Pappenheimer Friedhofs-Projekt gewonnen werden. In seinem Grußwort betonte er, wie wichtig es einerseits sei, an den "industriellen Massenmord" der Nazizeit zu erinnern und dem noch immer schwelenden Antisemitismus zu begegnen. "Etwa 20 000 Juden leben in Bayern, und statistisch wird jeden Tag mindestens einer von ihnen saublöd angemacht", weiß Spaenle. Es sei bedenklich, dass derzeit antisemitische Gedanken wieder in der Öffentlichkeit sagbar werden, und es sei "die Anstrengung aller Demokraten, sich dem entgegenzustellen".

Andererseits müsse man auch die gesamte 1700-jährige jüdische Geschichte auf deutschem Boden beleuchten und die Geschehnisse vor 1933. Hierfür setze die Katalogisierung des Pappenheimer Friedhofs mit seiner geschichtlichen Bedeutung "ein wichtiges Zeichen". Jüdische Grabmale dürfen nicht aufgelöst werden und seien dadurch mitunter die ältesten verfügbaren baulichen Quellen, betonte Spaenle. Er lobte diesbezüglich die Arbeit des Steinheim-Instituts mit den Bestrebungen, die Grabsteine zu digitalisieren, als "das Beste, was es im deutschsprachigen Raum gibt".

Auch Joino Pollak vom Landesverband der israelitischen Kultusgemeinde Bayern zeigte sich "glücklich" über das Projekt, das ewige Ruhestätten auch für ewig erhalten will. Auch er spüre "furchtbaren Gegenwind gegen uns Juden" und glaubt, dass die langfristige Beschäftigung mit solchen Projekten dem entgegenwirke.

Anhand eines Beispiels demonstrierte Nathanja Hüttenmeister vom Steinheim-Institut die Funktionsweise der epidat-Datenbank. Das Grabmal von Riwka bat Abraham Herzog, einer 1758 gestorbenen Dame aus Regensburg, sei mit seinen eingehauenen Ornamenten "ein wunderschönes Beispiel für Grabsteine aus dem Solnhofener Stein". Der Vergleich zweier Fotografien, einer aktuellen und einer aus dem Jahr 1929, zeigte auch sogleich, wie wichtig die digitale Erfassung ist: Binnen 100 Jahren ist der Stein weiter eingesunken und die Inschrift heute gar nicht mehr vollständig lesbar.

Dabei erzählen jüdische Grabsteine in der Eulogie, also der Lobesrede, ausgesprochen viel über den Verstorbenen. Etwa welche Charaktereigenschaften er hatte oder darüber, ob er ein guter Gastgeber war. Die Inschrift auf dem Stein von Riwka bat Abraham Herzog sei sogar besonders ausführlich und zudem noch in Reimform, erklärte die Expertin. "Jeder Friedhof hat einen eigenen Charakter und einen eigenen Stil", weiß Hüttenmeister.

Die ewige Dokumentation

In der epidat-Datenbank finden sich mittlerweile 215 Friedhöfe mit über 37 000 Grabinschriften. Sie werden fotografiert, übersetzt, kommentiert und eingeordnet. Derzeit werden auch die jüdischen Ruhestätten in Thalmässing und Georgensgmünd katalogisiert, weshalb eine Zusammenarbeit mit der LAG Erlebnisland Roth stattfinden wird. Am Ende der Erfassung will man eine gemeinsame Broschüre zu den Friedhöfen herausbringen.

Nathanja Hüttenmeister rechnet damit, ab Beginn der Dokumentation etwa ein Jahr mit der Aufnahme der rund 300 Pappenheimer Grabsteine in die Datenbank beschäftigt zu sein. Allerdings weiß sie auch, dass die Arbeit damit nicht beendet ist: "Immer wieder melden sich über das Internet Nachkommen, die noch weitere Informationen vervollständigen können. So eine Dokumentation ist nie abgeschlossen."

Keine Kommentare