Das hat der neue Finanzvorstand Rossow mit dem Club vor

16.10.2018, 05:51 Uhr
Der neue starke Mann beim 1. FC Nürnberg: Niels Rossow.

© Sportfoto Zink/DaMa Der neue starke Mann beim 1. FC Nürnberg: Niels Rossow.

NZ: Herr Rossow, bei Ihrer offiziellen Vorstellung haben Sie betont, der Club sei für Sie "eine Herzensangelegenheit", als gebürtiger Nürnberger sei es "ein Privileg, für den 1. FCN tätig zu sein". So etwas kommt normalerweise gut an bei Fans und Mitgliedern. Hoffen Sie auf einen gewissen Bonus als "Local Hero"?

Niels Rossow: Es ist sicher nicht schlecht, wenn man mal den fränkischen Dialekt "a weng" auspacken kann, die Mentalität der Franken kennt und sie selbst verkörpert. Es ist aber auch nicht verkehrt, mal zehn Jahre weggewesen zu sein und dadurch eine gewisse Außensicht auf Nürnberg bekommen zu haben. Ich möchte aber betonen, dass das Engagement hier für mich kein Karriereschritt ist, sondern eine langfristige Angelegenheit, der ich mich mit allem Enthusiasmus verschrieben habe. Wenn wir mit dem Club eine Vision verfolgen wollen, ist das keine Sache von zwei oder drei Jahren. Falls nötig, würde ich mit dem Club auch mal durch eine Dürreperiode gehen wollen. Natürlich bleibt der sportliche Erfolg immer die große Unbekannte, aber die lässt sich ja auch etwas beeinflussen, indem man Sportvorstand Andreas Bornemann mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stellt, um einen starken Kader zusammenzubauen.

 NZ: Für Ihre Rückkehr nach Franken waren vor allem familiäre Gründe entscheidend.

Rossow: Ich muss ehrlich sagen: Vor zehn Jahren hat es mich in die Welt hinausgezogen. Aber dann kommen zwei Kinder, und man merkt, dass Nürnberg eigentlich die Stadt ist, in der man sie großziehen will.

NZ: Was hat Nürnberg zu bieten, was New York, Los Angeles, Russland, die Schweiz nicht haben?

Rossow: Die Mentalität der Menschen hier ist toll, nicht so oberflächlich und egoistisch. Der Franke hat eine warme Herzlichkeit. Außerdem ist Nürnberg eine Stadt mit vielen grünen Flecken.

Kein Transferdruck mehr

NZ: Für das abgelaufene Geschäftsjahr wird es seit langer Zeit wieder mal ein positives Ergebnis geben – ist der Club schon über den Berg oder nur raus aus der Talsohle?

Rossow: Eher Letzteres. Jetzt in Euphorie zu verfallen, das wäre verfrüht. Aber wir sind auf einem guten Weg. Man hat extrem solide gewirtschaftet und den Vorteil, dass man wieder in der Bundesliga spielt, höhere Fernsehgelder bezieht und auch für Sponsoren interessanter wird. Unsere Lizenzierung ist langfristig gesichert, wir unterliegen nicht mehr dem Transferdruck. Aber auch für den Fall, dass es mal wieder runtergehen sollte, haben wir vorgesorgt.

NZ: Die von Michael Meeske angestoßene Ausgliederung der Lizenzspielerabteilung in eine Kapitalgesellschaft liegt derzeit auf Eis. War die Idee eines regionalen Investorenpools zu naiv, weil jemand, der anschafft, eben auch mitbestimmen will und nicht nur eines von zehn Unternehmen auf einer Sponsorenwand sein möchte?

Rossow: Da wir uns wirtschaftlich konsolidiert haben – ich sage bewusst nicht, dass wir ohne Verbindlichkeiten wären –, sind wir glücklicherweise nicht mehr in einer Situation, dass wir uns unbedingt Investoren ins Boot holen müssen. Insofern muss das ganze Konstrukt passen, wir wollen die Unabhängigkeit und die Identität des 1. FCN beibehalten. Wenn sich da mittel- oder langfristig irgendwann eine Möglichkeit ergibt und eine potenzielle Ausgliederung uns unserem großen Ziel näherbringen würde, bin ich in der Diskussion offen.

NZ: Eine Alternative, um Gelder zu generieren, könnte der Verkauf des Vereinsgeländes sein – auch das ist für viele Mitglieder ein pikantes Thema und müsste zudem mit einer Dreiviertelmehrheit von den Delegierten des Dachvereins beschlossen werden.

Rossow: Ich kann auch hier sagen: Es ist für die Existenz des Vereins nicht notwendig. Grundsätzlich will ich bei einem Vermögensgegenstand wie unserem Grundstück mit Demut und Bedacht handeln. Wir benötigen ein griffiges Konzept für die Zukunft, bevor wir solch sensible Themen wie das Vereinsgelände oder eine Ausgliederung angehen.

"Erlebnis Spieltag" fördern

NZ: Wie stehen Sie zu den immer wieder mal gepflegten Gedankenspielen eines Stadionneubaus außerhalb Nürnbergs?

Rossow: Wir müssen uns bei allen Träumen von einer reinen Fußballarena klarmachen, dass wir mit unserem Stadion aktuell eine zentrale Lage haben, die in Deutschland fast schon einzigartig ist. Allerdings haben wir in den letzten Spielen eine Auslastung, die ich so nicht akzeptieren will. Leere Ränge sind Gift für die Vermarktung – und das nach vier Jahren Bundesligaabstinenz. Wir müssen uns Gedanken machen über das Erlebnis Spieltag. Ich habe das Gefühl, in Nürnberg kommt der Zuschauer so spät wie möglich und geht wieder so früh wie möglich. Hier müssen wir die nötigen Anreize schaffen. Wir müssen den Spieltag zu einem noch größeren gesellschaftlichen Ereignis machen.

NZ: Es ist aber ein schmaler Grat hin zu einer Eventisierung, die viele Fans am modernen Fußball so nervt. Stichwort Helene Fischer beim Pokalfinale.

Rossow: Meine Vision ist nicht die Eventisierung, sondern dass wir selbst das als starke Gemeinschaft schaffen. Wir brauchen eine Infrastruktur, die es den Fans ermöglicht, eigenverantwortlich etwas im Sinne des 1. FCN zu machen. Das Gärtla etwa war eine Kultstätte, wo man sich vor und nach dem Spiel auf ein Bier getroffen hat. Wir wissen, dass es nicht so einfach ist, das Gärtla wiederzubeleben. Aber es geht um den Traum, gemeinsam etwas aufzubauen.

NZ: Meeske hatte es vor allem wegen des Ausgliederungsprojekts schwer bei den Ultras. Werden Sie den Dialog mit dieser manchmal etwas anstrengenden Klientel suchen?

Rossow: Natürlich. Wenn ich über Gemeinschaft und Mitverantwortung rede, ist es schon signifikant, was die Ultras auf die Beine stellen, auch über ihre Choreografien hinaus. Klar gibt es auch kritische Themen, aber ich bin bereit für einen Dialog – wie mit jedem anderen Fan auch. Ich möchte meinen Job sehr transparent ausüben. Deshalb will ich mich jetzt regelmäßig mit Fans, Sponsoren oder wem auch immer in der Stadionkabine treffen, um sich austauschen. Wir sollten im VIP-Bereich auch den Netzwerkgedanken intensivieren, etwa Businesskunden im Stadion mit anderen zusammenzubringen.

Loyalität in guten wie in schlechten Zeiten

NZ: Das Potenzial für eine stärkere Einbindung der Wirtschaft sollte in der Metropolregion ja durchaus vorhanden sein.

Rossow: Absolut. Ich komme ja aus der Konsumgüterbranche, da werden Millionen und Abermillionen ausgegeben, um eine solche emotionale Bindung aufzubauen, wie sie zwischen dem Club und seinen Fans besteht. Diese Gemeinschaft fasziniert mich. In guten wie in schlechten Zeiten dieses loyale Umfeld zu haben, ist eine tolle Steilvorlage. Wir müssen rausgehen und unkonventionelle Vorschläge machen, kreativ sein, einen Mehrwert bieten, die Nähe zum Menschen ausbauen. Die Zeiten sind vorbei, in denen die freie Wirtschaft zufrieden ist, wenn sie auf dem Briefkopf genannt wird. Das oft gehörte Argument, die fränkische Wirtschaft sei zu speziell, mag ich so nicht gelten lassen. Wir müssen uns als Verein einfach besser vermarkten und für potenzielle Partner interessanter machen. Dann wird die Wirtschaft auch verstehen, dass der Club hier eine Institution ist und nicht nur eine Fußballmannschaft.

NZ: Die Marke 1. FC Nürnberg ist ja schon allgegenwärtig, wo muss man die Konturen noch schärfen?

Rossow: In der Innenstadt etwa ist der Club für mich nicht allgegenwärtig. Wir sind noch nicht sichtbar genug. Der Club muss sich etablieren als ein Gütesiegel. Dann müssen wir uns fragen: Wie können wir Themen annehmen, die über den Fußball und den Spieltag hinausgehen? Wie können wir etwa mit der Stadt zusammenarbeiten, um Kulturhauptstadt 2025 zu werden? Da wollen wir etwas beitragen. Auch bei Themen wie Umweltschutz, Flüchtlinge, Kinder, Obdachlose sehe ich für uns eine Relevanz. Wer kann denn in Nürnberg besser Gutes tun als der 1. FCN?

NZ: Also sollte ein Fußballverein auch in politischen und gesellschaftlichen Fragen Stellung beziehen?

Rossow: Wir sollten es nicht übertreiben und uns politisch neutral verhalten, aber eine Meinung haben und beispielsweise Rechtsradikalismus verurteilen. Wir haben ja schon die eine oder andere Initiative im Programm, wie den Jenö-Konrad-Cup, und sind in Gemeinschaften organisiert, die sich gegen Rassismus richten.

NZ: Sie waren 16 Jahre lang bei Adidas tätig. Wie unterscheidet sich ein Sportartikelhersteller denn von einem Fußballbundesligisten?

Rossow: Es ist ein riesiger Unterschied. Im Konzern wird die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt. Ich hatte eine fantastische Zeit bei Adidas, mich aber gesehnt nach dem Unternehmertum, nach der vollständigen Verantwortung und der Leistungsorientierung. Ein börsennotiertes Unternehmen muss auch seine Zahlen offenlegen, aber es ist nicht so brutal wie bei einem Fußballverein, wo man jedes Wochenende an den Ergebnissen gemessen wird.

NZ: Konnten Sie persönlich die Firmenstrategie von Adidas nachvollziehen, den Club als Verein vor der Haustür nicht mehr zu unterstützen, sondern sich lieber auf internationale Topteams zu konzentrieren?

Rossow: Ich habe durchaus intern den Finger gehoben und protestiert. Aber ich saß zu dem Zeitpunkt in Russland, da hat man nicht so wahnsinnig auf mich gehört. Es ist schade, andererseits haben wir mit unserem jetzigen Ausrüster Umbro einen spannenden Partner gefunden, der uns auch ein Stück weit verkörpert und eine gemeinsame Identität schafft. Dazu kommt natürlich die Romantik, dass unsere Meistermannschaft von 1968 auch in Umbro gespielt hat.

NZ: Was uns zur ruhmreichen Vergangenheit bringt. Muss man diese große Tradition vielleicht noch mehr ins Bewusstsein rufen?

Rossow: Unsere Tradition ist einzigartig, sie müssen wir auch entsprechend zelebrieren. Das Club-Museum ist toll, mir fehlt aber ein bisschen die Erlebbarkeit für die junge Generation. Ein 20-Jähriger kann sich vielleicht noch an die Pokalsiegermannschaft von 2007 erinnern, die letzte Meisterschaft von 1968 bedeutet ihm aber nicht mehr so wahnsinnig viel. Da müssen wir Reizpunkte schaffen. Ich bin aufgewachsen in einem Nürnberg, in dem das Bayern-Trikot ein Fremdkörper war. Und ich will nicht akzeptieren, dass der Club hier in den Schulen vielleicht nur noch die Nummer drei ist. Da müssen wir wieder eine stärkere Identität und Verbindung zum jüngeren Publikum schaffen. Und man muss den Spagat hinbekommen zwischen der Tradition und einer Vision für eine erfolgreiche Zukunft. Und die gilt es seriös zu konzipieren.

Kein Meeske 2.0

NZ: Sie sehen sich also eher als innovativen Visionär denn als pragmatischen Sanierer?

Rossow: Ja. Ich möchte sicher kein Verwalter sein, aber schon auch pragmatisch handeln. Und bei aller Wertschätzung für meinen Vorgänger, der hier einen richtig tollen Job gemacht hat: Ich will auch nicht Michael Meeske 2.0 sein. Dafür sind wir zu verschieden, haben unterschiedliche Stärken und andere Felder, die wir beackern.

NZ: Bis Ende des Monats bilden Sie zusammen mit Meeske noch eine
Doppelspitze – wer überweist denn gerade die Rechnungen?

Rossow (lacht): Das kommt ganz darauf an. Was eher zukunftsorientiert ist, geht über meinen Schreibtisch, die "Altlasten" erledigt noch Michael Meeske. Mit ihm an meiner Seite ist es für mich ein sehr komfortabler Übergang, er berät mich und stellt mich den wichtigen Personen vor. Jetzt kommt natürlich noch das Highlight der Hauptversammlung, die wir gemeinsam bestreiten werden.

NZ: Sind Sie ein bisschen nervös?

Rossow: Es ist meine erste Hauptversammlung und daher einfach eine unbekannte Situation. Bislang habe ich sie immer nur von Russland oder den USA aus via Liveticker verfolgt. Ich habe mich schon gefragt, ob ich jetzt eine rote Krawatte anziehen muss. Eigentlich bin ich nicht so der Krawattenmann, aber notfalls mach’ ich das auch. Prinzipiell ist es toll, wenn man sich mit der Basis auseinandersetzen kann. Ich nehme jedes
Thema ernst, es ist der erste Schritt zum Dialog. Ich freue mich darauf.

Der große Held

NZ: Mal ehrlich: Wenn Sie jetzt aus Ihrem Büro am Valznerweiher aus dem Fenster schauen, was empfinden Sie?

Rossow (lacht): Es ist immer noch ein bisschen surreal. Ich empfinde Stolz, aber auch eine gewisse Demut. Auf dem Spielfeld da hinten habe ich mit der C-Jugend des TSV Katzwang ein 0:0 erreicht. Eine Minute vor Schluss hat ein gewisser Oliver Rahn einen Schuss in die Mauer gehauen, ich hab’ den Kopf hingehalten, mir ist die Luft weggeblieben – aber ich war der große Held, der das 0:0 gerettet hat. Als Kind hab’ ich auch oft beim Training zugeschaut und war bei den Spielen im damaligen Städtischen Stadion, erstmals 1983 oder 1984. Mein erster Lieblingsspieler hieß Anders Giske, in der Jugend war dann Andre Golke mein großes Idol. Er war schlitzohrig und hat diese enorme Leidenschaft auf den Platz gebracht, das hat mich beeindruckt. Außerdem kommt meine Mutter wie Golke aus Hamburg. Ich bin also mit dem Club aufgewachsen und verbinde mit ihm viele schöne Erinnerungen. Es ist ein Privileg, jetzt für diesen Verein arbeiten zu dürfen.

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