Proteine mit Igitt-Effekt

Insekten wären die ideale Sportlernahrung

12.7.2021, 11:21 Uhr
Mittlerweile ist das kein Aufreger mehr auf Street-Food-Messen: eine Schale mit Heuschrecken, Mehl- und Buffalowürmern auf Salat. Gesund ist es allemal, doch der Anblick ist für viele Deutsche noch gewöhnungsbedürftig.

© imago images/mhphoto, NN Mittlerweile ist das kein Aufreger mehr auf Street-Food-Messen: eine Schale mit Heuschrecken, Mehl- und Buffalowürmern auf Salat. Gesund ist es allemal, doch der Anblick ist für viele Deutsche noch gewöhnungsbedürftig.

Gefühlt jedes Jahr macht neues "Superfood" die Runde in der Fitness-Szene: Von der Goji-Beere über die Papaya bis zu Chia-Samen preisen findige Marketing-Strategen ihre Produkte an. An den Theken in den Fitnessstudios reicht das Personal künstlich hergestellte Protein-Shakes und -Riegel.


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Günstiger, nachhaltiger und in großen Mengen verfügbar hingegen wären Tiere, mit denen sich vor allem die Deutschen auf dem Teller noch nicht so recht anfreunden wollen: Insekten. Sie bieten eine ernstzunehmende, gesunde Nährstoffquelle. Sven Hochstrat und Sebastian Willert kämpfen mit ihrem Erlanger Start-Up-Unternehmen Imago Insect Products um die Anerkennung, die die Krabbler verdienen.

Herr Hochstrat, können Sie für unsere Leser das Geräusch beschreiben, wenn man auf eine Grille beißt?

Sven Hochstrat: Das ist so, wie wenn du auf Erdnussflips beißt. Es knuspert ein bisschen.

Insekten wären die ideale Sportlernahrung

Wie oft hören Sie das Wort "Igitt", wenn Sie auf einer Messe Ihre Produkte vorstellen?

Hochstrat: 2015 haben wir mit ganz vielen "Igittigitt" angefangen, jetzt hören wir es nur noch ab und zu. Es gibt eine Hemmschwelle, es das erste Mal zu probieren. Dann ist der Spuk auch schon vorbei. Die Mutigen probieren die ganze Grille. Die weniger Mutigen probieren unsere Produkte, die aus dem Mehl der Grille gemacht sind und finden sie gut. Durch die Berichte in den Medien ist die Hemmschwelle geringer geworden.

Erlebnisse in Kambodscha und Bangkok

Hand aufs Herz: Sie fanden es früher auch mal eklig. Wie baut man diese Scheu vor der Grille ab?

Hochstrat: Für uns war es im Urlaub 2008 in Kambodscha eine Mutprobe. Alle hatten wir den Ekel im Kopf. An einem Straßenstand haben wir in Fett ausgebratene Grillen gekauft, die nach dem ranzigen Öl geschmeckt haben. Ein Jahr später in Bangkok haben wir aus Gag Mehlwürmer mit Salz und Pfeffer gekauft, um ein Foto zu machen. Doch es war so lecker, dass wir sie zum Bier ganz aufgegessen haben.

Deswegen kommt man aber noch nicht gleich darauf, ein Unternehmen zu gründen . . .

Hochstrat: 2010 haben meine Frau und ich die ersten Berichte von der Food and Agriculture Organisation der UN gelesen und dachten uns: Mensch, das hat ja großartige Nährwerte, lecker war es auch, die Nachhaltigkeitsidee finden wir gut. Wir essen wenig Fleisch, denn Fleischessen ist eines der größten Probleme der Welt. Für 18 Prozent des CO2- Ausstoßes ist die Tierzucht verantwortlich. Insekten hingegen verbrauchen kaum Platz, sie bieten eine Nahrungsquelle, die bislang völlig vernachlässigt wird. In Europa gab es damals quasi keine Hersteller, keine Farmen. Also dachten wir uns: Wir könnten das doch machen.

Wenn man ein Problem mit Fleisch hat, kann man doch auch einfach Vegetarier werden . . .

Sebastian Willert: Als Vegetarier muss man sehr akribisch sein, um den Bedarf an Eiweiß zu decken. Eiweiß ist nach Wasser das Wichtigste für den Körper, danach kommen Fette und Kohlenhydrate. Wenn vegetarische Kohlenhydrate wie Brot, Kartoffeln und Nudeln die Hauptnahrungsquelle sind, setzen sie an, wenn man sie nicht verbraucht. Aber das tierische Protein ist für den Körper das beste, das kennt der Körper seit Jahrtausenden.

Hochstrat: Und da sind wir beim Thema: Wenn jeder sein Tier selbst erlegen würde, dann wäre das in Ordnung . . .

Fitness-Fans lieben proteinhaltige Lebensmittel. Können Grille und Co. da überhaupt mithalten?

Willert: Sie haben sogar die Nase vorne. Wenn man es vergleicht mit einem normalen Eiweiß-Shake mit 80 Prozent Eiweiß, ist das Problem: Das ist bei weitem kein Naturprodukt, sondern enthält viele Zusatzstoffe. Wir brauchen Süßstoffe, damit die Aminosäuren schmecken, Molke und Milchproteine, wofür die Kuh leiden muss. Die Grille aber hat schon 70 Prozent Eiweiß – wir müssen nichts zumischen, wir können das Tier einfach so verwerten, es gibt keinen versteckten Zucker. Grillenmehl hat kaum Kohlenhydrate, ist also auch für die schlanke Linie sehr gut. Die Ballaststoffe sind gut für die Darmgesundheit und halten den Blutzuckerspiegel konstant.

40 Gramm Grillen liefern soviel Eiweiß wie ein Shake

Wie viele Grillen ersetzen den Shake im Studio?

Willert: 30 Gramm Eiweiß, die ein Shake normalerweise hat, entsprechen 40 Gramm dampfgegarten Grillen. Man kann sie pur oder mit Gewürz essen oder auch geschmacksneutral als Mehl in Riegeln oder einer Bolognese-Sauce.

Welches Insekt taugt am besten für Sportlernahrung?

Hochstrat: Im Endeffekt taugen nur zwei bis drei Arten: Grillen, Mehlwürmer und die größeren Heuschrecken. Von den Nährwertprofilen nehmen die sich alle nicht viel. Für einen Hobbysportler macht das keinen Unterschied. Alle drei werden einfach getrocknet und gemahlen.

In welcher Form nimmt der Körper die Insekten am besten auf?

Willert: Das macht keinen Unterschied, alles wird im Darm verarbeitet. Fitness-Experten schauen besonders auf die sogenannten BCAAs (verzweigtkettige Aminosäuren, d. Red.), schnelle Energiespender fürs Muskeltraining. Die meisten Produkte aus der Fitnessbranche werben damit. Der Wert ist bei Insekten ziemlich hoch, es gibt eine Studie, die zeigt, dass die Proteine genauso gut aufgenommen werden wie bei den künstlichen Shakes.

Woher beziehen Sie die Tiere?

Hochstrat: Aus Spanien und Litauen, aber es gibt Zuchtfarmen auf der ganzen Welt. Rechtlich ist es in Deutschland noch nicht so einfach, Grillen zu züchten. Sehr große Zuchtfarmen gibt es in den Niederlanden und in Frankreich, wo auch die Absatzzahlen deutlich höher sind. Während die Politik in Deutschland immer noch zögerlich ist, hat die niederländische Regierung klar gesagt: Es ist erlaubt.

Insekten können glutenfrei, aber noch nicht Bio sein

Gibt es auch bei Insekten Ökosiegel?

Hochstrat: Prinzipiell gibt es die Insekten als Bio-Produkt, aber es fehlt noch die gesetzliche Grundlage, um Insekten als Bio auszeichnen zu dürfen. In Deutschland hat bereits eine Zuchtfarm ein Naturland-Siegel. Grillen, Heuschrecken und Mehlwürmer fressen Getreide und Gemüse. Um glutenfreie Insekten zu züchten, dürfen sie nur Gemüse fressen. Allergien sind noch nicht ausreichend erforscht. Es gibt aber eine Tendenz, dass Menschen, die auch auf Weichtiere, Krebstiere und Milben allergisch sind, reagieren könnten. Deshalb ist Vorsicht besser als Nachsicht.

Legt der Deutsche seinen Ekel noch ab? Sind Sie mit Ihrem Start-Up vielleicht nur zehn Jahre zu früh dran?

Hochstrat: Wir sehen für uns schon zwei Märkte in Deutschland: den Fitnessmarkt und Menschen, die auf ihre Ernährung achten und nachhaltig essen wollen. Für sie produzieren wir Burger und Falafel.

Willert: Corona hat unsere Absatzzahlen einbrechen lassen. Aber ich habe ein gutes Netzwerk und stehe jetzt wieder mit Fitnessstudios in Kontakt, zum Beispiel in Herzogenaurach. Wir tüfteln auch ständig an neuen Produkten, die noch mehr Eiweißgehalt haben. Wir haben zwei Linien: die Linie für Kletterer, die mehr Energie brauchen, und die Kraftsportler, die mehr Eiweiß brauchen.


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Gibt es Mitbewerber in der Metropolregion?

Hochstrat: Es gibt hier keinen anderen Hersteller. In Fürth aber gibt es einen Online-Shop (Insectarian.de; d.Red.), der von verschiedenen Marken Produkte vertreibt.

Und wann präsentieren Sie Ihre Produkte vor Dagmar Wöhrl in der Pro-7-Sendung "Die Höhle der Löwen"?

Hochstrat: (lacht) Wir haben uns das tatsächlich überlegt, aber die Idee immer wieder verworfen. Jetzt war schon ein anderes Start-Up dort, in das ein Löwe investiert: Beneto Foods. Sie machen Pasta. Aber unsere Produkte sind günstiger.

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