Früher Club, jetzt Copa-Sieg: Pinola genießt sein Glück still

10.12.2018, 20:52 Uhr
"Das Wichtigste war es, ruhig zu bleiben und nie die Geduld zu verlieren": Im Alter von 35 Jahren gewinnt Javier Pinola mit River Plate im Final-Rückspiel von Madrid die Copa Libertadores.

© Gabriel Bouys/afp "Das Wichtigste war es, ruhig zu bleiben und nie die Geduld zu verlieren": Im Alter von 35 Jahren gewinnt Javier Pinola mit River Plate im Final-Rückspiel von Madrid die Copa Libertadores.

"La final mas larga del mundo" sei es gewesen, sagte Javier Pinola, das längste Finale der Welt. Als es vorbei war, stellte er sich ganz hinten an. Er ließ die Jüngeren vor, das waren: alle. Auf dem Siegerpodest im Bernabeu-Stadion sah man junge Gesichter voller Aufregung, noch ungläubig und staunend. Sie wussten nicht, wohin mit ihrem Glück, sie führten kleine Tänzchen auf. Als Letzter kam Javier Pinola, er lächelte – und ließ sich dann drücken und herzen von den Spielkameraden, es waren die Momente, die er sich so sehr gewünscht hatte für diese Nacht von Madrid.

28 Tage und 120 Minuten 

Im Februar wird Javier Pinola 36 Jahre alt, jetzt hat er das Größte gewonnen, was man in Südamerika gewinnen kann, die Copa Libertadores, es ist ein Pokal der Legenden, um den Maradona und Di Stefano gespielt haben. Nach sechs Jahrzehnten war es erstmals ein Finale zweier argentinischer Klubs, River Plate gegen die Boca Juniors, schon deswegen war es ein Weltereignis. Der Superclásico: Die Nachbarn aus Buenos Aires verbindet die innigste Rivalität, die man sich vorstellen kann.

Es brach dann alles herein über dieses Finale. Erst ein heftiges Unwetter, dem das um 24 Stunden verlegte Hinspiel zum Opfer fiel, dann, 14 Tage später, eine Eskalation der Gewalt. Ein Überfall auf die Boca Juniors vor dem Stadion von River Plate, ein zertrümmerter Bus, Funktionäre, die die geschockten Fußballer zwingen wollten, trotzdem zu spielen. Sie solidarisierten sich, gegen das Geschäft, die Heuchelei, das Chaos, "wir wollen nur ein Fußballspiel, nichts weiter", sagte ein verzweifelter Javier Pinola – sie bekamen es 10 000 Kilometer entfernt von der Heimat.

Man einigte sich auf Madrid, wo das längste Finale der Welt – 28 Tage lagen zwischen Hin- und Rückspiel – am Sonntagabend noch in die Verlängerung ging. Dem 2:2 im Hinspiel war im Bernabeu die Führung der Boca Juniors durch Dario Benedetto (44.) gefolgt, Lucas Pratto hatte ausgeglichen (68.), Juan Quintero (108.) und Gonzalo Martinez (120.+2) machten den 3:1Erfolg für River Plate, den nominellen Gastgeber, perfekt. Javier Pinola war der erste, den der Torschütze Martinez fest an sein volles Herz drückte, sie alle wussten, was sie ihrem Innenverteidiger zu verdanken hatten.

Hingabe, Feuer und Ruhe 

Pinola, in diesen langen 28 Tagen zu einem emotionalen Rückhalt des Teams geworden, hatte beeindruckend Fußball gespielt, er verband Hingabe, Feuer und Ruhe, sein Spiel strahlte jene Energie und Sicherheit aus, mit der sich River Plate gegen zunächst wuchtigere Boca Juniors dieses längste Finale der Welt eroberte.

"Das Wichtigste war es, ruhig zu bleiben und nie die Geduld zu verlieren", sagte er hinterher, er meinte nicht nur die 120 Minuten eines intensiven, rasanten, manchmal wilden Spiels mit vier spektakulären Toren, und auf die Frage, was es für ein Gefühl sei, mit River den Erzrivalen zu besiegen, in diesem Welt-Finale, sagte Pinola: nichts – "das ist besser, nach allem, was passiert ist". Er freute sich im Stillen, für sich, und dankte Freunden, der Familie, den friedlichen Fans, "allen, die geholfen haben".

Zehn Jahre knisternde Leidenschaft

Ruhig bleiben, Geduld haben, das hat er lernen müssen in einer langen Karriere, die in Madrid einst richtig beginnen sollte, 2002 bei Atletico. "Zu unreif", sagt Pinola heute, sei er gewesen, als er dort seinen ersten europäischen Profivertrag unterschrieb; gequält vom Heimweh, kehrte er zurück nach Buenos Aires – und nahm einen zweiten Anlauf. Zehn Jahre Leidenschaft, der DFB-Pokalsieg 2007, Europacupspiele, zwei Abstiege: Pinola und den 1. FC Nürnberg verband eine knisternde Leidenschaft, er heiratete Mariela, seine Jugendliebe, sie bekamen drei Kinder, die beiden Buben spielten Fußball im Club-Kindergarten. Nürnberg war das, was Javier Pinola gesucht hatte: Heimat – bis Mai 2015, als sie ihm sagten, er sei nicht mehr gut genug für die zweite Liga. Es tut, sagt er, immer noch weh.

Ob er mit der Rückkehr nach Argentinien, zu Rosario Central, zu seinem Glück gezwungen worden ist? Nein, sagte er, die Frage sei zu groß, und Glück sei mehr als der geliebte Fußball – er sagte es in Nürnberg, unter Schmerzen, er war zur Reha nach Hause gekommen. Sein Schienbein war, nach einem brutalen Foul, gebrochen, es war passiert, als Pinola gerade ein sensationelles Comeback in der Nationalmannschaft gefeiert hatte, an der Seite von Lionel Messi. Er war 33, normalerweise bedeutet so etwas das Ende einer Karriere, aber Pinola kämpfte sich zurück und durfte dann das Trikot tragen, "von dem ich als Kind geträumt habe", wie er sagt.

Das weiße Trikot mit der roten Schärpe, das Trikot von River Plate, dem Rekordmeister Argentiniens. In Rosario schmierten sie nach dem Vereinswechsel Morddrohungen ans Haus der Familie Pinola, auch daran dachte er, als sich jetzt in Madrid ein Kreis geschlossen hatte. Diese Flucht nach Spanien, die aus der Copa Libertadores, dem Pokal der Befreier, eine Copa Conquistadores gemacht hatte, einen Pokal der ehemaligen spanischen Eroberer Lateinamerikas – so sahen das nicht nur Spötter –, war ja auch eine Flucht vor den Zuständen im Land.

Gewalt, Drogen, Korruption: "Dass Argentinien befleckt ist, hat die Welt jetzt wegen eines Fußballspiels gesehen", sagt Javier Pinola, "ich liebe mein Land, aber es ist schon länger befleckt, und ein Fußballspiel kann dieses Bild nicht korrigieren." Dieser Sieg, der größte seiner Karriere, den 400 Millionen Menschen im Fernsehen sahen und Lionel Messi im Stadion, "ist wunderschön, wir haben alles gegeben und verdient gewonnen", nur: "Lasst es uns einfach genießen, es ist Fußball, mehr nicht."

Ein kleiner Traum muss warten 

Ein Spiel, ein Glück, wenn es das sein darf. "So eine Geschichte", sagt Pinola über die Geschichte des längsten Finales der Welt, "darf sich nie wiederholen". Den Augenblick zu genießen, das, sagt er, habe er gelernt, spätestens mit dem schmerzlichen Abschied von seinem geliebten 1. FC Nürnberg, "da musste ich erfahren, wie schwierig es ist, sich Ziele zu setzen". Jetzt geht die Reise weiter, mit River zur Klub-Weltmeisterschaft in die Vereinigten Arabischen Emirate. Weihnachten in der Wüste, ein kleiner Traum muss warten. Irgendwann, das hat Javier Pinola den Kindern versprochen, steht der Christbaum wieder einmal in Nürnberg.

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