Der Club auf dem Weg zum Fußballverein 3.0

9.6.2019, 11:54 Uhr
Der Club auf dem Weg zum Fußballverein 3.0

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Es soll nach wie vor Fußball-Trainer geben, die sich in der täglichen Arbeit vor allem auf ihr Bauchgefühl verlassen. Demnach ist ein Spieler erst dann ausreichend belastet, wenn er nach zahllosen Bergsprints allmählich grün anläuft. So ist Felix Magath zuletzt 2009 Deutscher Meister geworden mit dem VfL Wolfsburg. Und sogar "Trainer des Jahres", zum dritten und bis heute letzten Mal. 

Auf dem Gelände des Werksklubs hatte er damals extra einen rund 1,5 Millionen Euro teuren Erdwall aufschütten lassen. Zwei steil aufragende Rampen mit unterschiedlichen Stufenhöhen, von 20 bis 50 Zentimetern. Hauptsache Kraft, hauptsache Kondition. Egal wie. 

Die nächste Generation um die sogenannten Laptop-Trainer wie Julian Nagelsmann, Thomas Tuchel oder auch Jürgen Klinsmann, schüttelten ob der beinahe altertümlich anmutenden Übungs-Methoden nur den Kopf. Den Spitznamen hatte ihnen einst Mehmet Scholl verpasst, weil er nicht bloß Vorteile erkennen wollte in der zunehmenden Digitalisierung von Trainingsplanung, -steuerung oder -kontrolle. 

"Man braucht die bestmögliche Information in Echtzeit, um Entscheidungen treffen zu können", entgegnet  Dr. Mario Hamm, Finanzdirektor beim 1. FC Nürnberg. Sein Club ist schon etwas länger auf dem Weg zum Fußballverein 3.0. Daten gibt es ja bereits seit vielen Jahrzehnten, deren Generierung und besonders Auswertung stößt dank spezifischer Computer-Programme wie SAP Sports One allerdings fast schon regelmäßig in neue Dimensionen vor. "Wir sind im Wandel, wie jedes andere Unternehmen auch", sagt Hamm, ein entschiedener Befürworter der modernen, zeitgemäßen Strukturen. 

Weil Hamm seinen Arbeitgeber bereits vor ungefähr fünf Jahren im sportlich-medizinischen Sektor technisch neu aufgestellt hat, ist der 1. FC Nürnberg in puncto Digitalisierung eine nationale Top-Adresse. "In den internen Prozessen sind wir sicherlich führend", sagt Hamm, "nicht umsonst sind wir Co-Innovationspartner von SAP."

Die interessierte Öffentlichkeit bekommt davon nicht viel mit. Außer vielleicht, dass die Club-Profis im Liga-Vergleich angeblich seltener von Muskel- oder Sehnenverletzungen heimgesucht werden. Zu verdanken haben sie das unter anderem einer individualisierten Belastungssteuerung, die sich am jeweiligen Fitnesszustand orientiert. Wer physisch in den so genannten roten Bereich abdriftet, wer überpackt, wird vom Mannschaftsarzt vorläufig gesperrt. 

Der davon betroffene Trainer erfährt davon per Nachricht auf seinem Handy und wird Sports One hin und wieder auch mal verfluchen. Aber die Analysen lügen nicht – ausgespuckt von einer virtuellen Plattform, in die unterschiedlichste Mitteilungen einfließen: Spieldaten, Gesundheitsdaten, Bewegungs- und Trackingdaten, Scoutingdaten, alles vereint unter einem Software-Dach. 


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Nutzen kann das per App eigentlich jeder beim Club, sofern zugriffsberechtigt - vom U8-Fußballer bis zum Physiotherapeuten. Allein der Sportblock benötigte früher fünf Programme, die aber häufig nicht miteinander kommunizieren konnten. "Da wirst du ja verrückt", sagt Hamm – und schaffte die ungleich vielseitigere Cloudlösung an. 

Viele Fragen, die sich in einer großen Sportfirma wie dem 1. FC Nürnberg stellen, lassen sich seitdem in Sekundenbruchteilen beantworten, zum Teil anhand von Indices und Grafiken. Wie schnell regeneriert Fußballer X? Welche Herzfrequenz hatte Fußballer Y in der gestrigen Einheit? "All das, was man wissen möchte, muss auch zeitnah zur Verfügung stehen", sagt Hamm, der Künstlichen Intelligenz sei Dank. 

Mit SAP kooperieren sie bereits seit 2012, damals aber noch beschränkt auf die Finanzen und Verwaltung. Dr. Mario Hamm, der Herr der Zahlen und Daten beim Club, wollte aber mehr, wollte eine Plattform, mit der sich auch im Sportbereich "vollautomatisch alles kontrollieren und auswerten" lässt. Zur Visualisierung nutzt Hamm gerne Showcases, über Prognose-Modelle lassen sich Abweichungen oder gar Anomalien ableiten. 
Über allem steht: die Gesundheit der Spieler. Nur wer auch einsatzfähig ist, bringt dem Verein sportlichen und wirtschaftlichen Erfolg, die medizinische Abteilung kann und muss mit Sports One zum Teil umstrittene Entscheidungen treffen. Nicht jeder Verantwortliche findet es super, wenn einer seiner Leistungsträger vor einer wichtigen Begegnung wegen mieser Fitnessdaten herausgenommen wird aus dem Trainingsbetrieb. Ist aber nicht zu ändern. 

Lediglich die TSG Hoffenheim und der DFB vertrauen Sports One schon länger als der Club, ihrem Beispiel folgten mittlerweile unter anderem Eintracht Frankfurt, Hertha BSC oder auch die Adler Mannheim (Eishockey) und die Rhein-Neckar Löwen (Handball). Ob es sich Felix Magath vielleicht privat angeschafft hat, ist nicht bekannt, für Laptop-Trainer gibt es zumindest keine Altersgrenze. 

"Manche Trainer haben ein gutes Bauchgefühl, andere schätzen es komplett falsch ein", sagt Dr. Mario Hamm und spricht aus Erfahrung, Diskussionen inklusive. Bruno Labbadia, in der abgelaufenen Saison noch verantwortlich für den VfL Wolfsburg, ließ sich von der zunehmenden Digitalisierung trotzdem nicht verrückt machen. Ungefähr ein Jahr lang jagte der scheidende Wölfe-Dompteur seine Profis gerne mal den "Mount Magath" hinauf. Bis sie vereinzelt grün anliefen. 

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