LiteratuReise: Marbach, eine „Schillernde“ Stadt

4.10.2018, 12:45 Uhr
Ein Denkmal für Friedrich Schiller in seiner Geburtsstadt Marbach am Neckar

© Nicole Lemberg Ein Denkmal für Friedrich Schiller in seiner Geburtsstadt Marbach am Neckar

Stuttgart, Jena, Leipzig – die Liste von Schillers Reisezielen scheint endlos. Angefangen hat alles im beschaulichen Marbach – knapp 20 Kilometer von Stuttgart entfernt und direkt am Neckar gelegen.
Am Ortseingang werden Pendler, Einheimische und Durchreisende von einem großen Schild begrüßt: „Schillerstadt Marbach“ heißt es darauf. 1759 wurde hier einer der größten Dichter Deutschlands als Sohn eines Offiziers und Hofgärtners geboren.
Die Familie lebte mit sechs Kindern – Johann Christoph Friedrich hatte fünf Schwestern (!) – in nur einem einzigen Raum des Fachwerkhauses. Nur knapp vier Jahre seines Lebens hat der kleine Schiller in Marbach verbracht – und trotzdem taucht sein Name heute an allen Ecken des Ortes wieder auf: Schillerhöhe, Schiller-Gymnasium, Schiller-Apotheke. Es scheint fast so, als habe er die schwäbische Provinz niemals verlassen.
Die Tür knarzt leise. Kurz durchflutet etwas Licht den abgedunkelten Raum mit gedämpften Leuchten an den massiven Steinwänden. Eine Familie betritt den Raum. Neugierig schaut sich das Ehepaar um, dahinter ein junges Mädchen. Es wendet den Blick nicht von seinem Smartphone in der Hand. Was drum herum passiert, scheint den Teenager wenig zu interessieren.

Ein echter Fan

Eine Frau steht hinter ihrem Empfangstresen auf und strahlt. „Willkommen im Geburtshaus von Friedrich Schiller“, begrüßt sie die Besucher. Regine Widmann ist ein echter Schiller-Fan. Die Mitarbeiterin der Gedenkstätte weiß bestens über das Leben des berühmten Dichters Bescheid. Nicht umsonst ist sie seit knapp 20 Jahren Mitglied des Schillervereins Marbach.
Mit ungebremstem Enthusiasmus beschreibt die 61-Jährige Schillers Weg aus Marbach, die Ausbildung zum Militär-Arzt und seine ersten Gehversuche als Schriftsteller. „Habt ihr denn schon ,Die Räuber‘ in der Schule gelesen?“, fragt sie das Mädchen, das verdutzt von seinem Handy aufblickt. Es schüttelt zögerlich den Kopf. „Wilhelm Tell vielleicht?“ Lachend verneint sie auch diese Frage.
Als Schiller 1805 in Weimar starb, war sein Geburtshaus in Marbach in Vergessenheit geraten. Erst 1859, pünktlich zu seinem 100. Geburtstag, öffnete der Marbacher Schillerverein im restaurierten Fachwerkhaus die Tore für Besucher. Seitdem beherbergt die Gedenkstätte Bilder, Briefe und Gegenstände aus der Kindheit des Dichters.
Ein Gang an schlichten Vitrinen vorbei zeigt den Besuchern die einfache Welt, in der Schiller gelebt hat – bevor er zum erfolgreichen Schriftsteller wurde. 1903 folgte die Eröffnung des Schiller-Nationalmuseums. Marbach stieg zum Zentrum der Schillerverehrung auf. Heute ist die schwäbische Stadt durch die Gründung des deutschen Literatur-Archivs ein Wallfahrtsort für Lesebegeisterte und Literaturliebhaber.
Knapp 9000 Besucher fanden im vergangenen Jahr den Weg in das Haus, in dem Schiller seine ersten Jahre verbracht hat. Viele reisen extra aus dem Ausland nach Marbach, um auf den Spuren des populären Schriftstellers zu wandern. Das Gästebuch des kleinen Museums ist gefüllt mit Sprüchen in allen möglichen Sprachen.

Gast aus Dänemark

„Schiller rocks“ steht auf einer Seite. „Schiller für Europa!“ auf einer anderen. „Neulich war ein Radfahrer aus Dänemark hier. Er kam nur durch Zufall vorbei, aber er kannte sich bestens aus“, erzählt Regine Widmann. „In Dänemark lesen sie Schiller, warum also nicht mehr in Deutschland?“ Sie schüttelt verärgert den Kopf.
Die Kinder lernen heute viel zu wenig über den Dichter, findet sie. „Statt in Freizeitparks zu fahren, sollten die Schulen lieber sinnvolle Ausflugsziele wählen.“ Wenn es nach Regine Widmann geht, sollten vor allem die Marbacher besser über den berühmtesten Sohn der Stadt Bescheid wissen. Ein älterer Mann sitzt direkt vor dem Gasthaus „Goldener Löwe“ auf einer Bank. „Hier wurde 1732 Schillers Mutter geboren“, steht auf der Tafel direkt am Eingang. Ein paar Häuser weiter steht das Geburtshaus des Dichters.
Seelenruhig beobachtet er die Spaziergänger, die gemütlich die Marbacher Altstadt erkunden und das sommerliche Wetter genießen. Was er denn von Schiller wisse? „Na, der ist hier geboren.“ Und weiter? Er zuckt die Schultern. Nichts weiter.
Schillerwein, Schillerschokolade und Stoffbeutel mit Zitaten des Dichters stehen am Empfang der Gedenkstätte zum Verkauf. Der Schriftsteller ist ein Tourismusmagnet für die 15 000-Einwohner-Stadt.

Wichtiger Meilenstein

Die Schillerstadt lebt von ihrem Namen. Doch warum ist gerade Marbach so ein wichtiger Meilenstein für den Dichter, der in Leipzig, Jena und Weimar gelebt hat?
Regine Widmann ist sich sicher, dass auch die Stadt am Neckar einen Einfluss auf Schillers Freiheitsgedanken hatte, die später zu berühmten Werken wie ,Die Räuber‘ geführt haben. „Die ersten fünf Jahre des Lebens sind prägend, das ist mittlerweile bewiesen“, sagt sie überzeugt. „Und davon hat er die meiste Zeit in Marbach verbracht. Regine Widmann findet, die Marbacher müssten stolz sein auf ihre Schillerstadt, auf ihre Literaturhochburg.
Eine kleine Truppe Sonntagsausflügler bleibt kurz vor dem Geburtshaus stehen. „Da hat der Schiller also gewohnt“, sagt eine Frau interessiert und läuft einen Schritt auf die Infotafel am Eingang zu. „Das Einzige, was ich vom Schiller kenne, ist der Wein“, ruft ein anderer. Lachend geht die Gruppe weiter, keiner schaut zurück.
 

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