Javier Pinola im NZ-Gespräch

30.12.2010, 19:13 Uhr
Javier Pinola im NZ-Gespräch

© Wolfgang Zink

NZ: Herr Pinola, eine spontane Antwort bitte: Wie viele Spieler sind aktuell noch übrig von jener fast schon legendären Nürnberger Mannschaft, die 2007 den DFB-Pokal gewann?
Javier Pinola (überlegt): Hm ... Andreas Wolf, Raphael Schäfer, Marek Mintal, ich... Vier?

NZ: Stimmt. Nicht gerade viel. Warum ist eigentlich Javier Pinola noch da?
Pinola:
Weil ich mich in Nürnberg sehr wohl fühle und mich mit dem Club identifiziere.

NZ: Aber mal ehrlich: Ein lukratives Angebot von Schalke lag auf dem Tisch, Sie zögerten lange mit der Unterschrift unter einen neuen Kontrakt. Wie wahrscheinlich war es im Sommer, dass Sie Weihnachten tatsächlich wieder in Franken feiern?
Pinola:
Es war schon eine sehr schwere Entscheidung. Einmal in der Champions League zu spielen, das ist immer noch ein Traum für mich. Aber ich glaube, ich kann jetzt sagen: Es war richtig, in Nürnberg zu bleiben.

NZ: Was hat der Club zu bieten, was Schalke nicht hat?
Pinola:
Meine Familie und ich, wir fühlen uns hier einfach sehr wohl und haben auch gute Freunde gefunden. Während meines Urlaubs daheim in Buenos Aires hatte ich dann ein gutes Gespräch mit Trainer Dieter Hecking, das hat meine Entscheidung wesentlich beeinflusst. Ich habe großes Vertrauen in den Coach, die Co-Trainer, die Physiotherapeuten – das passt alles. Und ich weiß: Wenn ich meine Leistung abrufe, werde ich spielen.

NZ: Liegt diese ausgeprägte Liebe und Treue zum Verein vielleicht auch ein bisschen in der argentinischen Mentalität begründet? Es gibt diese nette Geschichte von einem Nationalspieler namens Antonio Mohamed, der sich in einem Spiel von Boca Juniors gegen seinen Stammverein Huracán aus alter Verbundenheit geweigert haben soll, den Ball ins leere Tor zu schießen.
Pinola
(lacht): Das stimmt, viele Spieler in Argentinien würden es wohl so machen. Ist ja auch schwer. Ich weiß nicht, ob ich irgendwann mal gegen Nürnberg spielen muss. Es wäre keine schöne Vorstellung. Aber ich würde trotzdem versuchen, zu gewinnen.

Javier Pinola im NZ-Gespräch

© Wolfgang Zink

NZ: Nach dem Abstieg gab es eine bemerkenswerte Internet-Aktion, um Sie zum Bleiben zu bewegen. Diesmal haben manche Fans eher unwirsch reagiert, weil Sie sich nicht sofort für den Club entschieden haben...
Pinola: Manchmal braucht man eben ein wenig Zeit. Das hatte ich Sportdirektor Martin Bader auch gesagt. Ich wollte einfach mal abschalten vom Fußball, mein Kopf war ein bisschen kaputt. Ich habe mich dann viel mit meiner Frau, der Familie und Freunden unterhalten. Meine Frau hat aber von Anfang an gesagt: Es ist deine Entscheidung, du musst wissen, was besser für dich ist.

NZ: Es war also nicht nur eine Frage des Geldes?
Pinola:
Ich hätte schon nach dem Abstieg 2008 bei anderen Vereinen viel mehr verdienen können. Aber ich bin immer noch da. Für mich ist vor allem auch der Wohlfühlfaktor wichtig.

NZ: Sie spielen nun seit Sommer 2005 in Nürnberg, davor standen Sie eineinhalb Jahre in Spanien bei Atletico Madrid unter Vertrag – wie viel Europa steckt eigentlich schon im Argentinier Pinola?
Pinola:
Ich fühle mich auf jeden Fall mehr deutsch als spanisch. In Madrid ging es mir damals nicht gut, vielleicht war ich einfach noch zu jung. In Nürnberg hingegen habe ich mich vom ersten Tag an super gefühlt. Wenn wir mal ein bisschen Zeit haben, fahren wir auch oft weg und besichtigen andere Länder und Städte, Rom oder Wien zum Beispiel. Es ist gut für den Kopf, wenn man nicht immer nur zu Hause rumsitzt. Und solange wir hier mitten in Europa leben, müssen wir das doch ausnutzen.

NZ: Haben Sie gewisse deutsche Tugenden oder Verhaltensweisen schon verinnerlicht?
Pinola
(lacht): Ich habe anfangs oft nicht verstanden, warum die Leute hier so langsam fahren. Oder warum man schon um 19 Uhr zu Abend essen muss. Mittlerweile haben wir uns da aber angepasst. Ist ja eigentlich auch ganz gut, so haben meine Frau und ich noch ein bisschen Zeit füreinander, wenn die Kinder im Bett sind. Nein, wir fühlen uns schon sehr wohl in Deutschland, vor allem ist es hier viel sicherer als in Argentinien. Wir werden heuer auch erstmals das Weihnachtsfest in Nürnberg feiern. Das ist schon ein bisschen ungewohnt. In Argentinien ist jetzt ja Sommer, alle sitzen draußen im Garten. Hier liegt Schnee. Und ein Freund hat uns sogar einen echten Christbaum geschenkt. Daheim hatten wir immer einen aus Plastik.

NZ: Ist denn geplant, irgendwann wieder in die Heimat zurückzukehren?
Pinola:
Ich habe eigentlich schon vor, noch ein oder zwei Jahre in Argentinien zu spielen. Aber unsere Kinder werden größer, sie gehen irgendwann hier zur Schule und haben Freunde. Da muss man dann mal schauen. So weit denke ich jetzt aber noch nicht.

NZ: Apropos Deutschland und Argentinien – wo haben Sie denn das WM-Viertelfinale verfolgt?
Pinola
(lacht gequält): Wir hatten damals ja schon mit der Vorbereitung begonnen, ich habe das Spiel dann zu Hause in Nürnberg mit meinem Berater geschaut. Gegen Trainer Hecking hatte ich auch eine Wette laufen. Ich hatte schon ein bisschen Hoffnung, dass Argentinien gewinnt, aber man hat dann eben den Unterschied gesehen zwischen guten Spielern und einem guten Team. Die Deutschen haben uns eine kleine Lektion erteilt. Ich habe mich aber auch gefreut für Löws Mannschaft. Viele sagen, die Deutschen können immer nur kämpfen und laufen, aber sie haben diesmal auch wirklich guten Fußball gespielt.

NZ: War Maradona die richtige Wahl als Nationaltrainer?
Pinola:
Es ist schwierig, über Maradona zu reden. Womöglich hört er das dann... (lacht) Für mich war er der beste Spieler der Welt, keine Frage. 1986 in Mexiko hat er allein den Unterschied ausgemacht. Aber ich glaube nicht, dass Maradona für Argentinien der richtige Trainer war. Das habe ich auch schon vor der WM gesagt. Er hatte ja kaum Erfahrung auf der Bank. Motivation spielt im Fußball sicher eine große Rolle, aber sie ist nicht alles. Man muss schon auch ein bisschen Ahnung von Taktik haben.

NZ: Wie wird denn die Bundesliga in Argentinien wahrgenommen?
Pinola:
Von den hier spielenden Argentiniern kennt man eigentlich nur Bayerns Martin Demichelis und Dortmunds Lucas Barrios. Man interessiert sich eher für Italien, England und Spanien. Meiner Meinung nach ist die Bundesliga aber mindestens genau so stark.

NZ: Kommen wir noch einmal zur leidigen „Spuckaffäre“. Bayerns Pressesprecher Markus Hörwick berichtete, Sie hätten bei Ihrem Telefonat mit Schweinsteiger geklungen, als habe Ihnen Ihre Frau gehörig den Kopf gewaschen. Gab es zu Hause Ärger?
Pinola:
Naja, meine Frau war schon sauer auf mich. Ich hatte mir aber auch selbst direkt nach dieser Aktion gedacht: Das war jetzt richtig scheiße. Es war der größte Fehler meines Lebens, aber ich kann es leider nicht mehr ändern. Ich habe mit Schweinsteiger telefoniert und mich entschuldigt. Und ich werde daraus lernen, künftig auf meine Reaktionen aufpassen und ruhig bleiben, wenn ich provoziert werde. Es ist nicht gut, wenn man vier Wochen lang nur trainieren, aber nicht spielen darf.

NZ: Als Profi muss einem heutzutage doch bewusst sein, dass die TV-Kameras jedes Vergehen festhalten. Wie kann so etwas dennoch passieren?
Pinola:
Es war mein Fehler, und das soll jetzt keine Ausrede sein. Aber ich habe in 40 Minuten dreimal Schweinsteigers Ellenbogen abbekommen. Nach dem vierten Mal habe ich ihm gesagt, er soll das doch endlich lassen, es war ja eigentlich ein ruhiges Spiel. Dann kommt bei dem Freistoß wieder der Ellenbogen, und dann hat in meinem Kopf etwas ausgesetzt. Ich weiß, dass ich so nicht hätte reagieren dürfen, aber ich habe niemanden verletzt. Es gibt so viele schlimmere Aktionen im Fußball. Man sollte das zumindest auf die gleiche Ebene stellen.

Javier Pinola im NZ-Gespräch

© Wolfgang Zink

NZ: Wurde Ihr vierjähriger Sohn Luciano im Kindergarten auf die Aktion seines Papas angesprochen?
Pinola: Er hat das alles Gottseidank noch nicht so verstanden. Aber ein Freund von ihm hat mich gefragt, ob ich Schweinsteiger wirklich angespuckt habe. Ich habe ihm gesagt, es war ein Missverständnis, weil ich kein schlechtes Vorbild sein wollte. Wenn mich Luciano später einmal fragen sollte, werde ich es ihm erklären. Und ich werde ihm auch beibringen, ruhiger zu sein als sein Vater. Obwohl: Eigentlich bin ich ja ganz lieb – wenn ich nicht auf dem Platz stehe ...

NZ: Sie haben einen Teil Ihrer vereinsinternen Geldstrafe für das „Schneckenhaus“ gespendet, ein Projekt, das sich um sozial benachteiligte Kinder kümmert.
Pinola:
Das war mir ein persönliches Anliegen. Kinder sind unsere Zukunft. Ich selbst hatte bislang ein gutes Leben, meine Eltern hatten immer Arbeit und konnten gut für mich sorgen. Manche meiner Freunde in Argentinien hatten nicht so viel Glück. Klar, als Fußballprofi verdient man gut und kann seinen Kindern vieles kaufen. Aber wir versuchen unseren beiden Söhnen auch zu vermitteln, dass nichts von alleine kommt und man alles genießen sollte. Das gilt für Essen ebenso wie für Spielzeug, das man auch mal mit anderen teilen muss. Geld ist nicht das Wichtigste im Leben, sondern Gesundheit, gute Freunde, Respekt vor anderen Menschen. So habe ich es von meinen Eltern gelernt, und das versuche ich an meine eigenen Kinder weiterzugeben.