Zahl der Übergriffe wächst: Wenn Polizeibeamte zu Opfern werden

4.6.2020, 13:30 Uhr
Ein Polizist wurde bei Ausschreitungen von Fangruppen nach einem Fußballspiel verletzt. (Symbolbild)

© Marcus Brandt, NN Ein Polizist wurde bei Ausschreitungen von Fangruppen nach einem Fußballspiel verletzt. (Symbolbild)

Johannes Dürr weiß, worum es geht, er hat es am eigenen Leib erfahren. Als der 24 Jahre alte Polizeikommissar mit seiner Kollegin nahe Kitzingen einen Wagen kontrollieren wollte, war es passiert. Der Fahrer, einen Meter neunzig groß, hundert Kilogramm schwer, sei von Anfang an aggressiv gewesen, erzählt Dürr.

Binnen Minuten gerät alles außer Kontrolle. Als Dürrs Kollegin die Papiere des Mannes überprüfen will, schlägt er unvermittelt zu, prügelt sie zurück in den Streifenwagen, tritt auf sie ein. Er entreißt Dürr seinen Schlagstock, geht auch auf ihn los. "Der hatte keinerlei Hemmungen uns ernsthaft zu verletzen", erinnert sich der junge Beamte.


Erst nach Minuten gewinnen die beiden Streifenbeamten die Oberhand zurück, können sie mit Gewalt und Pfefferspray den Angreifer niederringen und fesseln. Danach müssen beide für Tage ins Krankenhaus, so massiv waren die Schläge des Mannes. Später stellt sich heraus, dass der Schläger unter Drogen gestanden hat.

Joachim Herrmann : "Sehr bedenklich"

Ein Phänomen, das sich seit Jahren häuft. Allein 2019 weist die Statistik der Polizei 18 484 Übergriffe auf Polizeibeamte auf, viele verbal, viele aber auch körperlich. Ein Höchststand, den Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) "sehr bedenklich" nennt. 41 000 Beschäftigte zählt die Polizei des Freistaates, 37 000 davon sind Polizeibeamte. Es ist einer der größten Polizeiverbände in Deutschland. Und Bayern das sicherste Bundesland in der Republik.

Rein statistisch gesehen erlebt jeder zweite Beamte, durchleidet jede zweite Beamtin einmal im Jahr einen Übergriff. Weil sich aber oft die Fälle konzentrieren, verbale und körperliche Übergriffe ineinander übergehen, ist die Zahl der Opfer niedriger; sie liegt bei knapp 8000. Besser macht es das freilich nicht.

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Jeden vierten Polizisten hat es im vergangenen Jahr getroffen, 2599 erlitten Verletzungen. Auch das ist ein neuer Rekordwert. 17 Mal hatten die Angreifer geschossen, 106 Mal Hieb- und Stichwaffen benutzt. Doch nur dreimal werteten die Juristen die Angriffe auch als Tötungsversuch – im Jahr zuvor waren das noch elf Fälle. Binnen fünf Jahren, sagt Herrmann, hätten sich die Zahlen damit mehr als verdoppelt.

Angreifer sind fast ausschließlich Männer

Fast immer trifft es Streifenbeamte, egal ob Männer oder Frauen. Dabei ist das Profil der Täter eindeutig, sind die Umstände ähnlich: Es sind fast ausschließlich Männer, die auf die Beamten losgehen; sie sind in zwei Dritteln der Fälle betrunken oder voller Drogen; und es passiert vornehmlich nachts und in den Städten. Knapp ein Viertel der Täter haben keine deutsche Staatsbürgerschaft; ihr Anteil nimmt damit leicht ab.


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Dass es zunehmend auch Feuerwehrleute trifft, Sanitäter, Helfer, findet Innenminister Joachim Herrmann alarmierend. 311 anitäter hat es im vergangenen Jahr getroffen und 82 Feuerwehrleute. Auch das eine neue Höchstmarke. Jeder Angriff, sagt Herrmann sei "ein Angruff gegen uns alle, gegen unsere Gesellschaft und unsere demokratischen Grundwerte. Das dürfen und werden wir nicht dulden."

Zweieinhalb Jahre hinter Gitter

Drei Jahre ist es nun her, dass Bayern im Bund härtere Strafen für Gewalttäter durchgesetzt hat, Strafen, die, wie Hermann sagt, die Gerichte auch verhängen. So hat ein Regensburger Gericht nach einer Attacke auf Polizeibeamte mit Pflastersteinen den Haupttäter für zweieinhalb Jahre hinter Gitter geschickt. Ein andrer, der bei einer Polizeikontrolle einen Beamten angefahren hatte, kam mit Bewährung davon. Vorbestraft ist aber auch er.

Gleichwohl lehnt der CSU-Politiker vorerst weitere Maßnahmen ab. Taser genannte Elekroschocker etwa hat die Polizei zwar getestet und ihren Spezialeinheiten auch besorgt. Für die Streifen draußen aber will Herrmann sie nicht anschaffen. Die Ausbildung für den Taser-Einsatz sei aufwendig, das Risiko, das mit dem Gerät verbunden sei, immer noch zu hoch, sagt er.

Hoffnung auf Body-Cams

Hoffnungen setzt die Polizei statt dessen in so genannte Body-Cams, kleine Kameras, die Streifenbeamte an ihrer Uniform tragen. Dass sie gefilmt werden, soll potenzielle Gewaltäter abschrecken. Mittlerweile sind alle Inspektionen mit dem System ausgerüstet. Doch aus der Statistik lässt sich ein präventiver Erfolg der Kameras vorerst nicht ablesen. Das sei auch schwierig, sagt Hermann, "weil wir kaum nachweisen können, wenn etwas verhindert worden ist." Betrunkene und Menschen unter Drogen allerdings, auch das räumt er ein, seien häufig "außer Rand und Band.

Die interessieren die Folgen ihres Handelns gar nicht mehr." Da stoße dann auch die Polizei an ihre Grenzen.

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