Das neue Leben des Chris Wesley

25.7.2012, 13:00 Uhr
Das neue Leben des Chris Wesley

© Sportfoto Zink

Einen, der genau weiß, was er will. Genau rechtzeitig zu Olympia 2012 in London. So haben wir den Versuch unternommen, mit einem der begabtesten deutschen Hockeyspieler zur Mittagszeit ein ernsthaftes Interview zu führen.

NZ: Treffpunkt 13 Uhr: Warum so spät? Nachwirkungen einer langen Nacht verdauen?

Christopher Wesley: Nein, nein (lacht). Die Zeiten sind vorbei, dieses Jahr lief es komplett anders. Heute bin ich schon um sieben Uhr morgens aufgewacht und konnte nicht mehr schlafen. Dann kam noch ein Dopingkontrolleur vorbei, zum Glück war der nett, und wir haben uns etwas unterhalten. Um elf hatte ich den ersten Pressetermin, war danach noch bei meinen Eltern ein Käffchen trinken, und jetzt bin ich hier.

NZ: Ist Ihnen diese Umstellung schwergefallen?

Wesley: Überhaupt nicht, weil ich kaum Zeit hatte, darüber nachzudenken, seitdem am 1. Januar der Startschuss für das intensive Training gefallen ist. Bis jetzt hatte ich unglaublich viele Termine, die Lehrgänge mit der Nationalmannschaft und natürlich die vielen Stunden gemeinsam mit Max (Müller, Kapitän der Nationalmannschaft und Vereinskollege beim NHTC, die Red.) und unserem Athletiktrainer.

NZ: Da hatten die Kumpels aber ein Feierbiest weniger...

Wesley: Früher war ich bei allen Feiern zu 90 Prozent immer dabei (lacht wieder). Aber das geht nicht, wenn du ständig trainierst, früh um 9 Uhr schon Krafteinheiten anstehen und immer wieder Lehrgänge. Da haste keine Zeit für so etwas. Es gab nicht mal einen Tag, ohne irgendetwas tun zu müssen.

NZ: War diese Umstellung nötig, hätten Sie es anders nicht geschafft?

Wesley: Schwer zu sagen. Ich hab’ ja auch lange Nationalmannschaft ohne spezielles Training gespielt, aber so fällt es mir natürlich leichter. Jetzt kann ich das zeigen, was ich wirklich kann. Den Gedanken, das auch nur mit dem halben Aufwand schaffen zu können, hatte ich nicht.

NZ: Warum war Ihnen die Teilnahme an den Spielen so wichtig, dass Sie vieles in Ihrem Leben umgestellt haben?

Wesley: In der Nationalmannschaft hat jeder Einzelne mitgezogen. Demgegenüber hatte ich eine Verpflichtung. In diesem Olympiajahr hat man bei jedem Lehrgang und bei jedem Treffen immer gespürt, dass es um mehr geht.

NZ: Gab es nie Tage, an denen Sie sich Ihren gewohnten Alltag zurückgewünscht haben?

Wesley: Nein. Und wenn, hast du da ja noch den Max, der in seinem Leben immer schon alles sehr korrekt gemacht hat. Er musste mich auch nie drängen. Es gab nie die Option zu sagen: Jetzt gehst du nicht zum Training oder zu den drei bis vier Laufeinheiten pro Woche.

NZ: Max Müller hat zweifellos weniger Talent als Sie, hat aber sicher stringenter und konsequenter seinen Weg verfolgt. Ist er in dieser Hinsicht ein Vorbild für Sie?

Wesley: Nein, ein Vorbild glaube ich nicht. Naja, vielleicht indirekt. Ich kenne den Max praktisch seit seiner Geburt... (überlegt und lehnt sich zufrieden zurück). In diesem Jahr musste ich einfach ein Stück weit mehr Max Müller sein. Aber ich bin immer noch ich geblieben. Großartig verändert habe ich mich nicht, nur eben viel mehr trainiert und zumindest an vier von sieben Tagen auf meine Ernährung geachtet.

NZ: Hat das auch auf Ihr Leben abseits vom Hockey abgefärbt?

Wesley: Ein Stück weit ja. Ich bin ein bisschen selbstständiger, bin nicht mehr ganz so von meinen Eltern abhängig. Im Studium habe ich bislang immer so einen Riesenberg an Aufgaben vor mir gesehen, das habe ich jetzt besser organisiert. Ich will da vorankommen, ob das dann nächstes Jahr tatsächlich auch noch klappt, kann ich beim besten Willen nicht sagen.

NZ: Olympia also als Wendepunkt im Leben?

Wesley: So wichtig war es mir nie. Es ist das größte Sportereignis dieser Welt, von sechs Milliarden Menschen werden rund 15000 Sportler ausgewählt, aber ich selbst hab’ das im Fernsehen nie so verfolgt. Ich hab’ es also mal probiert mit Olympia, noch ganz ohne Vorstellung, wie das ist. Aber je näher die Spiele rücken, desto mehr merke ich, wie groß das tatsächlich alles ist.

NZ: War die Goldmedaille, die Max Müller vor vier Jahren gewonnen hat, ein Ansporn?

Wesley: Ganz ehrlich? Bei den Trainingseinheiten habe ich mir oft vorgestellt, wie geil das sein kann, wenn du bei Olympia was reißt. So eine Medaille ist auch mein Ziel, ganz klar. Das ist mit dieser Mannschaft auch drin. Wir wären alle enttäuscht, wenn wir als Vierter oder schlechter aus dem Turnier gehen.

NZ: Hat sich mit Ihrer konditionellen Verfassung noch etwas für Sie in der Nationalmannschaft geändert?

Wesley: Ich habe früher im Nationalteam mental wenig auf die Reihe gekriegt. Ich wollte nur keine Fehler machen. Jetzt spiele ich einfaches Hockey, mit so einer Leck-mich-am-Arsch-Einstellung.

NZ: Und warum inzwischen im Mittelfeld, anstelle im Sturm als Torjäger zu glänzen?

Wesley: Das ist ja keine Einschränkung. Als Stürmer hast du auch defensiv einen Job zu erledigen, nur ist es unwahrscheinlich, dass du nach einem Ballverlust mal einen Sprint über 60 Meter nach hinten machen musst. Das ist der einzige Unterschied. Aber dafür habe ich ja jetzt die Kondition.

NZ: Und so etwas hülfe ja auch beim Feiern im deutschen Haus ...

Wesley: Aber dann richtig. Halbe Sachen mache ich da sicher nicht.

Der Traum vom Ziel "Besser als Vierter" beginnt mit dem ersten Vorrundenspiel in der Gruppe B am Montag, 30. Juli gegen Belgien. Der Ball rollt um 22.15 Uhr.

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