Würzburg: Berufungsprozess um totgeraste 20-Jährige startet

4.9.2020, 07:23 Uhr

Mit nur 20 Jahren endete das Leben von Theresa S., weil ein betrunkener Autofahrer sie am Straßenrand erfasste. Am Steuer: ein damals 18-Jähriger, mit knapp drei Promille Alkohol im Blut. In dieser Nacht, im April 2017, war er auf dem Rückweg von einem unterfränkischen Weinfest. Im Oktober vergangenen Jahres wurde er vor dem Landgericht Würzburg verurteilt. Theresas Tod kostete den Fahrer 5000 Euro. Drei Mitfahrer kamen ebenfalls mit einer Geldstrafe davon. Sie leisteten nach dem Unfall keine Hilfe.

Das Urteil hatte für Empörung gesorgt. Die Staatsanwaltschaft legte am selben Tag der Urteilsbegründung Berufung ein. Am Mittwoch (9 Uhr) wird der Fall vor dem Landgericht Würzburg neu aufgerollt.

"Vollrausch-Paragraf" wurde angewendet

Warum kam es zu so einem milden Urteil? Grund war unter anderem ein Gutachten, wonach der Hauptangeklagte zum Zeitpunkt des Unfalls schuldunfähig gewesen sein soll - wegen seines Alkoholrausches. Selbst der Vorsitzende Richter Bernd Krieger äußerte Bedenken, konnte das Gutachten aber nicht ignorieren. Der Fahrer wurde daher nicht wegen fahrlässiger Tötung belangt, sondern wegen fahrlässiger Volltrunkenheit nach Jugendstrafrecht. Paragraf 323a des Strafgesetzbuches kam zur Anwendung, der sogenannte "Vollrausch-Paragraf".

Der Fahrer wurde nicht "dafür bestraft, jemanden totgefahren zu haben, sondern dafür, sich so stark betrunken zu haben, dass er zu einer Gefahrenquelle für die Allgemeinheit wird", erklärte der Augsburger Fachanwalt für Strafrecht Florian Engert in einem Interview mit der Main-Post.

Dass sich Alkoholkonsum strafmildernd auf ein Urteil auswirken kann, sorgte für viel Unverständnis. Krieger soll bei der Urteilsverkündung gesagt haben, es falle ihm schwer, dem Vater des Opfers in die Augen zu schauen. "Ich könnte als Vater der Verstorbenen nur sehr schwer oder gar nicht mit diesem Urteil leben", zitieren ihn Prozessbeobachter. Theresas Vater äußerte nach dem Prozess, dieses Urteil gegen "einen Sturzbesoffenen" sei ein "Freifahrtschein für alle Jugendlichen, die jetzt eigentlich machen können, was sie wollen". Seit dem Unfall kämpft ihre Familie mit einer Kampagne gegen Alkohol am Steuer.

Theresas Familie erhofft sich Antworten

Theresas Vater wird am Mittwoch als Nebenkläger im Saal sitzen. Sein Anwalt, Philipp Schulz-Merkel, ist Experte für Verkehrsrecht und war unter anderem Verteidiger im Prozess gegen die S-Bahn-Schubser von Nürnberg, die drei Jugendliche ins Gleis gestoßen hatten - zwei von ihnen starben. Ihn habe das erstinstanzliche Gutachten nicht überzeugt. "Wir haben starke Zweifel daran, dass hier der Täter schuldunfähig war. Für uns ist es ein Widerspruch, dass man ein Auto zwar steuern kann, aber andererseits keine Steuerungsfähigkeit über sich selbst beziehungsweise keine Einsichtsfähigkeit vorliegen soll", sagte Schulz-Merkel im Vorfeld der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

Theresas Familie erhofft sich am Mittwoch vor allem Antworten auf Fragen, die im ersten Prozess offen geblieben sind. Denn es sei noch immer nicht ganz klar, was in der Nacht passiert war. Einige Zeugen, wie die eintreffende Polizeistreife, seien nicht angehört worden. Selbst Zweifel, welcher der vier jungen Männer beim Unfall tatsächlich am Steuer saß, soll es während des Prozesses gegeben haben. Der Hauptangeklagte konnte sich nicht mehr erinnern. Einige Monate nach dem Unfall soll er versucht haben, sich umzubringen.

"Wir wollen hier eine sorgfältige Beweisaufnahme. Wir wollen hier nur die Person verurteilt sehen, welche die Tat begangen hat, immerhin geht es um ein Tötungsdelikt", sagte Schulz-Merkel. Wesentlich für den Berufungsprozess wird das neue Gutachten über den Unfallfahrer sein, das die Staatsanwaltschaft veranlasst hatte.

Theresas Freund leistete Erste Hilfe

In der Nacht, bevor das Auto Theresa auf einer Verbindungsstraße bei Untereisenheim (Landkreis Würzburg) mit erhöhter Geschwindigkeit erfasste, feierte sie mit ihrem Freund seinen Geburstag rein. Er musste zusehen, wie seine Freundin 13 Meter in das angrenzende Feld geschleudert wurde, sie aus der Nase und den Ohren blutete. Er leistete erste Hilfe und setzte einen Notruf ab. Wenige Tage später starb Theresa im Krankenhaus an einem Hirntod. Eigentlich wollte sie in dieser Nacht selbst fahren. Aber die 20-Jährige trank ein Glas Alkohol und entschied sich, das Auto stehen zu lassen.