Havarie in Havelse: Der Club in Sorgen

21.8.2012, 07:00 Uhr
Dieter Hecking konnte es nicht gefallen, was er in Havelse zu sehen bekam.

© Sportfoto Zink / DaMa Dieter Hecking konnte es nicht gefallen, was er in Havelse zu sehen bekam.

Es war heiß und stickig in der engen Teamkabine am Valznerweiher. Dass über den Bildschirm ein unterhaltsames und abwechslungsreiches Fußballspiel lief, machte den Vormittag für die Profis des 1.FC Nürnberg nicht angenehmer. Dummerweise war es jenes Fußballspiel, das sie tags zuvor selbst abgeliefert hatten, und unterhaltsam und abwechslungsreich sollte es ja eher nicht zugehen, wenn ein Bundesligist auf einen Viertligisten trifft – jedenfalls nicht aus Sicht des Bundesligisten.

Was die Spieler nach dem kleinen Horrorvideo so gesagt haben? Nichts, teilte Trainer Dieter Hecking mit, das sei auch gar nicht erwünscht gewesen, „heute war der Tag des Herrn“. Und Herr Hecking, noch leidlich zornig, schickte die Mannschaft dann, in der Mittagshitze, zum Laufen, stand in der Sonne und sagte: „Ich hoffe, dass sie etwas gelernt haben.“



Das hatte Hecking allerdings bis Sonntag um 14.30 auch gehofft, man hatte den bis dato in der Regionalliga Nord noch sieglosen TSV Havelse schließlich im Videostudium durchgenommen und eindringlich darauf hingewiesen, was schiefgehen könnte. Trotzdem ging es schief, und wie. Der unterklassige Gegner war in allen Belangen besser – und das lag noch nicht einmal daran, dass es den Profis an der individuellen Einstellung gemangelt hätte. „Am Wollen“, sagte Hecking gestern, „hat es ja nicht gelegen.“

Das stimmt, und deshalb hatte das 2:3 zum DFB-Pokalauftakt in Garbsen-Havelse auch Dieter Hecking einigermaßen erschüttert; „sehr irritiert“ war er noch zwanzig Stunden nach dem Schlusspfiff einer Partie, die er noch einmal so zusammenfasste: „Kopflos, ohne Ordnung, ohne Disziplin“, Fazit: „So geht es nicht.“ So war es aber gegangen – und verspielt waren nicht nur (immerhin im Etat nicht einkalkulierte) mögliche beträchtliche Mehreinnahmen aus dem Pokalwettbewerb.



Eine besondere Chance war auch dahin; weil gleich ein Drittel der Bundesliga dem hochsommerlichen Favoritensterben zum Opfer fiel, bietet der Wettbewerb für den Rest nun bessere Perspektiven. „Es nervt“, sagte Hecking, „welche Gelegenheit wir ausgelassen haben“, und zu allem Überfluss waren vermeintlich positive Erkenntnisse aus der wochenlangen Vorbereitung ein wenig ad absurdum geführt – jedenfalls, wenn es halbwegs ernst gemeint gewesen sein sollte, was Nürnberg da im Niedersächsischen geprobt hatte.

Vom Wollen und Können

Marcos Antonio zum Beispiel sah zu keiner Minute aus wie ein Abwehrchef, dirigierte allerdings auch eine Viererkette, deren Außenverteidiger eine Art Flügelstürmer sein wollten – entsprechend weit standen Antonio und Timm Klose, der noch beste Nürnberger Feldspieler, im Zentrum auseinander. Riesig waren die Lücken im Verbund aber auch, weil fünf Mittelfeldspieler auf einer Linie agierten – ohne die Räume nach hinten zu schließen, aber auch ohne jedwede Idee für ein Vorwärtsspiel. „Und dann“, sagt Hecking, „ist man irgendwann kein Bundesligist mehr, sondern nur noch eine Fußballmannschaft.“

Sie wollten alle – bloß was eigentlich? Dass es ergo am Können fehlt, könnte eine Woche vor dem Bundesligastart die beunruhigendste Erkenntnis sein – wenn sie denn neu wäre. Aber dass der 1.FC Nürnberg nur als Ganzes funktioniert oder gar nicht wie am Sonntagnachmittag, war auf ziemlich schmerzliche Weise lediglich bestätigt worden; „taktisch undiszipliniert“, das war Heckings größter Vorwurf nach der Havarie von Havelse, habe die Elf agiert und damit konterkariert, was „unser größtes Plus“ (Hecking) sein sollte.

„Man muss ja feststellen, dass wir sogar mehr Torchancen hatten“, sagte, etwas erstaunt, Havelses Trainer Andre Breitenreiter, der natürlich zu höflich war um zu sagen, dass sein TSV zur Feier des hundertsten Vereinsjubiläums auch 5:2 hätte gewinnen können, ohne dass es unverdient gewesen wäre.

Der 1.FC Nürnberg konnte es, will man es so sagen, nicht annähernd ernst gemeint haben mit dieser Vorstellung, das macht die zweitgrößte Blamage in der Pokalgeschichte des Vereins (vor elf Jahren verabschiedete man sich beim Fünftligisten SSV Ulm) nicht weniger peinlich. Die gesamte Vorbereitung, meint Timmy Simons, stelle die verunglückte Landpartie aber nicht auf den Kopf. „So etwas passiert, wenn man zu viele grundlegende Fehler macht“, sagte er, „das kann vorkommen, leider.“ Ob man sich jetzt größte Sorgen machen müsse, war Simons auch noch gefragt worden. „Sorgen – nein, das glaube ich nicht“, sagte der routinierte Belgier. Er meinte das völlig ernst.

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