Das Schuljahr verschenken

1.3.2021, 18:44 Uhr
Das Schuljahr verschenken

© Foto: Marc Müller dpa

Die Anforderungen an Lehrkräfte sind durch Corona gestiegen – der Frust auch.

Viele Lehrer sind an dem Punkt "Das krieg ich in meinem Hirn nicht zusammen". Diese zwiespältigen Gefühle haben wir überall in der Gesellschaft. Schauen Sie sich die streikenden Jugendlichen an. Es muss ein für alle nachvollziehbares Konzept gesamtgesellschaftlich her. Es passt nicht zusammen, dass ich mit 14 Kindern im Klassenzimmer sitze oder im Kindergarten und der Normalbetrieb läuft, aber in den riesigen Karstadt darf ich nicht. Dafür machen die Gartencenter auf, die Gastronomie darf aber wiederum nicht. Diese Nicht-Verstehbarkeit führt zu Widerständen.

Welche klaren Linien sind die Voraussetzungen für einen Schulhaus-Betrieb?

Eine Impf- und eine Teststrategie sowie ein klares Hygienekonzept. Mit dem Testkonzept lässt der Gesundheitsminister den Kultusminister im Regen stehen. Deshalb kommen die Kultusministeriellen Schreiben ja auch so spät. Auch mit der Impfstrategie eiern wir rum. Und Raumlüfter gibt es ebenfalls noch nicht überall. Die Lehrkräfte fühlen: "Geschützt bin ich aber nicht." Und versuchen trotzdem, Widersprüche auszublenden, weil sie die Kinder vor Augen haben.

Wo sind politisch gesehen die Haken?

Wir haben im Hintergrund einen Bundestagswahlkampf, den wir in Bayern nicht unmaßgeblich mitgestalten, plus einzelne Landtagswahlen. Das ist eine politische Dynamik, die ihresgleichen sucht. Deshalb machen wir meiner Meinung nach derzeit auch viel zu wenig Sachpolitik.

Aber es gibt doch Leitfäden, ein Hygienekonzept, einen Digitalpakt, es gibt Filterprogramme und FFP2-Masken . . .

Das ist der Punkt. Wir waren bisher alle deutsch geprägt, alles muss gleich sein: fair, tipptopp organisiert und in der dritten Klasse, in der zweiten Februarwoche, muss überall der gleiche Mathestand abrufbar sein und die gleiche Probe geschrieben werden, mit dem gleichen Bewertungsmaßstab, damit das Kind die gleichen Chancen fürs Gymnasium hat. Dabei wissen wir doch: Nix ist gleich.

Was meinen Sie damit?

Man hält doch immer am Normalen fest. Manche Politiker schachern mit mir darum, dass man doch mit ein paar weniger Proben die Übergangszeugnisse machen könnte und vielleicht reicht zum Übertritt dann ja auch die 3,0 – da komme ich mir wirklich vor wie auf dem türkischen Basar. Wir sind schon im Februar. Wie sollen wir denn da noch Normalität für dieses Schuljahr schaffen?

Was fordern Sie?

Den Kindern darf dieses Schuljahr geschenkt werden als freiwilliges individuelles Jahr, das nicht zu Buche schlägt auf ihre Schullaufbahn. Das wäre richtig mutig und würde den Druck rausnehmen. Ich gebe Ihnen Brief und Siegel, dass das ja gar nicht so viele annehmenwerden. Aber es hilft eben denen, die schon vor Corona gelitten haben und jetzt drohen, durch alle Raster zu fallen. Doch das passt leider nicht ins System, weil wir viel zu sehr fokussiert sind auf Leisten und Aussortieren. Deshalb halten wir auf Biegen und Brechen daran fest, dass das ein normales Schuljahr werden muss.

Das Schuljahr verschenken

© Foto: BLLV

Wie haben Politiker reagiert auf Ihren Vorschlag?

Ich weiß, die Formulierung "Wir schenken ein Schuljahr" ist ganz schwierig. Der Kultusminister hat sofort gesagt, Freigabe des Elternwillens beim Übertritt aufgrund von Beratung der Lehrer gibt’s auch in Coronazeiten nicht. Söder hat im Parlament ebenfalls eine Absage erteilt, von wegen "Wir können da nicht einfach die Noten wegnehmen". Jeder redet von der Bildungsungerechtigkeit. Und was machen wir? Festhalten am System. Machen wir doch endlich die Schule für die Kinder passend und nicht die Kinder für die Schule.

Sie sehen Corona auch als Chance?

Corona beleuchtet die Schmuddelecken des bayerischen Schulsystems. Die Systembewahrer hoffen jetzt, dass Corona bald vorbeigeht, damit das Licht wieder aus ist. Wir könnten aber auch putzen.

Abgesehen von der mangelhaften Digitalisierung – was ist noch schmuddelig?

Wer ist der Bildungsgewinner von Corona? Derjenige, der selbständig lernen kann. Bringen wir das den Kindern bei? Ja, es gibt einen kompetenzorientierten Lehrplan. Ja, es gibt eine AG "Lernen lernen". Aber trotzdem können es viele Kinder noch nicht, wie sich gerade zeigt. Es geht darum, dass sich die Kinder in jedem Fach im digitalen Dschungel der Informationen zurechtfinden, um in ihrem eigenen Tempo mit ihrem eigenen Können und orientiert an allgemeinen Bildungszielen zu lernen.

Sie sind in Kontakt mit Piazolo, Schröder, anderen Ministern. Was machen die Politiker für einen Eindruck auf Sie?

Die Wahrnehmung, dass nichts mehr normal ist, steht. Die Wahrnehmung, dass man festhalten will, aber auch. Ich erlebe bei ihnen Druck und nicht die Freiheit, innovative Lösungen gehen zu können. Ich erlebe eine scharfe Opposition. Ich erlebe einen Kultusminister, der eigentlich genau weiß, was es bräuchte, der für meine Begriffe nicht die Freiheit hat, das richtige für Kinder und Jugendliche zu tun. Und ich erlebe einen Ministerpräsidenten auf dem Weg zum Bundeskanzler, der hinhört, der versteht, aber der die Politik macht, die ihm zuträglich ist. Es gibt zu viele Systembewahrer. Systeme bewahren erzeugt bei der Bevölkerung keinen Widerstand. Da werde ich als Politiker in der Regel wiedergewählt. Wenn ich gewählt werde, darf ich bei meinen Stammwählern wiederum nicht anecken. Die, die wirklich bildungspolitisch denken und lieber die Wählerstimme verlieren als das einzelne Kind, die erfahren Widerstand.

Die Anforderungen an Lehrkräfte sind durch Corona gestiegen – der Frust auch. Wie erleben Sie die Situation?

Viele Lehrer sind an dem Punkt "Das krieg ich in meinem Hirn nicht zusammen". Und diese zwiespältigen Gefühle haben wir überall in der Gesellschaft. Schauen Sie sich die streikenden Jugendlichen an. Es muss ein für alle nachvollziehbares Konzept nicht nur für die Schule, sondern gesamtgesellschaftlich her. Es passt nicht zusammen, dass ich mit 14 Kindern im Klassenzimmer sitze oder im Kindergarten der Normalbetrieb läuft, aber in den riesigen Karstadt darf ich nicht. Dafür machen die Gartencenter auf, die Gastronomie darf aber nicht. Diese Nicht-Verstehbarkeit führt zu Widerständen.

Welche klaren Linien sind die Voraussetzungen für einen Schulhaus-Betrieb?

Eine Impf- und eine Teststrategie sowie ein klares Hygienekonzept. Mit dem Testkonzept lässt der Gesundheitsminister den Kultusminister im Regen stehen, deshalb kommen die Kultusministeriellen Schreiben ja auch so spät. Auch mit der Impfstrategie eiern wir rum. Und Raumlüfter gibt es auch noch nicht überall. Die Lehrkräfte fühlen "Geschützt bin ich aber nicht" und versuchen trotzdem, Widersprüche auszublenden, weil sie die Kinder vor Augen haben.

Wo sind politisch gesehen die größten Haken?

Wir haben im Hintergrund einen Bundestagswahlkampf, den wir in Bayern nicht unmaßgeblich mitgestalten, plus einzelne Landtagswahlen. Das ist eine politische Dynamik, die ihresgleichen sucht. Ich glaube, dass wir gerade deshalb zu wenig Sachpolitik machen.

Aber es gibt doch Leitfäden, ein Hygienekonzept, einen Digitalpakt, es gibt Filterprogramme und FFP2-Masken…

Das ist der Punkt. Wir waren bisher alle so Deutsch geprägt, dass alles gleich sein muss: fair, tipptopp organisiert und in der dritten Klasse in der zweiten Februarwoche muss überall der gleiche Mathestand abrufbar sein und die gleiche Probe geschrieben werden mit dem gleichen Bewertungsmaßstab, damit das Kind die gleichen Chancen fürs Gymnasium hat. Dabei wissen wir alle: Es ist nix gleich.

Was meinen Sie damit?

Man hält immer am Normalen fest. Manche Politiker schachern mit mir darum, dass man mit ein paar weniger Proben die Übergangszeugnisse machen könnte und vielleicht reicht zum Übertritt die 3,0 – da komm ich mir vor wie auf dem türkischen Basar. Wir sind schon im Februar. Wie sollen wir noch Normalität für dieses Schuljahr schaffen?

Was fordern Sie?

Den Kindern darf dieses Schuljahr geschenkt werden als freiwilliges individuelles Jahr, das nicht zu Buche schlägt auf ihre Schullaufbahn. Das wäre richtig mutig und würde den Druck rausnehmen. Ich gebe Ihnen Brief und Siegel, dass das ja gar nicht so viele annehmen. Aber es hilft denen, die schon vor Corona gelitten haben und jetzt drohen, durch alle Raster zu fallen. Doch das passt leider nicht ins System, weil wir viel zu sehr fokussiert sind auf Leisten und Aussortieren. Deshalb halten wir auf Biegen und Brechen daran fest, dass das ein normales Schuljahr werden muss.

Wie haben Politiker reagiert auf Ihren Vorschlag?

Ich weiß, die Formulierung "Wir schenken ein Schuljahr" ist ganz schwierig. Der Kultusminister hat sofort gesagt, Freigabe des Elternwillens beim Übertritt aufgrund von Beratung der Lehrer gibt’s auch in Coronazeiten nicht. Söder hat im Parlament auch eine Absage erteilt, von wegen "Wir können da nicht einfach die Noten wegnehmen". Jetzt redet jeder von der Bildungsungerechtigkeit. Und was machen wir damit? Festhalten am System. Kinder, Lehrkräfte, Eltern weiter unter Druck setzen. Machen wir doch endlich die Schule für die Kinder passend und nicht die Kinder für die Schule.

Sie sehen Corona auch als Chance?

Corona beleuchtet die Schmuddelecken des bayerischen Schulsystems. Die Systembewahrer hoffen jetzt, dass Corona bald vorbeigeht, damit das Licht wieder aus ist. Wir könnten aber auch putzen.

Abgesehen von der mangelhaften Digitalisierung – was ist noch schmuddelig?

Wer ist denn der Bildungsgewinner von Corona? Der, der selbständig lernen kann. Bringen wir das den Kindern in unserem Bildungssystem bei? Ja, es gibt einen Kompetenzorientierten Lehrplan. Ja, es gibt eine AG "Lernen lernen". Aber trotzdem können es viele Kinder nicht, wie sich gerade zeigt. Es geht darum, dass sich die Kinder in jedem Fach im digitalen Dschungel der Informationen zurechtfinden, um in ihrem eigenen Tempo mit ihrem eigenen Können und orientiert an allgemeinen Bildungszielen zu lernen.

Sie sind in Kontakt mit Piazolo, Schröder, anderen Ministern. Was machen die Politiker für einen Eindruck auf Sie?

Ich sag’s mal ganz allgemein. Die Wahrnehmung, dass nichts mehr normal ist, steht. Die Wahrnehmung, dass man auf Biegen und Brechen festhalten will, aber auch. Ich erlebe bei ihnen diesen Druck und nicht die Freiheit, innovative und kreative Lösungen gehen zu können – weil sie festhalten. Ich erlebe eine scharfe Opposition. Ich erlebe einen Kultusminister, der eigentlich genau weiß, was es bräuchte, der für meine Begriffe nicht die Freiheit hat, das richtige für Kinder und Jugendliche zu tun. Und ich erlebe einen Ministerpräsidenten auf dem Weg zum Bundeskanzler, der hinhört, der versteht, aber der dann halt die Politik macht, die ihm zuträglich ist. Es gibt zu viele Systembewahrer. Systeme bewahren erzeugt bei der Bevölkerung erstmal keinen Widerstand. Da werde ich als Politiker wiedergewählt. Und wenn ich gewählt werde, darf ich bei meinen Stammwählern nicht anecken. Die, die wirklich bildungspolitisch denken und die lieber die Wählerstimme verlieren als das einzelne Kind, die erfahren Widerstand.

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