Jürgen Beck wird 80

Das filmreife Leben des Fürther Kult-Masseurs

18.6.2021, 14:11 Uhr
Jürgen Beck wird am Sonntag 80 Jahre alt. Das hindert ihn nicht daran, noch immer in seiner Praxis in Burfgarrnbach zu arbeiten.

© Hans-Joachim Winckler, NN Jürgen Beck wird am Sonntag 80 Jahre alt. Das hindert ihn nicht daran, noch immer in seiner Praxis in Burfgarrnbach zu arbeiten.

Diese Geschichte beginnt mit einer Flucht in den Westen. Als der Sohn einer Arbeitskollegin 1959 in den Westen flieht, erzählt Marta Beck ihr, was man im Stadtrat über sie tuschelt.


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Als das bekannt wird, verliert Jürgen Becks Mutter ihre Anstellung als Masseurin, die Staatssicherheit lässt sie überwachen. Der Jobverlust wird zum Sprungbrett, wenn auch ungewollt.

Die alleinerziehende Mutter (der Vater war im Krieg gefallen) zieht mit ihrem Sohn nach Berlin um dort eine neue Arbeit anzutreten. Nachdem die Stasi verhindert, dass sie ihre Stelle so ausüben kann wie vorgesehen und weil es schlicht gefährlich werden kann, seine Meinung zu äußern, reicht es den beiden. Sie beschließen, in den Westen zu fliehen.

Im Januar 1960 ist es soweit. Am Grenzbahnhof Berlin-Friedrichstraße gelingt es den beiden als Berliner Bürger mit zwei Koffern den Weg vorbei an den Schutzpolizisten zu finden. Auf dem Bahnsteig bleiben die beiden sicherheitshalber getrennt.

Ein Blinder lehrt ihn das Massieren

Über Umwege landen sie zuerst in Bayreuth und schließlich in Fürth. Ein Krankenhausaufenthalt wird dann zum Wendepunkt im Leben des gelernten Kürschners: „Nach einer Blinddarmoperation kam ich in die Hände eines blinden Masseurs. Und was waren das für Hände! Es hat mich begeistert, was dieser Mann alles ertasten konnte.

Dieser tolle Umgang war inspirierend. Für mich war klar: Das will ich auch machen.“ Weil Beck in seinem bisherigen Beruf die Allergie zu schaffen macht, fällt der Entschluss zur Umschulung leicht. In Erlangen lernt der Neu-Fürther das Einmaleins des Massierens und der Physiotherapie.

Die erste Station nach der Ausbildung ist das Kurbad in St. Leonhard. Für den leidenschaftlichen Radfahrer, der in seiner Jugend Amateurrennen auf der Straße und als Steher in Görlitz gefahren ist, war es eine Zeit des Ankommens. In Herpersdorf wird er Teil des dortigen Radsportclubs – als Fahrer und als Masseur.

Das sollte auch den weiteren Karriereweg beeinflussen. Ermutigt durch Sportleiter Andreas Egerer, bewirbt sich der Radliebhaber beim Bund Deutscher Radfahrer, der ihn schließlich im Sommer 1969 zur Österreich-Rundfahrt mitnimmt. Jürgen Beck wird zu einem der ersten Sportphysiotherapeuten im Deutschen Sportbund.

Koryphäe Erich Deuser

Beck reist nun mit Deutschlands besten Radfahrern um die Welt, er macht sich selbstständig. Viel wichtiger aber noch: Auf den regelmäßigen Fortbildungen trifft er auf einen Mann, der für den weiteren Verlauf seines Lebens eine wichtige Rolle spielt: Erich Deuser.

Der Erfinder des Deuser-Bands gilt bereits zur damaligen Zeit als Koryphäe der Physiotherapie, ihm vertrauten die ganz großen Stars. Von 1951 bis 1982 hegt und pflegt er das DFB-Team, zwischen 1952 und 1976 auch olympische Athleten. „Von ihm habe ich wahnsinnig viel gelernt. Er hatte damals schon mit Faszientechnik gearbeitet, auch wenn das noch nicht so hieß“, erinnert sich Beck.

Besonders die Erfahrungen bei den Olympischen Spielen 1972 sind dem 79-Jährigen in Erinnerung geblieben: „Er hatte die komplizierten Fälle bei sich. Wenn ich abends fertig war, hat er zu mir gesagt: ,Komm runter zu mir, du kannst mir über die Schulter schauen.‘ Bis in die Nacht rein ging das.“


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Die Einschätzungen Deusers, sie konnten auch über olympisches Gold entscheiden, wie Beck im Fall des Boxers Dieter Kottysch schildert: „Er kam vor dem olympischen Finale mit einem schmerzenden Handgelenk, der sich als Kahnbeinbruch herausgestellt hatte, zur Behandlung. Das hat ihm aber keiner gesagt, um ihn nicht zu verunsichern.“ Erich Deuser urteilte, man könne es riskieren, wenn Kottysch gut getapet sei und den Gegner in den ersten Minuten k.o. schlage.

Eine unbeschwerte Zeit

„Am Ende musste er doch über drei Runden gehen, holte aber Gold. Dieses Abwägen, diese Gratwanderung finde ich faszinierend.“ Den neuen Wissensschatz setzt Beck auch beim Bund Deutscher Radfahrer ein. Regelmäßig sorgt er dafür, dass die deutschen Radprofis bei internationalen Wettbewerben wie der Weltmeisterschaft frisch ins Rennen gehen. 1975 kommen auch noch die Bahnfahrer dazu, die mit dem Vierer bei den Olympischen Spielen 1976 Gold gewinnen.

Für den Fürther war es die schönste, die unbeschwerteste Zeit: „Man hatte ein Verhältnis zu den Sportlern aufgebaut. Bei den Massagen wird man mitunter auch zum Psychotherapeuten. Man muss dann die Hände und die Zunge sprechen lassen.“

Doch der Sport war nach seinem Empfinden „schmutzig“ geworden, 1977 zieht Beck den Schlussstrich: „Als der ganze Mist mit dem Doping und Anabolika aufkam, hat es mir gereicht.“ Mitbekommen, sagt der Masseur, hat er selber beim Massieren nichts.


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Und wieder ist es auch die alte Heimat, die es Jürgen Beck vergällt: „Bei der Rad-WM 1977 waren die DDR-Sportler direkt neben uns. Die haben sich nicht mal warmgefahren und trotzdem gewonnen. Vorher hatten wir mit denen sportlich gespielt, plötzlich war es umgekehrt. Da waren Sportler dabei, die plötzlich riesige Muskelberge hatten. So hatte man keine Chance mehr, es war frustrierend.“

Heimliche DDR-Hilfe über die Schweiz

Auch politisch war der Umgang miteinander brisant: „Die Leute aus der DDR hatten ja Kontaktverbot mit uns, sollten nicht mal mit uns reden. Wenn doch mal ein DDR-Mechaniker eine Kette gebraucht hat, haben wir sie erst dem Schweizer gegeben, der sie dann weitergereicht hat.“

Stattdessen konzentriert sich der Familienvater auf die eigene Praxis – und den LAC Quelle Fürth. Bis zur Quelle-Pleite 2009 hilft er Fürths Leichtathleten, in körperliche Topform zu kommen.


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Doch Zeit für die Rente ist auch dann noch nicht. Auch heute, mit fast 80 Jahren, ist Jürgen Beck noch in seiner Praxis in Burgfarrnbach aktiv. Zu groß ist die Leidenschaft für Massage und Physiotherapie: „Ich bin ein Kämpfertyp, ich will, dass es den Leuten besser geht. Man muss sehen: Die Menschen kommen zum Teil verzweifelt und mit Schmerzen an. Die größte Freude für mich sind die Erfolge, wenn jemand schon besser den Arm heben oder besser laufen kann. Den Menschen eine Stütze sein, macht noch so viel Spaß.“

Wenn die Geschichte von Jürgen Beck eines zeigt, dann, dass der Mut, Neues zu wagen, belohnt wird. Hätte er im Januar 1960 diese Geschichte gelesen, er hätte sie selbst nicht geglaubt.

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