1:4 beim HSV: Was sich beim Club dringend ändern muss

31.1.2020, 12:58 Uhr
Nach dem Abpfiff und der Pleite in Hamburg waren die Spieler des 1. FC Nürnberg restlos bedient.

© Sportfoto Zink / DaMa Nach dem Abpfiff und der Pleite in Hamburg waren die Spieler des 1. FC Nürnberg restlos bedient.

"In der ersten Halbzeit waren wir nicht gut im Spiel", wird Club-Coach Jens Keller nach dem Spiel sichtlich enttäuscht vor der Presse zu Protokoll geben. Und das ist wohl noch gnädig umschrieben. Auch wenn man im Nachhinein immer schlauer ist, muss sich wohl auch der 1. FC Nürnberg eingestehen: Die taktischen Kniffe vor dem Spiel, sie gingen aus Trainersicht krachend schief. So läuft Lukas Mühl als Rechtsverteidiger der Gäste beim Spiel gegen Ex-Club-Coach Dieter Hecking auf – das hatten wohl selbst ausgefuchste Experten nicht auf dem Zettel. Keller wollte überraschen, doch damit traf er wohl vor allem den Spieler selbst. In den ersten 30 Minuten kommt Mühl mit dieser Position überhaupt nicht zurecht, wird immer wieder durch gute Kombinationen der Hamburger ausgespielt.

13 Fehlpässe leistet sich Mühl insgesamt, Negativ-Bestwert. Schlechter macht es kein anderer Profi auf dem Platz. Was man hier jedoch dazusagen sollte: Auch der Rest der Mannschaft macht es beim ersten Auftritt 2020 nicht besser. Fast in jeder Situation wirken die Hamburger in der ersten halben Stunde frischer und wacher – im Kopf und in den Beinen. Der HSV spielt sich den Club aus Nürnberg nach Belieben zurecht. Schnell wird klar: Das Tor für die Hausherren liegt in der Luft.

Im Mittelfeld verhilft Keller einem jungen Burschen zu seinem Startelfdebüt – und beweist damit auch alles andere als ein glückliches Händchen: Adam Gnezda Cerin. Gemeinsam mit Geis soll der Youngster im Mittelfeld die Fäden ziehen und wirkt dabei ebenfalls überfordert. Das merkt auch dessen Trainer, der Cerin noch vor dem Pausenpfiff wieder vom Rasen nimmt. Höchststrafe für den noch jungen Profi beim Club!

Vom FC Arsenal ausgeliehen, soll Konstantinos Mavropanos die Löcher in der FCN-Abwehr stopfen. Doch bei seinem Debüt im Frankendress macht er die Tore erstmal ganz weit auf: Ziemlich unbeholfen foult er im eigenen Strafraum, der HSV verwandelt den Elfmeter durch Lukas Hinterseer anschließend zum 2:0 noch vor dem Pausenpfiff. Auch hier muss man dem Griechen zu Gute halten: Man sah deutlich, dass der Profi kaum Spielzeit bei den "Gunners" auf hohem Niveau in den letzten Monaten bekam. Und doch muss man unter dem Strich festhalten, dass damit drei wichtige Trainerentscheidungen krachend schiefgingen.

Dieser Lichtblick sollte trotz allem nicht verschwiegen werden: 51 Bälle bringt die Leihgabe aus England an den Mann – Bestwert an diesem Abend beim 1. FC Nürnberg. Wichtig wird hier nun definitiv sein, dass der Defensivspieler Spielminuten und Routine in die Beine bekommt, weswegen sich ein komplettes Fazit nach nur einem Spiel aus Respekt verbietet.

Nur kurz haben Fans im Stadion und vor den Bildschirmen das Gefühl, dass der Club noch einmal Zugriff auf dieses Spiel bekommen kann: Buchstäblich aus dem Nichts kommt die Truppe von Jens Keller nach einem Distanzschuss von Tim Handwerker zum 1:2-Anschlusstreffer. Ex-Club-Profi Tim Leibold spielte dabei den Ball "perfekt" in den Lauf des Außenverteidigers. Spätestens als der HSV nach Videobeweis und einem Handspiel durch Georg Margreitter zum 3:1 kommt, ist dieser kurze Höhenflug auch schnell wieder vorbei. Leibold macht seinen Fehler quasi wieder gut, weil er kurz vor Ende mit einer zauberhaften Flanke den Fuß des eingewechselten Gideon Jung findet – das 1:4 war gleichzeitig der Endstand für die am Ende enttäuschenden Gäste vom Valznerweiher.

Schlechteste Defensive der Liga

Aber auch wenn man weg von den reinen Personalien geht, macht der Blick auf die nackte Statistik deutlich: Der Club war viel zu harmlos in der Fremde. 16 Hamburger Schüssen stehen nur deren fünf auf Seiten von Nürnberg gegenüber. Heißt auch: Die Truppe von Dieter Hecking brachte im Schnitt jeden vierten Schuss im Club-Kasten unter – das ist so oder so zu viel für die Ansprüche des FCN und macht deutlich, dass die Neuzugänge die Löcher in der Defensive (noch) nicht stopfen können. Nur zweimal kommt der FCN in der gesamten Spielzeit im Strafraum des Gegners zum Abschluss – auch das ist schlichtweg zu wenig. Stand jetzt hat Nürnberg 38 Treffer kassiert, die schlechteste Defensive der Liga. Mehr Buden musste kein anderer Verein bislang hinnehmen.

In Sachen Zweikampfquote ist die Sache nicht ganz so deutlich: Die norddeutschen Gastgeber können über 90 Minuten rund 53 Prozent der Zweikampfduelle für sich entscheiden – die fränkischen Gäste haben hier mit 47 Prozent das Nachsehen. Jetzt bleiben zwei Sichten der Interpretation. Knappe Kiste oder eben: Hamburg hat aus den gewonnenen Duellen einfach deutlich mehr in Zählbares umgewandelt. Auch der Blick auf die geschlagenen Flanken unterstreichen das: Zehn Bälle bringen die Hamburger in die Box hinein – der Club muss sich hier mit fünf Versuchen begnügen. Mit Geis, Mavropanos, Handwerker und Frey geben lediglich vier Club-Spieler überhaupt einen Torschuss ab. Gefahr sieht definitiv anders aus.

Test bleibt Test

Zudem wird auch einmal mehr eine echte Weisheit im Fußball deutlich: Testspiele sollten nicht überbewertet werden. Während der Club nach der Gala gegen den FC Bayern München und dem abschließenden 5:0-Test gegen Sofia mehr als zuversichtlich in das Duell gegen Hamburg ging, waren dort die Vorzeichen komplett andere: Mit 2:5 vergeigten die Hecking-Schützen vor wenigen Tagen einen Test gegen den VfB Lübeck – seines Zeichens Regionalligist. Der Club muss nun schnell versuchen, die gemachten Fehler abzustellen, die Neuzugänge zu integrieren, denn eines ist klar: Egal gegen wen es in den kommenden Wochen und Monaten geht – ein leichtes Spiel wird es für Nürnbergs Herz- und Schmerzverein in dieser Saison nicht mehr geben. Trainerstab und Spieler werden alles daran setzen, kommenden Sonntag beim Heimspiel gegen den SV Sandhausen (Live-Ticker auf nordbayern.de) endlich den Bock umzustoßen.

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