Prävention von Belästigungen?

Wiesn-Tipps für Frauen gegen sexuelle Übergriffe: Warum das der falsche Ansatz ist

Alicia Kohl

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29.9.2022, 15:35 Uhr
Betreiber und Betreiberinnen des Oktoberfests veröffentlichen Verhaltenstipps für Frauen* zur Prävention von sexuellen Übergriffen.

© IMAGO/Frank Hoermann/SVEN SIMON Betreiber und Betreiberinnen des Oktoberfests veröffentlichen Verhaltenstipps für Frauen* zur Prävention von sexuellen Übergriffen.

Ab aufs Oktoberfest! Erstmal roten Lippenstift gegen "Kuss-Jäger", wie Funk es ausdrückt, auftragen, gepolsterte Radlerhose unters Dirndl gegen Grapscher anziehen, dann am besten noch den Heimweg genau planen, einen Treffpunkt mit Freunden ausmachen, sollte man sich verlieren und nochmal üben, wie man richtig "Nein" sagt und richtig um Hilfe bittet. Fertig. Jetzt kann es ja losgehen. Mit diesen Vorkehrungen könnte es sein, dass ich vielleicht nicht sexuell belästigt werde - natürlich nur, wenn ich nicht zu viel trinke und meine Handtasche nicht verliere. Naja, was soll's, man(n) kann's ja nicht verhindern. Oder?

Sexuelle Übergriffe bei Volksfesten, Kirchweihen und auch beim Oktoberfest sind leider keine Seltenheit. Damit es zu weniger Grapschereien, Belästigungen und Vergewaltigungen kommt, haben die Betreiber und Betreiberinnen der Wiesn nun Tipps für Frauen* und Mädchen* (das Sternchen symbolisiert, dass hier und an allen weiteren Stellen, wo von Frauen und Männern die Rede ist, zwar hauptsächlich das genannte Geschlecht gemeint ist, aber natürlich auch das andere Geschlecht und nonbinäre Personen dazugehören können) veröffentlicht, wie sie möglichst sicher eine gute Zeit auf dem Oktoberfest haben können. Natürlich, denn wer sollte auch sonst sein Verhalten verändern als die Frauen, die begrapscht, bedrängt und sexuell belästigt werden. Auf gar keinen Fall jene Männer*, die für solche Übergriffe verantwortlich sind.

Stattdessen rät man Frauen, das Bier auf dem Oktoberfest nicht zu unterschätzen, schließlich ist es "besonders stark und wird in Ein-Liter-Krügen ausgeschenkt". Danke für diesen Hinweis. Ich dachte immer, eine Maß sei 0,485 Liter. Aber gut, eine Limo oder eine Breze lassen die Frau laut den Tipps "länger fit bleiben", also ab zum Brezenstand! Weniger betrunken sein hilft mit Sicherheit super gegen Männer, die ihre Hände nicht bei sich lassen können. Vielleicht sollten sie mal weniger trinken, dann würden sie möglicherweise auch noch Grenzen kennen. Nur so eine Idee. Aber nein, wo kommen wir da hin? Ohne Männer, die Bier trinken und Frauen begrapschen, wäre das Oktoberfest doch nicht das Oktoberfest. Das gehört schließlich einfach dazu. (An dieser Stelle sei nochmal betont, dass hier nicht alle Männer pauschal gemeint sind, sondern dass es um diejenigen geht, die übergriffig werden.)

Schuld bei den Falschen

Genauso wie bei den Tipps für queere Besucherinnen und Besucher wird hier - mal wieder - versucht, die Schuld von den Schuldigen (meist heterosexuellen Männern) zu nehmen und stattdessen auf die Opfer (meist Frauen oder queere Personen) abzuwälzen. Es haben nun mal nicht alle Wiesengänger und -gängerinnen "Verständnis für eine offene schwule oder lesbische Lebensweise". Das Problem sind hier anscheinend natürlich nicht diejenigen, die sich daran stören, wen und wie andere Menschen lieben, beleidigend oder handgreiflich werden. Das Problem sind nicht diejenigen, die Frauen ungefragt unters Dirndl fassen, sie begrapschen, bedrängen oder vergewaltigen. Das Problem sind die schwulen Paare, die Händchen halten, die Frauen, die sich küssen, der Mann, der mit einem anderen Mann flirtet, die Frauen, die betrunken sind oder sich vorher nicht ganz genau überlegt haben, wie sie heimkommen.

Statt tatsächlich mal die eigentlichen Schuldigen auf ihr Fehlverhalten hinzuweisen und ihnen zu raten, wie sie sich angemessen zu verhalten haben, können Menschen (Männer?), die sich "für andere einsetzen", sich für den Titel des "Wiesngentleman*" bewerben. Yeii, du bist kein A**** - hier ein Pokal! Etwas, das selbstverständlich sein sollte, nämlich, dass man jemandem zu Hilfe kommt, der oder die Hilfe braucht, wird also extra belohnt, während möglichen Opfern gleichzeitig ein richtiges Verhalten vorgeschrieben wird.

So kann man danach immer schön sagen: "Naja, hätte sie mal das Bier nicht unterschätzt." Da kann auf der Homepage der Wiesn noch so oft stehen "Verantwortung für einen Übergriff trägt stets der Täter (Täterin)" und "Nein heißt Nein" wie es will, die Verhaltenstipps sowohl für Frauen als auch für queere Menschen auf dem Oktoberfest vermitteln eine Message: Wenn du dich nicht auf eine bestimmte Art und Weise verhältst, bist du halt auch selber schuld.

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