Lierheimers leerer Kuhstall

31.5.2016, 13:00 Uhr
Lierheimers leerer Kuhstall

© Steiner

Für Lierheimer kommt das ohnehin zu spät. Denn er hat seine 20 Milchkühe vor Kurzem verkauft und schlachten lassen. Am Sonntag war der Walkerszeller kurz in der Tagesschau zu sehen. Heute Abend sitzt Lierheimer bei Markus Lanz im Fernsehen und erzählt, warum er nicht mehr Milchbauer sein mag. Am Anfang der kurzzeitigen TV-Karriere stand ein Leserbrief in unserer Zeitung . . .

In dem Leserbrief machte Lierheimer im August 2015 seinem Unmut über das Verhalten des Bauernverbandes Luft. Denn die Hoffnung, dass sich die Landwirtschaft noch einmal zum Guten wendet, hat Lierheimer schon lange nicht mehr. Die Überschrift seines kurzen, aber deutlichen Schreibens: „Arschgekrieche“.

Ein kleiner Brief mit großer Wirkung. Denn auch der Weißenburger SZ-Wirtschaftskorrespondent Uwe Ritzer las Lierheimers Leserbrief und war beeindruckt von dessen Sichtweise.

Arbeiten unter dem Mindestlohn

„Man sollte als gelernter und gut ausgebildeter Landwirt mit einer 70- bis 80-Stunden-Woche nicht unter dem sog. Mindestlohn arbeiten müssen“, schrieb der gelernte Landwirt in seinem Leserbrief. Schließlich sei in Deutschland das Essen und Trinken „am günstigsten in ganz Europa“.

Um als Landwirt überleben zu können, müsse man heutzutage deutlich mehr als 20 Kühe im Stall stehen haben. Das müsse auch dem Verbraucher klar sein: „Der Verbraucher hat die Macht, daran wird sich nie was ändern, also darf man als Konsument beileibe nicht verwundert sein, wenn der Trend „Wachsen oder Weichen“ ungehindert weitergeht! Hören wir auf beiden Seiten auf zu träumen!!!“, schloss der Walkerszeller seinen Leserbrief. Eine Aussage, die Uwe Ritzer veranlasste, zum Hörer zu greifen und Lierheimer anzurufen.

„Endlich einmal ein Landwirt, der nicht die Politik des Bauernverbandes nachbetet und der schonungslos ankündigte, warum die Milchhaltung heute nicht mehr lohnt und warum der Bauernverband endlich aufhören soll­te, sich bei den Verbrauchern anzubiedern“, war Ritzer beeindruckt. Ob Lierheimer sich vorstellen könnte, ihm eine Zeitlang Einblicke in die Arbeit auf dem Hof zu geben, der seit 269 Jahren ununterbrochen im Familienbesitz ist? Karlheinz Lierheimer und seine Frau Helga, eine gelernte Justizfachangestellte, willigten spontan ein.

Der Altsitzer Karl Lierheimer war von der Idee seines Sohnes dagegen nicht gerade begeistert. Eine Weile wäre die Milchviehhaltung doch noch gut gegangen, glaubt er. „Wenn Aldi und Lidl die Preise nicht senken würden, dann würde noch genauso viel Milch gekauft“, ist der Senior überzeugt. Seiner Ansicht nach hat vor allem der Wegfall des Milchkontingents zum Höfesterben bei den Milchbauern beigetragen. Die hohen staatlichen Subventionen sind seiner Ansicht nach zu einem großen Teil verantwortlich dafür, dass immer größere Ställe gebaut werden und es zu einer Überproduktion kommt, die die Preise ruiniert.

Dem Landwirt mit Leib und Seele gefallen die Pläne seines Sohnes dennoch nicht, der seine Milch bis Ende April noch an die Neuburger Milchwerke verkaufte und monatlich so auf einen Erlös von rund 3 500 Euro kam. 2014 betrug der Gewinn nach allen Abzügen nur 20 000 Euro. Und davon sind 15 000 Euro sogar noch Betriebs­prämie. Für Lierheimer junior ist das deutlich zu wenig zum Leben: „Kein Mensch in einer anderen Branche würde für weniger Lohn arbeiten als vor 20 Jahren.“ Damals bekam sein Vater umgerechnet noch 40 Cent für ein Kilogramm Milch. Heute sind es derzeit unter 20 Cent.

„Vom alten Bauernstolz kann man seine Familie nicht ernähren“, glaubt Lierheimer, der bis vor Kurzem noch täglich um 4.00 Uhr aufstehen musste, um seine Milchkühe zu melken, um  danach auf die Arbeit in einem Gartenbaubetrieb in Pleinfeld zu gehen. Der Nebenerwerbslandwirt trauert seinen Kühen bislang jedenfalls nicht nach. Die neu gewonnene Freizeit will er für Hobbys und seine Familie nutzen und mit seiner Frau auch einmal auf Konzerte oder einen Wellness-Urlaub gehen.

Freizeitaktivitäten, die seinem Vater weitestgehend fremd sind. Der Altsitzer machte so gut wie nie in seinem Leben Urlaub. Eine Vorstellung, die für die jüngere Generation der Landwirte heute nicht gerade attraktiv ist. Diese Erfahrung hat Karlheinz Lierheimer bei früheren Freundinnen öfter gemacht. Eine Frau zu finden, die das Landleben mit all seinen Nachteilen liebt, sei heute noch schwerer geworden, sind sich der Landwirt und seine Frau Helga einig.

Der Wandel ist unaufhaltbar

Verbraucher, die glauben, dass ihre im Supermarkt gekaufte Milch auch in Zukunft aus kleinen, idyllischen und familiengeführten Betrieben kommen wird, hält Lierheimer dagegen für Sozialromantiker. „Ich rate jedem Verbraucher, sich mal einen modernen Milchviehstall anzuschauen und sich die Vorzüge erklären zu lassen“, sagt der Hobby-Landwirt, der seinen leer stehenden Kuhstall derzeit zur Maschinenhalle umbaut. Karlheinz Lierheimer ist einer, der der Realität lieber ins Auge schaut, als vor ihr zu fliehen. Der längst vollzogene Wandel in der Landwirtschaft ist für ihn nicht mehr aufzuhalten.

Lierheimer stützt sich bei seinen Prognosen dabei ganz auf die Zahlen. Die Anzahl der Schweine, die heute ein moderner Zuchtbetrieb hält, lebten früher im gesamten Landkreis. Und während immer weniger Bauern immer mehr Menschen ernähren, sterben zeitgleich die Dörfer langsam aus. Nach dem Krieg lebten in Walkerszell noch rund 100 Menschen. Heute sind es nicht mal mehr die Hälfte. Ob seine Söhne Raphael und Leonardo auf dem Hof bleiben werden?

Den Beruf des Landwirts zu ergreifen, rät ihr Vater jedenfalls nicht: „Jeder junge Landwirt, der keine ausreichende betriebliche Größe für ein angemessenes Einkommen hat, sollte in der heutigen Zeit, wo viele Handwerksbetriebe freie Stellen haben, umsatteln.“ Ein Satz, den er heute Abend auch bei Markus Lanz sagen will.

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