Elite-Präsident: Was Nürnberg von Stanford lernen kann

15.8.2018, 12:36 Uhr
Er sei wohl der erste Präsident, der das deutsche Motto der Universität richtig aussprechen könne, hat Gerhard Casper (li.) gesagt. 2010 besuchte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Standford Universität.

© Monica M. Davey/dpa Er sei wohl der erste Präsident, der das deutsche Motto der Universität richtig aussprechen könne, hat Gerhard Casper (li.) gesagt. 2010 besuchte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Standford Universität.

Gerhard Casper übernahm die renommierte Stanford University in schwierigen Zeiten. Er baute den Campus nach einem Erdbeben neu auf, die Lehre um, die Finanzierung aus, die Bürokratie ab. Sieben Wissenschaftler gewannen in seiner Amtszeit einen Nobelpreis. Nie zuvor gab es so viele neu eingeschriebene Studenten. Der gebürtige Hamburger hat inzwischen die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen und lebt noch immer in der Nähe "seiner" Universität in Kalifornien. Für die Sitzungen der Kommission zur Entwicklung der neuen Technischen Universität in Nürnberg kommt er regelmäßig nach Deutschland.

NZ: Herr Casper, wenn Sie noch einmal studieren könnten, würden Sie sich für die neue TU Nürnberg entscheiden?

Gerhard Casper: Ja, absolut! Allerdings nur, wenn die Empfehlungen unserer Kommission auch wirklich umgesetzt werden. Dann würde ich mit Begeisterung an die neue Universität gehen!

NZ: Warum?

Casper: Unter anderem, weil es eine ganz neue Campus-Universität sein wird. Wir haben das Gelände an der Brunecker Straße besichtigt und ich muss sagen, da ist noch viel zu tun. Außerdem ist Nürnberg eine sehr attraktive Stadt mit unglaublichen geschichtlichen Dimensionen. Meine Sorge ist aber, und das habe ich dem Wissenschaftsministerium immer wieder versucht zu sagen, dass die neue Universität architektonisch schrecklich langweilig werden könnten.

NZ: Oh oh, das heißt?

Casper: Es gibt andere bayerische Neugründungen, bei denen die Architektur wenig herausragt. Wissen Sie, Architektur ist die einzige Kunstform, der man nicht entrinnen kann. Sie können sich weigern, ins Germanische Nationalmuseum zu gehen oder in ein Konzert. Sie können sich auch weigern, in ein Gebäude zu gehen, aber wenn es von außen attraktiv ist, kommen sie nicht umhin, hinzusehen. Ich hoffe sehr, dass der Freistaat den neuen Campus wirklich gut durchdenkt und mit einem Architekten-Wettbewerb angehen wird. Damit auch die bauliche Umgebung eine Inspiration für die Studenten ist und daran nicht gespart wird.

NZ: Wie sind Sie das in Stanford nach dem Erdbeben angegangen?

Casper: Als ich hier ankam hatte die Universität natürlich einen Architekten. Der Präsident spielte da keine Rolle. Da habe ich beschlossen: Bei jedem größeren Projekt machen wir einen Architekten-Wettbewerb, dem ich vorstehe. So ist es uns gelungen, in kurzer Zeit einige der besten Architekten der Welt nach Stanford zu bringen. Das lief so gut, dass Mitte der 90er Jahre Norman Foster mir schrieb, dass er gerne zum Wettbewerb eingeladen werden möchte. Dabei schätzen Architekten das im Allgemeinen wenig, weil sie erst mal viel Geld investieren müssen ohne Erfolgsgarantie.

NZ: Wie sollte die Architektur auf dem neuen Campus in Nürnberg sein?

Casper: Mutig und markant! Das scheint mir sehr wichtig zu sein. Wenn das erreicht wird, dann komme ich in meinem nächsten Studentenleben nach Nürnberg!

NZ: Sie dürfen eine ganz neue Universität planen. Was ist Ihr größter Wunsch dafür?

Casper: Mein größter Wunsch ist eine Verschränkung von Forschung und Lehre und zwar für alle Studenten einschließlich der Anfänger. Mein für mich größter Durchbruch in Stanford war, dass wir den Studenten des ersten und zweiten Jahres ermöglichen, an aktueller Forschung teilzuhaben. Das heißt, sie kommen direkt von der Schule und haben ein Seminar mit maximal 15 Teilnehmern, in dem sie sehen, woran die Professoren gerade arbeiten und was sie antreibt. Das ist im Grundsatz die humboldtsche Idee, dass von Anfang an auch ganz junge Studenten sehen wie Forschung funktioniert. Wir bieten so viele Kurse an, dass jeder, der will, sie belegen kann und und drei Viertel nutzen diese Chance auch. In dieser Radikalität und so flächendeckend hat es das vorher an anderen Unis nicht gegeben. Das war mir sehr wichtig. Es hält sich bis heute und alle Beteiligten sind begeistert davon. Diese Verbindung von Forschung und Lehre wollen wir auch an der TU Nürnberg erreichen und ich hoffe sehr, das sich das durchsetzen lässt.

NZ: Ist es eine Chance oder eine Schwierigkeit, eine Uni ganz neu aufzubauen?

Casper: Eine große Chance! Ich hatte schon wichtige Führungspositionen an verschiedenen Universitäten auf der Welt, aber ich habe mich noch nie hingesetzt und überlegt, was ist denn nun wichtig, in einer neuen Universität zu erreichen? Die Chance ist also ungeheuer groß.

NZ: Wie wollen Sie das nutzen?

Casper: Einer der neuen Aspekte in Nürnberg ist, dass von Anfang an sehr viel Wert auf digitale Lehre gelegt werden soll. Damit meine ich nicht, dass die Studenten alle in ihren Zimmern sitzen und nur noch aufgezeichnete Vorlesungen anschauen. In keiner Weise. Sondern, dass sich die Studenten selbstständig zu Hause mit digital bereitgestellten Materialien vorbereiten, um dann die Zeit mit dem Professor zur Diskussion von Problemen und Lösungen zu nutzen. Ein anderer Aspekt ist die Betonung der Interdisziplinarität. Im Departement Biological Engineering arbeiten beispielsweise Ingenieure und Biologen zusammen, um darüber nachzudenken, wie sie voneinander profitieren können. Das ist nicht unbedingt neu, in Stanford haben wir seit etwa zehn Jahren ein Bioengineering Departement und das gibt es auch an anderen Hochschulen in Deutschland. Aber hier wird das systematisch von Anfang an für alle Bereiche gemacht.

NZ: Können denn alle Disziplinen gut zusammenarbeiten?

Casper: Die schwierigste Aufgabe wird sein, die Geistes-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in eine Technische Universität zu integrieren. Dabei soll es vor allem darum gehen, welche Beiträge sie zu technologischen Forschungsfragen und Entwicklungen leisten können. Da ist es sehr wichtig, die richtigen Personen zu finden, die bereit sind, sich grundsätzlich interdisziplinär zu engagieren.

NZ: Denken Sie, dass es schwierig wird, an eine neue Universität sehr gute Professoren zu berufen?

Casper: Ja, das wird sehr schwierig. Da muss man die richtigen Anreize schaffen. Ein Argument könnte das gute Betreuungsverhältnis zwischen Professoren und Studenten von eins zu 25 sein, das wir anstreben. Das wäre eine Attraktion für Professoren. Der Durchschnitt in Deutschland ist eins zu 60 und vielerorts wesentlich schlechter. In Stanford haben wir ein Verhältnis von eins zu zehn. Außerdem schlagen wir vor, junge Professoren zu berufen und ihnen gute Aufstiegschancen zu bieten. So verbindet man die Uni von Anfang an mit der Zukunft statt mit der Vergangenheit.

NZ: Bei einem derart guten Betreuungsschlüssel könnten andere Universitäten sagen, ja das hätten wir auch gerne, aber uns fehlt das Geld dafür.

Casper: Richtig. Ich kenne die Details des bayerischen Haushalts nicht, aber wenn ich das Wissenschaftsministerium wäre, dann würde ich in der Tat energisch daran arbeiten, das Betreuungsverhältnis für alle Universitäten zu senken. Eine der allergrößten Schwächen deutscher Universitäten ist es, dass ihnen seit den 60er Jahren erlaubt wurde, an Studenten stark zu wachsen, ohne dass der Lehrkörper entsprechend vergrößert wurde. Als ich studiert habe, sind nicht mehr als fünf Prozent eines Jahrgangs an eine Hochschule gegangen, inzwischen sind es etwa 50. Ich sage schon seit Jahren, dass die deutschen Universitäten absolut unterfinanziert sind. Wenn es in Nürnberg gelingt, diesen niedrigen Schlüssel zu haben und das dann als Modell für andere bayerische und deutsche Universitäten gesehen wird, dann wäre das ein Durchbruch. Aber das werde ich nicht mehr miterleben.

NZ: In Nürnberg und Erlangen wurde kontrovers diskutiert, ob es diese neue Uni überhaupt braucht. Was sagen Sie dazu?

Casper: Das ist mir klar, ja. Allerdings kam die Kommission erst zusammen als die Entscheidung schon getroffen war. Wir haben uns mit den Präsidenten der Uni Erlangen-Nürnberg und der Technischen Hochschule Nürnberg getroffen und ich hoffe sehr, dass es gelingen wird, mit den bestehenden Hochschulen zusammenzuarbeiten. Nach den Gesprächen habe ich den Eindruck, dass die Chance dafür besteht. Natürlich wird es auch Wettbewerb untereinander geben. Aber nicht unbedingt mit genau denselben Prioritäten.

NZ: Belebt die Konkurrenz das Geschäft? Oder nehmen sich die Unis die Gelder in Zukunft weg?

Casper: Bayern ist zum Glück ein Land, das anscheinend sehr viele Steuergelder zur Verfügung hat. Die Landesregierung hat wiederholt gesagt, dass neue Gelder für die neue Universität bereitgestellt werden und auch die bestehenden Hochschulen mehr Geld bekommen. Aber das ist nur der Anfang. Am Ende der Aufbauphase nach zehn Jahren wird diese Art der Freigiebigkeit wohl nicht mehr bestehen.

NZ: Also Konkurrenz?

Casper: Konkurrenz ist außerordentlich gut. In Deutschland gibt es in den vergangenen 20 Jahren endlich mehr Konkurrenz, unter anderem durch die Exzellenzinitiative, an deren Bewertung ich auch beteiligt war. In Amerika gibt es einen ungeheuren Wettbewerb und zwar nicht nur unter den privaten wie Stanford, Harvard und Yale, sondern auch mit den öffentlichen Universitäten. Für uns ist zum Beispiel die 60 Kilometer entfernte University of California in Berkeley ein starker Mitstreiter. Ich glaube, die Tatsache, dass von den führenden zehn Universitäten der Welt mindestens acht in den USA sind, ist weitgehend darauf zurückzuführen, dass sich die Universitäten nie hingesetzt haben und selbstzufrieden waren.

NZ: Können deutsche Universitäten, eingebunden in staatliche Finanzierung und Kontrolle, überhaupt unternehmerisch agieren?

Casper: Das gehört auch zu den Reformen, die wir für Nürnberg vorschlagen. Die Leitungs- und Führungsstruktur soll anders und weniger bürokratisch sein. Wichtig ist, dass in der Leitung viele zusammenarbeiten, auch die Vorsitzenden der geplanten sechs Departements und andere Entscheider. Fakultätsdekane haben in Deutschland oft nur eine Amtszeit von ein bis drei Jahren, das ist zu kurz, um wirklich etwas gestalten zu können. Wir schlagen fünf Jahre vor und den Auftrag, sich den größten Teil ihrer Zeit wirklich dieser Aufgabe zu widmen. Wir wollen das so wenig hierarchisch anlegen wie irgend möglich. Das ganze Vorhaben – die Gründung der neuen Universität – ist auf vielen Gebieten sehr sehr ehrgeizig. Und ich hoffe sehr, dass im Laufe der Zeit nicht verwässert wird, was wir uns vorgenommen haben.

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