Längst mehr als ein Gastarbeiter-Verein

12.12.2016, 18:00 Uhr
Längst mehr als ein Gastarbeiter-Verein

© Markus Eigler

„Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen.“ Was der Schweizer Schriftsteller Max Frisch 1965 über italienische Gastarbeiter schrieb, wurde auch in Deutschland schnell zum geflügelten Wort. Was das mit der Turnerschaft Fürth zu tun hat? Mehr, als man zunächst denkt.

Anfang der 60er Jahre: Auch nach Fürth strömen unzählige Gastarbeiter. Doch wohin nach dem Job, wenn die Familie mehrere tausend Kilometer entfernt und die Sprache noch fremd ist? Die Antwort: zum Hauptbahnhof. In und um Fürths zentralen Umschlagplatz versammeln sich häufig abends etliche Türken, um ein wenig Austausch und Umgang untereinander zu haben.

Die Turnerschaft hat ihre Wurzeln hinterm Bahnhof in der Südstadt. Nachdem 1967 die ersten Gastarbeiter – auch durch deutsche Kollegen – Zugang zum Verein gefunden hatten, wurden es in der Folge immer mehr. Ab 1973 waren alle Vorstände Türken. Man nahm die Identität der Turnerschaft an und entwickelte daraus neben der Leidenschaft für den Sport ein spezielles Gemeinschaftsgefühl.

Ende der 70er gab es mehr Spieler als Kaderplätze. Das machte die Turnerschaft zu einer Keimzelle für andere türkische Vereine in der Kleeblattstadt. So entstanden nach und nach Türk Gücü, Anadolu Spor und der Türkische SV.

Sportliche Heimat boten in der Regel A- und Kreisklasse. 2005 ging es für die TS hoch bis in die Kreisliga, jedoch folgte unmittelbar der Abstieg zurück in die Kreisklasse. Den Tiefpunkt erreichte die Turnerschaft 2015, als sie am Ende der B-Klasse angekommen war – tiefer geht es nicht. An diesem Punkt kommt Adrian Mesek ins Spiel.

Der Kroate kickte lange Zeit für Dergahspor Nürnberg und konnte sogar Landesliga-Erfahrung vorweisen. Bekannte überzeugten ihn von einem Engagement als Spielertrainer bei der Turnerschaft. „Ich hatte bereits im Hinterkopf, die Trainerlizenz zu machen, da war das Angebot der Turnerschaft das richtige für mich“, erzählt der 28-Jährige.

Suche nach Heimstatt

In seinem Bekanntenkreis gewann Mesek weitere Pioniere für die Aufbauarbeit, und so formte er mit „viel Disziplin und Training“ ein Team, das am Ende der Saison 15/16 direkt in die A-Klasse aufstieg. Dabei schritt die Internationalisierung weiter voran. Neben einem türkischen Kern spielen mittlerweile Bosnier, Kroaten, Serben, Deutsche und Armenier für den Verein. Der Sport steht im Vordergrund, Politik oder der Glaube sind zweitrangig.

Und fußballerisch? Da läuft die Kugel ansehnlich zwischen den Reihen. In einer 4-2-3-1-Grundordnung ist das Ziel, den Gegner mit hohem Druck und Pressing anzulaufen und zu Fehlern zu zwingen.

Eitel Sonnenschein also? Nicht ganz. Ein Problem verfolgt die Turnerschaft schon lange, eine Lösung ist nicht in Sicht: Es fehlt ein eigenes Vereinsgelände. Heimspiele werden auf dem städtischen Lohnert-Sportplatz ausgetragen, das Trainingsgelände wechselt: Von Juli bis November steht der Kennedy-Platz neben der Hans-Böckler-Schule zur Verfügung, die restlichen Monate ist die Truppe auf Wanderschaft. Zuletzt gewährte der SV Poppenreuth für eine begrenzte Dauer Unterschlupf.

Immerhin fand man mit der Turnhalle der Böckler-Schule zum ersten Mal ein Winter-Domizil. Dennoch: Für eine erfolgreiche Zukunft kommt der Verein an einer eigenen Heimstätte nicht vorbei. Mesek: „Mit der aktuellen Mannschaft haben wir das Potenzial, in der Kreisliga zu spielen. Ohne Infrastruktur wird es aber immer ein Kommen und Gehen geben, ein beständiges Wachstum findet so nicht statt“. Ein Problem, mit dem auch prominentere Vereine in Fürth zu kämpfen haben. Vorstand Osman Özgenç und Unterstützer Hüseyin Ilhan schlagen in die gleiche Kerbe. Sie hatten bereits ein Gespräch mit der Stadt, doch wirklich vorangegangen ist noch nichts.

Auf Platz zwei

Die beiden können nicht verstehen, dass auf dem Lohnert-Sportplatz und der Charly-Mai-Sportanlage, beide im städtischen Besitz, immer wieder für Vereine mit eigenem Gelände Platz ist, die Turnerschaft sich aber stets aufs Neue nach einer Trainingsstätte umsehen muss.

Entsprechend vorsichtig sind derzeit noch die Ambitionen. Nach elf Spieltagen steht die Mesek-Elf mit 31 Punkten auf Platz zwei der A-Klasse 9, jedoch mit zwei Spielen weniger als Tabellenführer Vach II (32 Punkte). Die Chance auf den Aufstieg in die Kreisklasse ist also gegeben. Nach der Saison wollen Mannschaft und Vorstand die Lage sondieren und die Ausrichtung für die nächsten Jahre treffen.

Hüseyin Ilhan drückt es so aus: „Wir wollen den Geist, der die Turnerschaft von Anfang an ausgezeichnet hat, in Zukunft weitertragen.“ Es sind tatsächlich Menschen angekommen. Und sie haben aus einem Fußballverein aus der Südstadt eine ganze Menge gemacht.