Früher Festung, heute Ruine? Die Heim-Historie des FCN

2.8.2020, 05:51 Uhr
Da kommt man als Gegner gerne zu Besuch: Das soll sich unter Dieter Heckings Aufsicht und Robert Klauß' Anleitung jedoch bald schon wieder ändern.

© Sportfoto Zink / DaMa, NN Da kommt man als Gegner gerne zu Besuch: Das soll sich unter Dieter Heckings Aufsicht und Robert Klauß' Anleitung jedoch bald schon wieder ändern.

Seit 1984 ist viel passiert. Deutschland wurde wiedervereint, der Profifußball entwickelte sich vom Volkssport zu einer elitären und vermarktungsgetriebenen Branche, der 1. FC Nürnberg wurde dreimal deutscher Zweitligameister, einmal Pokalsieger, startete im UEFA-Pokal und verzeichnete über ein Dutzend Ligawechsel. Seine Heimspiele trägt der ruhmreiche Altmeister, vielleicht auch deshalb, in Dutzendteichnähe aus – mit zwei Unterschieden. Erstens: Das charakteristische, achteckige "Städtische Stadion" mit seinen markant-charmanten Stahlrohrtribünen ist nun eine multifunktionale Spielstätte, die mittlerweile den Namen der Vereinsikone Max Morlock trägt. Und zweitens: Damals war der Club zuhause eine Macht, was man besonders nach der abgelaufenen Katastrophensaison nicht mehr behaupten kann.


Kommentar: Neuer FCN-Trainer - Der Nächste, bitte!


16 Zähler sammelte Nürnbergs Lieblingsverein in der vergangenen Spielzeit im Max-Morlock-Stadion. Abgesehen von Absteiger Wehen Wiesbaden (punktgleich, aber ein um zwei Treffer schwächeres Torverhältnis) war kein Zweitligist vor heimischer Kulisse weniger erfolgreich als der FCN. Eine schlechtere Bilanz vor eigenem Publikum wies der Club zuletzt in der Bundesliga-Spielzeit 2013/14 auf.

Apropos Publikum: Die nach dem Restart fehlende Unterstützung von den Rängen darf nicht als Ausrede dienen. Bereits nach der herben 0:3-Niederlage am 25. Spieltag gegen Hannover 96, der letzten Partie vor Zuschauern, rangierte das Team des damaligen Cheftrainers Jens Keller in der Heimtabelle auf dem 15. Platz und somit in Sphären, die mitnichten zum Selbstverständnis des chronisch ambitionierten Altmeisters und dem Ruf seiner Heimspielstätte passen dürften. Stattdessen blieb Nürnbergs Leidensverein seinem Kerncharakteristikum treu und legte selbst dann, wenn es scheinbar nicht mehr schlechter werden konnte, noch eine Schippe drauf. Nach der pandemiebedingten Pause eroberte ein taumelnder Club in den vier Geisterpartien auf eigener Spielwiese nur mickrige zwei Punkte. Die einst majestätische Festung unweit des Dutzendteichs war nichts mehr als eine Ruine, bei der nur Erinnerungen an ihre Prachtzeiten erhalten blieben.

Die wohl glorreichste Phase erlebte das "Städtische" in der Saison 1984/85. Die Serie beginnt am 13. Oktober 1984, als der Bundesligaabsteiger unter Erfolgstrainer Heinz Höher im Fußball-Unterhaus die Partie gegen Blau-Weiß Berlin dreht und letztlich mit 2:1 gewinnt. Es folgen 14 weitere Heimsiege und insgesamt 22 Partien im eigenen Stadion, in denen der 1. FC Nürnberg ungeschlagen bleibr. Erst ein 0:2 gegen Meppen beendet im Februar des Folgejahres die bis heute längste Heimserie der Vereinsgeschichte. Die Gesichter des Erfolgs: Toptorschütze Dieter Eckstein, der ebenfalls erst 20-Jährige Roland Grahammer sowie die beiden Teenager Hans Dorfner und Stefan Reuter. Sie alle profitierten von der Entlassung zahlreicher Altprofis nach deren Rebellion gegen ihren Trainer in Folge eines Remis' gegen Oberhausen und eroberten binnen kürzester Zeit die Herzen der Franken.

34 Tage nach dem 1:1 gegen RWO und 484 Kilometer entfernt debütierte übrigens ein anderer Youngster, der später in die Annalen des 1. FC Nürnbergs eingehen sollte. Am 30. November 1984 wechselte der damalige Gladbach-Trainer Jupp Heynckes in der 75. Minute den 20-Jährigen Dieter Hecking am heimischen Bökelberg gegen Fortuna Düsseldorf ein. Das rheinische Duell endete 0:2. Erfolgreicher verlief die genau dreijährige Amtszeit des nun 55-Jährigen als Trainer in Nürnberg. Der Westfale führte den Club zunächst zum Klassenerhalt und später an die Europapokalplätze heran. In den 53 Bundesliga-Heimspielen (inklusive der Relegation) ergatterte der 1. FC Nürnberg unter Heckings Leitung 78 Punkte und somit einen Durchschnitt von 1,47, der auf 17 Spiele gerechnet rund 25 Zähler und somit einen ordentlichen Platz im oberen Mittelfeld der Heimtabelle ergeben würde.


JHV, Reformen, Grethlein-Schelte! Das sagt Sörgel zum FCN


In seiner neuen Funktion als Sportvorstand soll Dieter Hecking nun ein Revival der erfolgreichen Zeiten forcieren. Im Rahmen der Pressekonferenz zu seiner Vorstellung blickte der 55-Jährige bezüglich der Anforderungen jenes diffizilen Unterfangens auf seine Erfahrungen in Nürnberg zurück, habe er doch schnell erkannt, welchen Fußball die hiesige Fangemeinschaft präferiert: "Leidenschaftlichen Fußball", bei dem man den "fußballerischen Aspekt" erkennt. Weiter führte der Fußballlehrer aus: "Die Heimbilanz in den vergangenen Saisons war nicht so gut, wie man sie gerne hätte. Auch da wird ein Ansatz zu finden sein müssen." Jene Aufgabe vertraut Hecking mit Robert Klauß einem Trainer-Novizen an.

Der 35-Jährige war bis dato nur als Co-Trainer der Profis bei RB Leipzig sowie als Chefcoach verschiedener Juniorenmannschaften der Sachsen aktiv. Besonders erfolgreich war der junge Mann aus Eberswalde in der Saison 2017/18 mit der U19. In der A-Junioren Bundesliga zählte sein Team zu den drei offensivstärksten Vertretern der Nord/Nordost-Staffel, besonders auf heimischer Spielweise glänzten die jungen Bullen: Gelingt Klauß das Kunststück von damals 29 Zählern in 13 Partien und dem entsprechenden Schnitt von 2,23 auch beim Club in der 2. Bundesliga, so dürften die hochgerechnet 37,9 Punkte der Bestwert sein – Aufsteiger Stuttgart, Tabellenführer der Heimtabelle, kam in der vergangen Saison auf herausragende 38 Zähler.


Kuchen, Club und Revolution: Erinnerungen an Heinz Höher


Im Gegenzug hakte es bei den Schwaben auswärts - anders als beim Club: In der Fremde zählten die Nürnberger zu den fünf stärksten Mannschaften der 2. Bundesliga. Generell rangierte der FCN in den vergangenen drei Spielzeiten im Fußball-Unterhaus – und somit auch in der Aufstiegssaison - in der Auswärtstabelle auf einem besseren Tabellenplatz als im Heimklassement. Auch das war nicht immer so: Über die komplette Spielzeit 1983/84 verzeichnete der Club keinen einzigen Auswärtspunkt. Nicht alles war also früher besser.

Verwandte Themen


11 Kommentare