Zengers Taktiktafel: Erzgebirge Aue

RB-Fußball, zumindest in der Theorie

22.7.2021, 12:02 Uhr
Erinnerungen an den Club-Sieg Ende April: Nikola Dovedan im Zweikampf mit Steve Breitkreuz.

© Sportfoto Zink / Daniel Marr, Sportfoto Zink / Daniel Marr Erinnerungen an den Club-Sieg Ende April: Nikola Dovedan im Zweikampf mit Steve Breitkreuz.

Wer steht an der Seitenlinie?

Als Aue im Juni Aleksey Shpilevski als Nachfolger von Dirk Schuster vorstellte, waren selbst unter Kennern der Szene die Fragezeichen nicht nur ob der Schreibweise groß. Aljaksej? Aloscha? Aleksey? Schpileuski? Shpileuski? Shplilevski? Wenn auch nicht völlig unbekannt in Deutschland, war der 33-jährige Belarusse dennoch eine überraschende Wahl. Zu diesem Zeitpunkt war Shpilevski Trainer des kasachischen Erstligisten Qairat Almaty. Mit dem Verein aus der ehemaligen Hauptstadt Kasachstans hatte er 2020 den Meistertitel geholt, den ersten des Vereins seit 2004.

Zuvor war Shpilevski für gerade einmal acht Spiele Trainer bei Dinamo Brest in Belarus gewesen. Dort war er sofort aufgefallen, hatte er doch mit Brest in der Europa-League-Qualifikation Damir Canadi, zu diesem Zeitpunkt Trainer von Atromitos Athen, später dann beim FCN, aus dem Wettbewerb geworfen. Kurz darauf war er aber – unter anderem weil Führungsspieler lieber in der Sauna dem Alkohol frönten als zu regenerieren – nach nur sechs Wochen und acht Spielen zurückgetreten. Drei Monate später landete er in Kasachstan und war dort zweieinhalb Jahre lang sehr erfolgreich.

Formativ für den in Minsk geborenen Shpilevski waren allerdings seine Jahre in Stuttgart und Leipzig. Beim VfB spielte er in der Jugend, musste dann mit 18 aber seine Karriere wegen Wirbelsäulenproblemen beenden. Nach etwas Pause und einem Jahr in Großaspach begann Shpilevski als 22-Jähriger als Trainer im Jugendbereich des VfB Stuttgart. Von dort wechselte er drei Jahre später zu Rasenballsport. Hier war er in verschiedenen Funktionen im Jugendbereich für insgesamt fünf Jahre tätig, ehe ihn die „Ungeduld“, wie es Shpilevski selbst sagte, nach Brest trieb, wo er als Cheftrainer arbeiten durfte.

Wie wird gespielt?

Wie zu erwarten bei einem Trainer aus der RB-Schule: 4-2-2-2 als Grundformation, Tempo, Druck, Balleroberung. Zumindest in der Theorie. Bei Kairat schaffte es Shpilevski, auch einige der Prinzipien auf beeindruckende Weise umzusetzen. Almaty war stark im Pressing, dominierte die Gegner durch frühe Balleroberungen, schoss knapp 20 Mal pro Spiel aufs Tor und war fast viermal so oft wie der Gegner im Strafraum.

Allerdings hatte Shpilevksi in Almaty für seinen aggressiven Tempofußball auch Spieler zur Verfügung, deren individuelle Klasse deutlich über dem durchschnittlichen Niveau der kasachischen Liga lag. Shpilevski selbst hatte diese einmal als vergleichbar mit der dritten Liga in Deutschland bezeichnet. Das Videostudium einiger Partien von Kairat legt nahe, dass diese Einstufung für manche Teams der ersten Liga in Kasachstan wohlwollend ist.

Es ist also die Frage, inwieweit Shpilevski diese Prinzipien auch in Aue aufs Feld bringen kann. Der letzte Trainer, der RB-Fußball in Aue spielen lassen wollte, war vor vier Jahren nach drei Niederlagen zu Saisonbeginn entlassen worden. Dass auch Shpilevski RB-Fußball spielen möchte, bewiesen die Testspiele der Sachsen. Immer wieder wurde versucht, die Gegner schon im Aufbau zu stören. Ziel war es, sie so zu erwischen, dass sie nicht in ihre Defensivordnung kommen konnten. Das klappte in den Testspielen so leidlich gut, nach dem Gewinn des Blitzturniers in Auerbach, unter anderem mit einem 3:0 gegen Fürth II, verloren die Veilchen gegen Erstligist Wolfsburg und Drittligist Magdeburg, ehe im letzten Test gegen Türkgücü München im Feuchter Waldstadion ein 2:0-Erfolg erzielt werden konnte.

Wer sind die Schlüsselspieler?

Die zentralen Figuren der letzten Saison sind fast alle weg: Florian Krüger (18 Torbeteiligungen) ist nach Bielefeld gewechselt, Pascal Testroet (21 Torbeteiligungen) nach Sandhausen, da er nicht zur Spielweise des neuen Trainers passt. Dazu haben mit Samson, Breitkreutz und Rizzuto erfahrene Defensivspieler den Verein verlassen. Offensivmann Jan Hochscheidt fällt obendrein mit einer Knieverletzung wochenlang aus.

Der Neuaufbau ist also in vollem Gange, das Team in der Findungsphase. Richten sollen es aber die, die schon länger da sind. Der ewige Martin Männel im Tor, Ex-Cluberer Florian Ballas und Sören Gonther in der Innenverteidigung. Ben Zolinski und Dimitri Nazarov in der Offensive. Legt man die vergangene Saison zugrunde, sind die beiden aber ebenso wenig in der Lage, die fehlende offensive Gefährlichkeit von Testroet und Krüger aufzufangen wie die Neuzugänge Kühn und Sijaric.

Selbstverständlich sind solche saisonübergreifenden Zahlenvergleiche, gerade bei neuer Spielweise – recht viel weiter voneinander entfernt als Shpilevskis und Schusters Vorstellung von Fußball kann man fast nicht sein – nur bedingt hilfreich. Dennoch zeigt ein Blick aufs Vorjahr, dass im Kader Kreativität und Torgefahr auf dem Papier fehlen. Da Fußball aber auf Rasen und nicht auf Papier gespielt wird, bleibt abzuwarten, inwiefern dieses Urteil noch Gültigkeit hat.


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