Platz vier in Lettland

Eishockey-WM: Vorerst nur Weltmeister-Macher

7.6.2021, 16:48 Uhr
Stolz und Trauer: Kapitän Moritz Müller verletzte sich im kleinen Finale, wurde trotzdem zum besten Spieler des Spiels gewählt und dürfte inmitten seiner Kollegen realisiert haben, welch große Chance das DEB-Team und er in Riga verpasst haben. 

© via www.imago-images.de Stolz und Trauer: Kapitän Moritz Müller verletzte sich im kleinen Finale, wurde trotzdem zum besten Spieler des Spiels gewählt und dürfte inmitten seiner Kollegen realisiert haben, welch große Chance das DEB-Team und er in Riga verpasst haben. 

Seit Sonntagabend, 21.52 Uhr, seit sich Nick Paul aus Mississauga im eigenen Drittel den Puck geschnappt, über die Eisfläche getrieben und nach einem perfekten Doppelpass mit Connor Brown ins finnische Tor geschossen hat, seit diesem schönen Spielzug in Riga ist Kanada Eishockey-Weltmeister, zum 21. Mal. In Kanada wird das zum 21. Mal kaum wahrgenommen, auf der Homepage der Toronto Sun wischte man am Tag danach vergeblich auf der Suche nach einem Jubelartikel. In dem Land, in dem das beliebteste Kinderbuch von einem Eishockey-Trikot handelt, zählt die National Hockey League alles und die WM nichts. Dass die Toronto Maple Leafs wieder einmal in der ersten Playoff-Runde der NHL gescheitert sind, beherrscht auch eine Woche später noch die Schlagzeilen, für Weltmeister bleibt eine Kurzmeldung.

Dabei ist die Geschichte von diesem Team Canada neu und spannend. Die Spieler um Cheftrainer Gerard Gallant starteten mit einem 0:2 gegen Gastgeber Lettland in das Turnier, verloren gegen die USA (1:5) und gegen euphorisierte Deutsche (1:3), die offenbar in einem mannschaftsinternen Wettbewerb ermitteln wollten, wer bis zum Heimflug die meisten blauen Flecke sammeln würde. Weil aber eben jenes Deutschland im siebten und letzten Gruppenspiel auch noch Lettland niederrang, qualifizierte sich Kanada überhaupt erst für das Viertelfinale - punktgleich mit Kasachstan.

Keine Chance? Kein Problem!

In Eishockey-Deutschland wurde diese erstaunliche Entwicklung vielleicht ein bisschen zu sehr gefeiert, in Kanada nicht wahrgenommen. "Ich erinnere mich an die Kommentare, als unser Kader bekanntgegeben wurde", sagte Stürmer Maxime Comtois nach dem verlängerten 3:2 im Finale gegen Titelverteidiger Finnland. "Die Leute haben uns keine Chance gegeben. Die Leute kritisierten den Verband. Wir haben sie alle eines Besseren belehrt."

Kurz zuvor hat Nick Paul Kanada den 21. WM-Titel beschert. Und trotzdem fragt sich mancher im Mutterland des Eishockeys: Nick wer?

Kurz zuvor hat Nick Paul Kanada den 21. WM-Titel beschert. Und trotzdem fragt sich mancher im Mutterland des Eishockeys: Nick wer? © Edijs Palens via www.imago-images.de

Kanada ist der erste Eishockey-Weltmeister, der zuvor vier Turnierspiele verloren hat. Im selbsternannten Mutterland des Sports wird das die arrogante Sicht auf die WM nur zementieren. Kein einziger Spieler, der am Sonntag in Riga in die Jubeltraube hat eintauchen dürfen, wird bei der Verkündung des kanadischen Olympiakaders für Peking 2022 genannt werden (so denn die NHL für die Winterspiele in China ihre Saison unterbricht). Paul und Brown sind nicht einmal bei ihren Ottawa Senators Stars, Comtois war bislang nur für sein Scheitern bei einer ungleich bedeutenderen U20-WM bekannt. Gegen Finnland traf er und bereitete das wichtige 2:2 vor.

Vorbild: Finnland

Anders als 2019 besiegte Kanada diesmal diese unerträglich disziplinierten Skandinavier. Finnland scheint sich auf dieses Turnier spezialisiert zu haben, das zwar Weltmeisterschaft heißt, im Eishockey aber schon lange nicht mehr die beste Nation ermittelt. Auch in der finnischen Auswahl fehlen die besten Spieler, 2019 in der Slowakei aber reichte es zu Gold, in Lettland zu Silber und in Deutschland dazu, den finnischen Bundestrainer zu inspirieren. Schon während der WM-Vorbereitung in Nürnberg erwähnte Toni Söderholm immer wieder das finnische Erfolgsmodell. Dass Deutschland sowohl in der Vorrunde als auch im Halbfinale denkbar knapp mit 1:2 an Finnland scheiterte, ordnet wohl selbst der trockene Söderholm unter Ironie ein.

Der nächste Superstar: Moritz Seider wurde ins All-Star-Team gewählt, zur nächsten Saison wird auch der junge Verteidiger in die NHL wechseln. 

Der nächste Superstar: Moritz Seider wurde ins All-Star-Team gewählt, zur nächsten Saison wird auch der junge Verteidiger in die NHL wechseln.  © SIMON HASTEGARD via www.imago-images.de

Keine 24 Stunden nach der Halbfinalniederlage unterlag seine müde Mannschaft Team USA mit 1:6. "Blamage statt Bronze" titelte bild.de gewohnt krawallig nach dem Spiel um Bronze. Die stolze Eishockeyblase reagierte in den Kommentarspalten empört, aber das Bild des weinenden Kapitäns Moritz Müller inmitten seiner Kollegen zeigte schon, dass in Riga eine große Chance verpasst wurde. Ein Turnier ohne Stars hätte Deutschland gewinnen können - auch ohne Leon Draisaitl, den einzigen eigenen Weltstar. In der Öffentlichkeit hätte sich der erste WM-Titel ohne Sternchen verkaufen lassen. Auch im Februar 2018 störte sich die an den Extravaganzen des Eishockey eher wenig interessierte Sportöffentlichkeit nicht daran, dass der Großteil der besten Spieler in Pyeongchang nicht teilgenommen hatte.

"Es ist wieder alles möglich"

So lässt sich das neue Selbstbewusstsein des DEB-Teams, der Einsatz und die zarten spielerischen Verbesserungen hervorheben und trotzdem darauf verweisen, dass das in einem Turnier der Besten nicht reichen wird, um von einer Medaille zu träumen. Dank Silber in Südkorea, Platz sechs in der Slowakei und Platz vier in Lettland aber wird Deutschland in der aktuellen Weltrangliste noch vor Schweden auf Rang fünf geführt.

Moritz Müller sagte mehrmals, dass die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft "endlich ihre Komplexe" abgelegt habe. "Es ist wieder alles möglich", stellte Stürmer Dominik Kahun im Hinblick auf Peking fest - sowohl eine Fortsetzung des Höhenflugs als auch eine harte Rückkehr in die Realität.

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