Zukunftsforscher: So wird das neue Jahr 2021

1.1.2021, 05:55 Uhr
Neues Jahr, neues Glück - oder etwa doch nicht? 

© e-arc-tmp-20201230_121237-2.jpg, NNZ Neues Jahr, neues Glück - oder etwa doch nicht? 

Herr Dr. Flessner, Sie sind Zukunftsforscher. Eine Glaskugel haben Sie aber bestimmt nicht. Wie schauen Sie denn in die Zukunft?

Dr. Bernd Flessner: Ich gehe natürlich wissenschaftlich vor. Und da gibt es eine ganze Reihe von Methoden. Das sind so etwa 50, die man einsetzt, um Aussagen zu machen über mögliche und wahrscheinliche Zukünfte. Die eine Zukunft gibt es nicht, die ist nämlich sehr offen. Was man treffen kann, sind Aussagen über sehr wahrscheinliche Zukünfte, also Szenarien. Und dafür kann man Modelle erstellen.

Wie macht man das?

Flessner: Ganz wichtig dabei ist der Blick in die Vergangenheit. Diese Zukünfte ereignen sich ja schließlich nicht aus dem Nichts, sie sind alle fundiert in der Gegenwart und in der Vergangenheit. Erfahrungen spielen da eine große Rolle. Und es gibt Spuren, Portents genannt, die die Vergangenheit bereits hinterlassen haben und die in die Zukunft führen. Die muss man identifizieren. Rückblickend ist es vielleicht einfacher zu erklären. Eine solche Spur ist zum Beispiel ein Smartphone. Das ist zum ersten Mal 1909 als Taschentelefon aufgetaucht. Da gab es eine Prognose eines Amerikaners, der sich damit befasst hat, wie die Telefonie der Zukunft aussehen könnte. Und der hat gesagt, sie wird weitgehend drahtlos, mobil, klein und handlich sein und man wird damit auch Fotos verschicken können. Dieser kleine Artikel darüber ist so eine Spur gewesen. Da hat die Argumentation gestimmt, da hat die Prognose gestimmt und auch die Begründung, warum das so sein wird und es ist auch so eingetreten.

Dr. Bernd Flessner , Jahrgang 1957, ist Zukunftsforscher und lehrt am Zentralinstitut für Wissenschaftsreflexion und Schlüsselqualifikationen (ZiWiS) der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen.

Dr. Bernd Flessner , Jahrgang 1957, ist Zukunftsforscher und lehrt am Zentralinstitut für Wissenschaftsreflexion und Schlüsselqualifikationen (ZiWiS) der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen. © fotografie andreas riedel, ARC

Haben Sie noch mehr Beispiele?

Flessner: Ganz viele Spuren stammen auch aus der Science Fiction. Ein nicht geringer Teil der Erfindungen, die dort beschrieben werden, zählt zu diesen Spuren, die tatsächlich in die Zukunft führen. Das haben wir Zukunftsforscher immer stärker gemerkt, weil wir unglaublich vieles von dem, was in alten Science-Fiction-Filmen vorgestellt worden ist, mittlerweile bekommen haben. Etwa wenn man an Odyssee 2001 von Stanley Kubrick aus dem Jahr 1968 denkt. Da haben die Astronauten kleine flache Computer dabei, auf denen man auch Filme schauen kann, heute sagen wir Tablet dazu.

Und wo findet man sonst noch Spuren?

Flessner: Natürlich auch in der tatsächlichen Entwicklung, in der Industrie und in der Wissenschaft, da sind auch immer wieder Hinweise auf die Zukunft. Für Erfindungen gibt es aber immer auch bestimmte Kriterien. Wie hoch sind die Kosten? Sind sie benutzerfreundlich? Das spielt in Zukunftsstudien immer eine große Rolle. Ich habe jetzt eine Studie über das Smarthome gemacht, da geht es natürlich um die Akzeptanz der Konsumenten, um die Kosten, um den Nutzen und die Bedienbarkeit. Eine Zukunftstechnologie muss diese Kriterien erfüllen, um überhaupt eine zu sein. Das Elektroauto ein gutes Beispiel dafür. Das finden viele zwar sehr gut, es ist ihnen aber zu teuer. Sobald ein E-Auto aber preisgünstiger ist, hat es schon gewonnen.

Technik ist das eine. Wie aber sieht es mit Katastrophen aus. Kann man die auch vorhersagen? Haben Sie vielleicht sogar schon vorher mit Corona gerechnet?

Flessner: Selbstverständlich. Es gab im Jahr 2000 eine große Zukunftskonferenz auf europäischer Ebene und von der EU finanziert in Köln. Und da ging es um die sogenannten Wild Cards. Das sind Ereignisse, die eine relativ geringe Ereigniswahrscheinlichkeit haben, aber gravierende globale Folgen. Da haben wir so eine Pandemie ausgiebig diskutiert und als Szenario aufbereitet. Wir sind damals zu dem Ergebnis gekommen, dass man sehr wahrscheinlich mit drei Pandemien im 21. Jahrhundert rechnen muss. Das, was wir jetzt gerade erleben, ist in dem Szenario-Trichter im Mittelfeld zu suchen. Das ist ein Base-Case-Szenario, wo wir noch einmal mit einem blauen Auge davonkommen.

Die Wirtschaft leidet, Menschen sterben – das hat doch mit einem blauen Auge nichts mehr zu tun?

Flessner: Sie kennen das Worst-Case–Szenario nicht. Da hätten wir ein sehr aggressives Virus, das tödlich ist und hoch infektiös. Da hätten wir innerhalb kürzester Zeit über die Hälfte der Menschheit verloren. Das soll die aktuelle Situation nicht verharmlosen, die ist schlimm genug. Im Best-Case-Szenario hätte China übrigens anders reagiert, auch im Hinblick auf Transparenz und Offenheit. Die internationale Gemeinschaft wäre informiert und Wuhan sofort abgeriegelt worden. Das Virus hätte sich gar nicht erst weiter ausbreiten können.

Am Anfang wurden in Deutschland noch Klopapier-Rollen gehamstert und Corona-Witze erzählt. Wussten Sie als Zukunftsforscher da schon, dass die Situation doch ernster ist?

Flessner: Das mit dem Klopapier haben wir übrigens nicht vorhergesehen, alles andere aber schon. Irgendwann war meinen Kollegen und mir klar, dass das auf diese erste Pandemie des 21. Jahrhunderts hinausläuft. Mir ist es zum Teil so vorgekommen, als würde ich einen Film sehen, zu dem ich das Drehbuch schon kenne.

Hat der Film wenigstens ein gutes Ende?

Flessner: Durchaus. Aber das ist immer eine Frage der Perspektive. Auf die 30.000 Toten, die wir schon haben, trifft das natürlich nicht zu. Sondern es ist die Gesamtheit damit gemeint mit dem guten Ende, also zum Beispiel die Impfstoffentwicklung innerhalb von nicht einmal einem Jahr – das ist schon sensationell. Die Impfung wird die Pandemie 2021 weitgehend eindämmen.

Also wird nächstes Jahr alles wieder normal und wir leben wie vor Corona?

Flessner: Nein. Aber das ist zu großen Teilen auch gar nicht so schlecht. Etwa, weil wir uns daran gewöhnt haben, die verschiedenen Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen. Die hatten wir früher zwar auch schon, aber erst jetzt gebrauchen wir sie wirklich. Davon profitierten zum Beispiel die Universitäten, die sehr gut darauf vorbereitet waren, wesentlich besser als unsere Schulen, die eher schlecht vorbereitet waren. Es profitieren auch die Industrie und die Geschäftswelt. Manche Firmen lösen zum Teil sogar schon ihre Büroräume auf. Sie haben festgestellt, dass man vieles auch im Homeoffice machen kann. Davon wird vieles beibehalten werden.

Welche Folgen hat das auf die Art wie wir leben?

Flessner: Der Wohnort wird nicht mehr so sehr die große Rolle spielen. Der Trend zur Urbanisierung ist jetzt schon etwas gebrochen. Er hat sich zum Teil schon umgekehrt in einen Ruralisierungstrend, also hin zum Land. Dort wohnt man günstiger und es gibt alles, was man braucht. Dazu kommt ein anderes soziales Umfeld als in der Stadt und man hat einen großen Garten. Ich schätze das sehr, baue viel an und bin Teilselbstversorger. Diese Teilselbstversorgung wird auch nicht abnehmen. In der Stadt nimmt das übrigens auch zu, dass die Menschen Obst und Gemüse selbst anbauen – man muss nur an Urban Gardening und Urban Farming denken.

Wird die Pandemie auch das weiter beschleunigen?

Flessner: Ja. Die Konsumenten sind gegenüber den Lieferketten skeptisch geworden – lange Lieferketten sind ja oft auch gar nicht erforderlich. Lebensmittel lassen sich auch vor Ort anbauen in neuartigen computergesteuerten Gewächshäusern etwa. Das wird sich künftig steigern, man kann günstig produzieren und hat lokale und regionale Produkte. Der Trend war schon vorher da, Corona beschleunigt ihn.

Vieles wird digital bleiben

Was macht Corona mit unserem Urlaub? Reisen wir weiter nur ins Umland?

Flessner: Da wird es keinen einheitlichen Trend geben, sondern einen ganzen Fächer. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass Urlaub im eigenen Land ein ganz starker Trend sein wird. Wanderurlaub, Fahrradurlaub – das wird stark sein.

Was wird uns sonst von der Pandemie bleiben?

Flessner: Die Nutzung der digitalen Infrastruktur, wir werden weiter Videokonferenzen abhalten und nicht mehr für eine Stunde in eine andere Stadt fahren, nur um dort an einer Konferenz teilzunehmen. Auch der Lehrbetrieb an der Uni wird teilweise weiter digital laufen. Ich mach das ja jetzt auch schon im zweiten Corona-Semester und es läuft echt gut.

Wie steht es um die Zukunft der Kultur und der Gastronomie?

Flessner: Das werden trotz Hilfen nicht alle durchhalten können. Wir haben eine veränderte Kultursituation und auch eine veränderte Lage innerhalb der Gastronomie. Da wird es zwar zur Erholung kommen – allerdings erst langfristig. Wir haben ja ohnehin schon ein Wirtshaussterben hinnehmen müssen. Ein Teil dessen, was wir jetzt erleben, wird beibehalten werden: selbst kochen und Lieferservice. Das sind die beiden Gewinner der Pandemie.

"Dann gehen wir auch als Gewinner aus so einer Krise hervor"

Im Sommer könnten wir so gut wie durch sein, sagen Sie. Nur: Wann kommt die nächste Pandemie? Und: Sind wir dann wenigstens besser darauf vorbereitet?

Flessner: Das kommt ganz darauf an, was wir aus dieser Pandemie lernen und welche Konsequenzen wir daraus ziehen. Wir müssen die Schulen dahingehend stärken, dass die viel digitaler arbeiten können. Sobald etwas heran rauscht, müssen wir digitalen Unterricht ermöglichen können. In den Kliniken brauchen wir 3D-Drucker, die Schutzanzüge und Masken produzieren können – so müssen wir diese nicht lagern, sondern können bei Bedarf ausreichend herstellen. Wir müssen fitter werden im Homeoffice – nicht nur technisch, sondern auch sozial. Da geht es auch um Fragen, wie man im Homeoffice seinen Alltag strukturiert. Dann gehen wir auch als Gewinner aus so einer Krise hervor als ganze Gesellschaft.

Und wie wird sie jetzt, die Zukunft?

Flessner: Ich denke, wenn wir als Gesellschaft lernen, dann kann sie durchaus besser werden. Auch dadurch, dass wir jetzt die eigentlich gravierende Krise, nämlich den Klimawandel, besser in den Griff bekommen. Der ist unser eigentliches Problem und man kann leider nicht innerhalb eines Jahres einen Impfstoff dagegen entwickeln.

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