Interview mit EM-Nachrücker

Firnhaber: "Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ich mich infiziere"

20.1.2022, 06:43 Uhr

© Erwin Scheriau/APA/dpa

Herr Firnhaber, zunächst die wichtigste Frage: Wie geht es Ihnen nach der ersten Nacht im Teamhotel in Bratislava?
Noch gehts mir gut, alle Tests waren negativ - das ist das Positive im Moment.

Sie sind offenen Augens zur Europameisterschaft gereist, in eine Mannschaft, die derzeit neun positive Fälle im selben Hotel isoliert hat.
Alfred (Gislason, Bundestrainer, d. Red.) rief mich am Montagabend gegen 21 Uhr in Erlangen an, ich kam grad vom Training und hatte erst die Nachricht gelesen, dass es wohl mehrere positive Fälle im Team gibt. Alfred fragte mich, wie es aussieht, ob ich grundsätzlich kommen wollen würde, dass er und die Mannschaft verstehen würden, wenn ich das Risiko nicht eingehen möchte. Ich habe aber immer gesagt, dass ich bereit stehe, wenn die Nationalmannschaft mich braucht. Und dieser Einstellung bin ich auch jetzt treu geblieben.

Das heißt, Sie haben nicht einmal gezögert?
Sagen wir so: Ich versuche, nicht darüber nach zu denken. Natürlich habe ich keine Lust krank zu werden. Ich hatte erst im März eine Corona-Infektion, ich weiß, dass das nichts Angenehmes ist. Ich weiß auch, welche Langzeitfolgen das haben kann, bei Max Jaeger (Mitspieler des HC Erlangen, der an "Long Covid" erkrankte, d. Red.) war das schlimm anzusehen. Was soll ich sagen? Ich habe Respekt, aber keine Angst. Ich lasse das nicht in meinen Kopf, das würde mich nur zusätzlich hemmen.

Wie haben Ihre Frau, Ihre Eltern, Ihr Bruder Ihre Entscheidung aufgenommen?
Sie unterstützen mich alle, das ist für mich auch das Wichtigste: Die Menschen, die mir am nächsten stehen, die mir am liebsten sind, dass die mir den Rücken stärken. Nele hat mir sogar geholfen zu packen, sie hat mich frühmorgens zum Bahnhof nach Nürnberg gefahren. Sie wissen alle, dass ich das einfach machen muss.

Warum müssen Sie das einfach machen?
Für einen Handballer ist die Nationalmannschaft das Größte, es geht von hier kaum noch weiter hinauf. Es ist für mich die Spitze des Eisbergs. Auch wenn es nicht unwahrscheinlich ist, dass ich mich vielleicht infiziere.

Von Ihrem Mitspieler Christoph Steinert wissen wir, wie engmaschig die Tests sind, wieviel Wert auf Isolation und eine Blase gelegt wird. Trotzdem haben sich neun Spieler infiziert. Zeigt das nicht vielmehr, dass Corona eines nicht ist: kontrollierbar?
Gute Frage. Ich desinfiziere fast pausenlos meine Hände, ich trage fast überall Maske, ich wechsle meine Maske häufig. Aber natürlich gibt es Variablen, die wir alle nicht in der Hand haben. Somit bleibt am Ende, so gut man sich auch schützt, immer: Hoffen.

Es sieht im Fernsehen so aus, als würde diese außergewöhnliche Situation nicht etwa hemmen, sondern die Mannschaft noch enger zusammenwachsen lassen.
Das habe ich auch so empfunden, wenngleich ich das noch nicht ganz bewerten kann. Ich habe einen Teil der Mitspieler nicht gesehen, die in Isolation stecken. Wir wohnen in Einzelzimmern, holen uns einzeln das Essen dorthin. Nach meiner Ankunft habe ich die Jungs das erste Mal im Bus zum Spiel begrüßt und hätte manche da gern umarmt. Auch Steini hätte ich gern zum Geburtstag gedrückt. Wir lassen das aber lieber. Es ist eine verrückte Situation: Heute ist nicht klar, ob wir das Risiko eingehen, gemeinsam zu trainieren. Aber es ist klar, dass jeder alles reinwirft, was er hat, die meisten sind ja schon 14 Tage so zusammen, haben unglaublich viel investiert und geschuftet. Hier will ich jetzt meine Attribute reinwerfen, damit wir möglichst erfolgreich sind. Und wenn das nur, wie gegen Polen, das Antreiben von der Bank aus ist.

Nun kommt am Donnerstag Spanien im ersten Hauptrundenspiel, für Sie persönlich geht es von 0 auf mindestens 250 gegen den Titelverteidiger. Mit welchen Gefühlen gehen Sie in das Spiel?
Ich freue mich riesig darauf, mich auf dem höchsten Niveau zu messen, dafür bin ich ja nachgereist. Ich habe jetzt auf jeden Fall noch vier Spiele mit dem Team. Da heißt es alles reinzuwerfen, ich glaube, wir haben eine ganz, ganz große Chance mit diesem Teamgeist weit zu kommen. Und nebenbei müssen wir auf die Dinge hoffen, die wir nur bedingt beeinflussen können.

Sie zählten in Ägypten von Beginn an zum deutschen WM-Aufgebot, auch da gab es Kritik, eine WM trotz Pandemie zu spielen. Irgendwie ging es einigermaßen gut. Nun herrscht, wie manche Zeitungen schreiben, "Corona-Chaos" bei der EM. War es richtig, diese Europameisterschaft in der Omikron-Welle zu starten?
Das maße ich mir nicht an, diese Frage zu beantworten. Ich habe diesen Vergleich vor einem Jahr bei der WM, da gab es ein paar positive Fälle in einem Team - das wurde daraufhin ausgeschlossen. Nun hat jede Mannschaft Corona-Fälle. Positiv ist das sicher nicht - und das Turnier geht ja noch eine ganze Weile. Es bleibt nicht viel als einfach abzuwarten.

Das muss nun auch Ihr Arbeitgeber, der HC Erlangen. Haben Sie ihn lieber nicht gefragt, als Alfred Gislason anrief?
Doch, natürlich. Es gab einen sehr vernünftigen Austausch darüber mit dem HCE. Klar ist, dass die Verantwortlichen da natürlich auch Magenschmerzen haben, mich fahren zu lassen. Aber auch sie wissen, dass die Nationalmannschaft die Spitze des Eisbergs ist, daher haben sie mir keine Steine in den Weg gelegt. Dafür bin ich dem Verein sehr dankbar.

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