Großes Interview: So sieht Grethlein die Lage beim Club

5.10.2017, 07:52 Uhr
Großes Interview: So sieht Grethlein die Lage beim Club

© Foto: Sportfoto Zink

NZ: Herr Grethlein, wie fällt die Bilanz Ihrer ersten Amtsperiode aus?

Thomas Grethlein: Das erste Jahr war sehr schwierig und hart, weil es außerordentlich viel Verantwortung mit sich brachte. Es ist eher ungewöhnlich, dass man neu in ein Gremium gewählt und gleich zum Vorsitzenden gemacht wird. Nach ein paar Wochen haben wir dann entschieden, den Vertrag von Ralf Woy nicht zu verlängern. Ein halbes Jahr später folgte die Trennung von Martin Bader. Das hat natürlich intern und extern für sehr viel Unruhe gesorgt und dazu geführt, dass man das Amt etwas dehnen musste, weil es ein Vakuum gab. Ich war operativ stärker eingebunden, als es eigentlich der Fall sein sollte. Aber die Entscheidungen, die wir damals getroffen haben, tragen aus meiner Sicht jetzt Früchte. Deshalb würde ich in der Retrospektive durchaus sagen, dass es drei gute Jahre waren.

NZ: Rein faktisch spielt der Club immer noch in der 2. Liga. Hat sich der Verein trotzdem positiv entwickelt?

Grethlein: Das würde ich sagen. Wir müssen uns immer noch mit den finanziellen Auswirkungen des gescheiterten Versuchs, sofort wieder den Aufstieg zu schaffen, beschäftigen. Es wird auch noch eine Weile dauern, bis wir das völlig bereinigt haben. Im Vordergrund stand die Konsolidierung des Vereins. Der Aufstieg konnte und kann deshalb auch nur ein mittelfristiges Ziel sein. Doch wenn alles optimal läuft, können wir es in dieser Saison schaffen, aber wir haben ihn bewusst nicht als Ziel ausgegeben.

NZ: Gibt es überhaupt eine reelle Chance für den Club, in der 2. Liga zu gesunden?

Grethlein: Um das aus dem Spielbetrieb heraus zu schaffen, wäre ein Aufstieg schon sehr hilfreich. Das mahnende Beispiel ist der 1. FC Kaiserslautern, der jedes Jahr den Etat ein bisschen herunterschrauben musste, und dann wird es eben immer schwieriger. Deshalb suchen wir ja auch nach anderen Wegen, um finanziell zu gesunden.

NZ: Viele Menschen verstehen nicht, woher dieser schwere Rucksack, den der Club mit sich herumschleppt, überhaupt kommt.

Grethlein: Dieser Rucksack ist nicht nur in den letzten vier Jahren enstanden, wir schieben bereits relativ lange einen hohen Schuldenberg vor uns her. Was man rückblickend kritisieren könnte: dass man die guten Jahre in der Ersten Liga nicht dazu genutzt hat, die Schulden signifikant abzubauen, weil man in den Kader investieren wollte. Angetrieben von dem Versuch, sportlich möglichst gut mithalten zu können, hat man Etats aufgestellt, bei denen der Spielbetrieb die Ausgaben nicht refinanziert hat. In der 2. Liga ist es dann eigentlich unmöglich, Schulden in dieser Größenordnung abzubauen.

"Werden das Thema 'Kapitalgesellschaft' wieder aufgreifen"

NZ: Hat auch das neue Funktionsgebäude am Valznerweiher zu dieser Delle beigetragen?

Grethlein: Natürlich. Es war meiner Meinung nach eine wichtige und sinnvolle Investition, aber diese sechs Millionen plagen uns noch immer.

NZ: Die sehr kontrovers diskutierten Pläne zur Ausgliederung beziehungsweise Umwandlung des Vereins in eine Kapitalgesellschaft wurden zunächst auf Eis gelegt. Vorrang genießt nun die Suche nach strategischen Partnern. Gibt es da schon neue Entwicklungen?

Grethlein: Wir haben eine Präsentation erarbeitet, um zunächst vor allem Unternehmen im regionalen Umfeld zu gewinnen. Unser Finanzvorstand Michael Meeske ist da unterwegs und führt Gespräche. Es wird sicher etwas Zeit brauchen, aber sobald sich etwas tut, werden wir das Thema "Kapitalgesellschaft" wieder aufgreifen.

NZ: Ist man vielleicht etwas zu naiv an dieses komplexe Thema herangegangen? Sowohl was die finanziellen Aspekte als auch den heftigen Widerstand von Seiten der Ultras betrifft?

Grethlein: Dass Gegenwind kommt, war uns klar, die anfangs nur schwer zu prognostizierenden Auswirkungen hingegen nicht. Da offenbar keiner der anderen Vereine so ein hohes negatives Eigenkapital wie der Club hatte und es außerdem eine gesetzliche Änderung gab, hatten die Experten die Steuerproblematik vermutlich nicht im Fokus. Insgesamt war das natürlich nicht besonders glücklich.

"Bei Ismaël hatte der Aufsichtsrat Druck ausgeübt"

NZ: Sie sind aber nach wie vor der Meinung, dass eine Strukturreform, sprich: die Abkehr vom eingetragenen Verein, der richtige Weg ist?

Grethlein: Wenn wir unseren Ansprüchen wieder gerecht werden und auf Dauer in der Bundesliga spielen wollen, führt aus meiner Sicht kein Weg daran vorbei. Auf lange Sicht schießt Geld eben doch Tore. Wenn man sich mit der 2. oder vielleicht auch mal 3. Liga begnügen will, geht das sicher auch mit dem e.V. Aber ich möchte das ehrlich gesagt nicht.

NZ: In Ihrer dreijährigen Amtszeit ist bereits der vierte Trainer am Werk. Waren die Entlassungen von Valérien Ismaël und Alois Schwartz für Sie bislang die schwierigsten Tage?

Grethlein: Bei Ismaël hatte der Aufsichtsrat relativ viel Druck auf den damaligen Vorstand ausgeübt, weil wir alle der Meinung waren, dass es nicht mehr geht. Das hat uns durchaus beschäftigt, zumal wir mehrheitlich noch nicht lange im Amt waren. Bei den anderen Entscheidungen war der Aufsichtsrat seiner Rolle gemäß beteiligt.

NZ: Auch bei der Idee, Michael Köllner zum Cheftrainer zu befördern?

Grethlein: Da gab es gar keine großen Diskussionen. Er hatte sich bei uns ja schon als NLZ-Leiter vorgestellt und dabei einen sehr guten Eindruck hinterlassen. Auch in der Rückrunde konnte man – trotz fehlender Ergebnisse – bereits sehen, dass er einen klaren Plan verfolgt und etwas bewegen kann. Die Mannschaft hat damals unter ihm rasch ein anderes Gesicht gezeigt und wieder mehr Fußball gespielt. Ob es dann wirklich aufgeht, weiß man natürlich nicht.

NZ: Kann man sich in Ihrer Position noch das romantische Fan-Sein bewahren? Oder bringt der Blick hinter die Kulissen auch viel Ernüchterung mit sich?

Grethlein: Das Komische ist: Beim Spiel bin ich Fan, während dieser
90 Minuten gehe ich mit, schimpfe und juble. In der Zeit dazwischen sieht man manches natürlich anders. Es ist ein hartes Geschäft. Dieser Einblick macht aber auch einen Reiz dieser Aufgabe aus.

"Deswegen ist man noch längst kein 'Bader-Mann'"

NZ: Sie wurden zu Beginn Ihrer Amtszeit von Kritikern oft als "Bader-Mann" geschmäht, haben letztlich aber die Entlassungen von Woy und Bader mitgetragen oder sogar vorangetrieben. Hat man Ihnen Unrecht getan?

Grethlein: Ja, weil da einfach merkwürdige Dinge behauptet wurden. Ich habe immer betont, dass ich Martin Bader erst nach meiner Wahl kennengelernt habe. Natürlich wird vor einer Aufsichtsratswahl im Vorstand auch darüber geredet, welche Kandidaten denn wählbar wären. Herr Bader stand damals sehr unter Druck, und ich kann mir vorstellen, dass er mich und Stefan Müller vielleicht genannt hat, weil wir nicht der "Pro Club 2020"-Gruppierung angehörten. Aber deswegen ist man noch längst kein "Bader-Mann".

NZ: Um den Aufsichtsrat ist es seit längerer Zeit auffallend still geworden, es dringen auch kaum mehr Interna nach außen – Ihr größter Verdienst als Vorsitzender dieses Gremiums?

Grethlein: Das liegt sicher an der aktuellen Zusammensetzung. Aber auch die Leute, die gern mal was gesagt haben, haben verstanden, dass es wirklich wichtig ist, keine Interna weiterzugeben. Und bei allen Auseinandersetzungen gibt es einen großen Teamspirit, alle sind sehr engagiert.

NZ: Hat Sie persönlich das Amt verändert? Sie stehen nun mehr in der Öffentlichkeit, müssen sich auch oft Kritikern stellen . . .

Grethlein: Es hat mein Leben verändert, gerade weil ich gleich zum Vorsitzenden gewählt wurde. Das führt dazu, dass man in schlechten Zeiten auf offener Straße auch schon mal angeschrien wird. Ist wirklich passiert: Ich stand mal abends am Geldautomaten und wurde dann plötzlich von einem Herrn im Anzug wüst beschimpft. Der ist richtig ausgerastet. Das sind die Kehrseiten dieses Amtes. Ich habe aber auch viel gelernt, sowohl in wirtschaftlichen Dingen als auch im Umgang mit der Öffentlichkeit. Im Fußball ist das Spannungsverhältnis zwischen kurzfristigen Erfordernissen und mittelfristigem strategischen Handeln am größten, weil der Druck von außen Pläne allzu leicht durchkreuzt. Ich glaube, hier das rechte Maß gefunden zu haben.

"Nicht jeder ist für das Gremium geeignet"

NZ: Es gibt in Nürnberg aber nicht nur Menschen, die Sie anschreien?

Grethlein: Als ich nach dem Derbysieg mit Michael Meeske auf dem Altstadtfest war, haben uns zahlreiche Leute auf die Schultern geklopft. Das schmeichelt einem natürlich und freut einen auch, aber das darf nicht die Motivation sein. Wenn man sich das Lob oder den Beifall der Öffentlichkeit abholen will, ist man verloren. Man muss seine Entscheidungen gut überlegen und dann dazu stehen. Verteufelungen muss man aushalten, das gehört zum Amt dazu.

NZ: Am Sonntag kandidieren neben den drei zur Wiederwahl stehenden Amtsinhabern Thomas Grethlein, Stefan Müller und Günther Koch mit Andreas Hock und Erwin E. Schwab nur zwei neue Bewerber. Hat der Job als Aufsichtsrat an Attraktivität verloren? Interessiert der Club die Menschen nicht mehr?

Grethlein: Ich glaube, das hängt auch damit zusammen, wie aufgeregt die Zeiten sind. Im Moment befinden wir uns in einer ruhigeren Phase, da ist der Impuls, sich in den Aufsichtsrat wählen zu lassen, um etwas verändern zu können, vielleicht niedriger.

NZ: Außer Oberbürgermeister Ulrich Maly, Hockey-Olympiasieger Max Müller und Kultreporter Günther Koch ist kaum echte Lokalprominenz im Gremium vertreten. Schreckt es bekanntere Persönlichkeiten ab, von der Gunst einer oft gewissen Stimmungen unterworfenen Mitgliederversammlung abhängig zu sein?

Grethlein: Das mag schon sein. In den Aufsichtsräten vieler anderer Erst- und Zweitligisten sieht es aber auch nicht anders aus. Ich finde, wir sind eine ganz gute und repräsentative Mischung.

Was für Ishak sprach

NZ: Ein oft gehörter Vorwurf ist auch, dass es dem Gremium an sportlicher Kompetenz mangelt. Ex-Profis wie Marc Oechler und Horst Leupold sind allerdings bei ihren Kandidaturen gescheitert. Warum ist es so schwer, geeignete Bewerber mit sportlichem Sachverstand zu finden?

Grethlein: Ein guter Sportler muss nicht immer auch ein guter Aufsichtsrat sein. Nicht jeder frühere Fußballer ist für so ein Gremium geeignet. Und wenn man sich die Funktion des Aufsichtsrats anschaut, spielt das Sportliche nur sehr bedingt eine Rolle. Das ist Aufgabe des operativen Geschäfts. Sicher schadet es nicht, wenn auch jemand mit Sachverstand im Aufsichtsrat sitzt – aber nur, solange er sich nicht missionarisch einmischt und dem Sportvorstand sagen will, welche Spieler er zu verpflichten hat.

NZ: Apropos Sportvorstand: Andreas Bornemann stand vergangene Saison wegen seiner Personalpolitik in der Kritik. Nun führt etwa ein schon als Fehleinkauf abgestempelter Mikael Ishak die Torjägerliste der 2. Liga an. Ein Indiz, dass man im Fußball manchmal einfach Geduld braucht?

Grethlein: Man weiß doch nie, ob ein Transfer wirklich aufgeht. Für Ishak sprach, dass er in Dänemark viele Tore geschossen hat. Ob er dann auch in Nürnberg funktioniert, kann keiner sagen. Das macht ein Stückweit auch die Faszination dieses Sports aus. Selbst der FC Bayern hat bei seinen teuren Verpflichtungen gelegentlich denebengegriffen. Man kann aber sehen, dass unser Kader sehr planvoll zusammengestellt wurde. Entscheidend für uns im Aufsichtsrat ist, ob ein Transfer in sich sinnvoll begründet ist. Und wenn man davon überzeugt ist, muss man auch die nötige Geduld aufbringen.

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