Goldfisch Selim schwimmt zum fränkischen EM-Sieg

10.7.2019, 10:25 Uhr
Goldfisch Selim schwimmt zum fränkischen EM-Sieg

© Mirko Seifert

Exakt 35 Jahre lang war Alexander Gallitz der einzige Junioren-Europameister im Schwimmen aus Nürnberg, jetzt ist er seine Sonderstellung los - und freut sich darüber. "Er ist ein Supertyp, nett, intelligent und sehr angenehm", sagt Gallitz, Freistil-Staffelsieger von 1984, über den 17 Jahre alten Artem Selim, der im russischen Kasan jüngst für ein bisschen Aufruhr in der Branche sorgte – mit einem furiosen Lauf über 50 Meter Freistil, beendet nach 21,83 Sekunden.

Sibirien und "ein echter Hammer" 

Das bedeutete seit Gold bei den Junioren-Europameisterschaften, das erste für die Region seit 16 Jahren, zuletzt war Daniela Götz vom TSV Katzwang 2003 in Glasgow ein solcher Coup gelungen. Jetzt stehen die Nübad-Flipper in den Siegerlisten, für den Klub der von Alexander Gallitz aufgebauten Nürnberger Schwimmschule startet Artem Selim; Gallitz’ Sohn Paul gehört, wenn man so will, zu den Entdeckern dieses Talents, das beinahe aus dem Nichts kam, genauer: aus dem tiefsten Sibirien.

"Papa, wir bekommen da einen Russen, der muss phänomenal sein": Das, erzählt Gallitz, sagte der Sohn dem Vater am Telefon, Paul Gallitz trainierte da noch am Bundesstützpunkt in Heidelberg. Der Russe, eingetroffen im April 2018, ist das einzige Kind zweier Spätaussiedler; die Mutter hatte einen deutschen Großvater, der Neuanfang führte die Familie nach Heidelberg – und über seinen Sohn, der die eigene Schwimmkarriere inzwischen wegen eines unverschuldeten Fahrradunfalls verletzungsbedingt hat aufgeben müssen, entdeckte Gallitz den sagenhaften jungen Russen. Einen "väterlichen Freund" nennt er sich heute, Gallitz mag die Selims und hilft ihnen bei der Integration, auch ganz praktisch, die Eltern erhielten ein Auto, Artem als Sportbotschafter für die Behindertenarbeit der Flipper-Schwimmschule einen Sponsorenvertrag. Und inzwischen ist der Mentor Gallitz ein bisschen auch Fan.

"Ein echter Hammer", sagt der ehemalige Spitzen-Freistilsprinter, seien die 50 Meter von Kasan gewesen, und das ist nicht übertrieben: Bis auf zwei Hundertstelsekunden kam Artem Selim damit an den drei Jahre alten Deutschen Rekord des Esseners Damian Wierling heran, er unterbot die Olympianorm des Weltschwimmverbandes für Tokio 2020 deutlich, nebenbei war es ein Veranstaltungsrekord und ein deutscher Altersklassenrekord, bisher gehalten vom späteren Olympiafinalisten Steffen Deibler. "Und Artem hat", findet Gallitz, "sogar noch viel mehr drauf, der Start war richtig schlecht, danach hat er den Turbo gezündet" – wie zuletzt im Dezember 2018, als Artem Selim die Szene erstmals ein bisschen verblüffte. Bei den Deutschen Kurzbahnmeisterschaften in Berlin gewann er zum Debüt überraschend den Titel über 50 Meter Freistil.

"Er bringt alles mit" 

Mit Kasan – wo Annalena Wagner von der SG Mittelfranken das Halbfinale über 100 Meter Rücken erreichte – hat für den Elftklässler Artem Selim, davon ist Alexander Gallitz überzeugt, eine Karriere erst richtig begonnen, "die groß werden kann, er bringt alles mit". Ein Umzug nach Franken ist dafür jetzt eine Option, und interessanterweise staunte man dort, bei der SG Mittelfranken in der Erlanger Hannah-Stockbauer-Halle, schon über eine ähnliche Geschichte.

Dort tauchte vor vier Jahren Nikita Rodenko ebenfalls fast aus dem Nichts fulminant auf; der jüngere Sohn einer vierköpfigen Flüchtlingsfamilie aus Charkiw in der Ukraine, heute 18 Jahre alt, gehört seither zu den Besten seines Jahrgangs und wäre sportlich für die Junioren-EM qualifiziert gewesen – indes warten die Rodenkos noch auf ihre Einbürgerung. Gemeinsamkeiten würden beide Senkrechtstarter leicht finden: Roland Böller, Cheftrainer der SG Mittelfranken, und Alexander Gallitz kennen sich bestens – sie schwammen vor Jahrzehnten gemeinsam im Bundesligateam der SSG 81 Erlangen.

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