Ronja von Rönne — und die Krisenbewältigung am Meer

1.9.2016, 16:48 Uhr
Ronja von Rönne — und die Krisenbewältigung am Meer

© Foto: APA/ORF/Johannes Puch

Auch Ronja von Rönne lässt ihre Protagonistin Nora in ihrem Debütroman „Wir kommen“ ans Meer fahren. Vor Jahren schon hat sich die Fahrt ans Wasser bei Nora und ihrem Freund Karl als Krisenbewältigungsstrategie bewährt. Jetzt ist es wieder Zeit, denn inzwischen ist die Beziehung mit Leonie und Jonas auf eine polyamouröse Vierergruppe angewachsen, was das Konfliktpotenzial nicht unbedingt reduziert.

Und dann ist noch dieser Brief angekommen. Maja sei tot, steht in dem Brief. Maja, das ist Noras beste Freundin aus Kindheitstagen. Maja kommt auf die Idee, Nora macht mit, so war das schon immer, und dass Maja jetzt tot ist, kann gar nicht sein, findet Nora. Denn „solche Dinge haben wir immer abgesprochen“.

„Wir sind am Meer und haben festgestellt, dass wir gar nicht genau wissen, was wir hier machen sollen“, bemerkt Nora recht bald. Tatsächlich passiert den Vieren in ihrem Haus am Meer nicht sonderlich viel, außer dass sie sich in ihren Problemen suhlen, ihre Perspektivlosigkeit trotz aller Chancen beschwören und nach Bestätigung und Mitleid lechzen.

All dies hält Nora in einem Tagebuch fest – was ihr ein Therapeut empfohlen hat. Tagebuch, das klingt nach einer Anhäufung von Banalitäten. In „Wir kommen“ ist es ein Kunstgriff, der dem Roman guttut, der Ich-Erzählerin Nora viel Raum zum Reflektieren gibt und die Chance, das Erlebte in eigenwillige Sprache zu verpacken.

Und die macht – wie bei einer Verkaufssendung im Fernsehen – aus einem mittelmäßig-bodenständigen Gurkenhobel-Plot einen herausragenden Multi-Superslicer-Roman. Nora zerlegt Wörter und Wendungen in ihre Bestandteile, hinterfragt verbrauchte Formulierungen und gibt ihnen einen Drall ins Ironische.

So fliegt bei einer Autofahrt Landschaft am Fenster vorbei „wie es sich eben für Landschaft gehört“. Und Häuser haben Fenster, „die man als lugende Augen beschreiben würde, wenn einem keine bessere Beschreibung einfiele“.

Diesen schnoddrig-ironischen Tonfall ist man von Ronja von Rönne gewohnt. Das alles krönt sie noch mit amüsanten Formulierungen, die sich gut bei jedem Poetry Slam machen würden: Wenn sich Nora morgens die Zukunft ausmalt, dann ist diese „ziemlich schwarz, aber das macht zumindest schlank“, der Himmel ist „schmutzig von Vogelschwärmen“, und ein Fahrkartenkontrolleur sieht so aus, „als mache er sich nicht einmal die Mühe, seinen Curry King aufzuwärmen“.

Über das Ziel hinausschießen, damit kennt Ronja von Rönne sich aus. Steile Thesen und frontale Formulierangriffe sind die Spezialität der Autorin, die immer ein bisschen so wirkt, als schmolle sie, weil Papa ihr gesagt hat, sie solle sich erst einmal um die zwei Ponys, das Lama, die Schildkröte und den Hamster kümmern, bevor es ein weiteres Pferd gibt.

Mit ihrem polarisierenden Artikel „Warum mich der Feminismus anekelt“, den die 24-Jährige vor gut einem Jahr für das Feuilleton der Welt schrieb, löste sie so einen Shitstorm aus, dass sie zeitweise mit ihrem Blog „Sudelheft“ offline ging.

Herrlich entlarvend

Bemerkenswert ist, dass Ronja von Rönne sich in dem während dieser Zeit entstandenen Roman trotzdem nicht im Leisereden probiert. Stattdessen lässt sie Nora spitze Bemerkungen über die Generation „Y“ machen, die herrlich entlarvend sind, und zeichnet so ein sehr akkurates, aber auch niederschmetterndes Charakterbild der Millennial-Generation.

Als sich alles zuspitzt, weil sich alle nur selbstreflexiv in ihren eigenen Problemen wälzen und Maja sich immer noch nicht meldet, soll schließlich eine große Party im Haus am Meer alles wieder richten. Doch irgendwann vermögen auch Sekt, Selters und große Mengen Salzwasser nicht mehr zu helfen. Trotz bitterem Nachgeschmack für die Generation „Y“ macht dieser Debütroman Spaß und Lust auf – pardon – meer.

 

Ronja von Rönne: Wir kommen; Aufbau-Verlag, ISBN 978-3-351-03632-4, 18,95 Euro

 

 

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