Nachhaltige Fan-Mobilität: Chancen und Grenzen des Fußballs

5.4.2021, 12:19 Uhr
Nachhaltige Fan-Mobilität: Chancen und Grenzen des Fußballs

© Sportfoto Zink / Wolfgang Zink, Sportfoto Zink / Wolfgang Zink

In der Tristesse eines wolkenverhangenen Vormittags im Januar ragen die Flutlichtmasten des Fürther Stadions in den trüben Himmel. Farbe in die Eintönigkeit bringt ein Graffiti vor dem Südeingang: Ein Vater mit einem weiß-grün gestreiften Schal legt den Arm um seinen fahnenschwenkenden Sohn. Ein Sinnbild – für den Fußball, der ohne seine Anhänger an Bedeutung zu verlieren scheint, und für die Geschichte vieler Fans: "Als Kind bin ich mit meinem Vater zum Stadion gekommen - und der wurd' auch schon von seinem mitgenommen", heißt es in einem Fanlied. Es ist die ungeschriebene Verpflichtung eines Vaters, sein Kind mit ins Stadion zu nehmen und seine Leidenschaft zum Fußball an seine Nachfahren weiterzugeben. Und es ist die Verantwortung eines jeden Menschen, eine lebenswerte Welt zu hinterlassen. Ein Widerspruch?

Vor der Pandemie, als die Fans noch in die Stadien pilgerten, verursachten die Stadionbesucher laut einer Kurzstudie des Deutschlandfunk pro Bundesliga-Spieltag 7.753 Tonnen CO2. Zum Ausgleich dieser Emissionen müsste man 48 Fußballfelder voller Bäume pflanzen. Der bedeutendste Faktor ist die Fan-Mobilität: Ein Drittel der Stadionbesucher fährt mit dem Auto und verursacht damit rund 70 Prozent des durch die Anreise bewirkten CO2-Ausstoßes. Kann der Vater seinen Sohn ins Stadion mitnehmen, ohne zugleich der Umwelt - und damit der Zukunft seines Kindes - zu schaden?


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Die Vereine bemühen sich um Anreize zur klimafreundlichen Anreise und organisieren Sonderzüge, vielerorts fungiert die Eintrittskarte am Spieltag als Ticket für den öffentlichen Nahverkehr. Einige Klubs veranstalten Aktionsspieltage, der VfL Wolfsburg übte sich erstmals darin in der Saison 2012/13. Fans wurden aufgerufen, mit dem Fahrrad zur Volkswagen Arena anzureisen. Dazu wurde ein Gewinnspiel sowie eine kostenlose Kontrolle des Drahtesels angeboten. Trotz der mäßigen Teilnahme zieht CSR-Direktor Nico Briskorn zu diesem Erstversuch rückblickend eine positive Bilanz: "Wir haben gemerkt, dass die Wahrnehmung vorhanden war. Es wird zunehmend einfacher die Menschen für dieses Thema zu aktivieren, weil es nicht mehr so weit weg ist, wie es vor ein paar Jahren war."

Die Möglichkeiten sind mannigfaltig, die Sensibilität der Fans wächst, die Vereine sind zumindest bemüht. Wie nachhaltig der Fußball sein kann, hängt aber nicht nur vom Engagement der Klubs und der Bereitschaft seiner Anhänger ab, sondern auch von den gegenwärtigen Bedingungen. "Wenn man eine ICE-Fahrt nach Hamburg mehrere Monate im Voraus bucht, ist das preislich in Ordnung, wenn man aber erst wenige Wochen zuvor das Ticket kauft, weil das Spiel davor noch nicht terminiert war, wird es sehr teuer", erklärt FCN-Fan Daniel Michel, der dann eher mit dem Auto anreist.


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Tobias C. Auer, Direktor Stadionbetrieb bei der SpVgg Greuther Fürth, kennt das Problem. Zwar startete das Kleeblatt schon zahlreiche Projekte zu Gunsten der ökologischen Nachhaltigkeit, bezieht Strom aus erneuerbaren Energien, schenkt Getränke im Stadion in Mehrwegbechern aus und beheimatet Bienenvölker hinter der Gegengerade. Gerade im Bereich der Anreise sind die Möglichkeiten zur Einflussnahme der Klubs jedoch begrenzt, erklärt Auer: "Ich will nicht den Ball wegspielen, aber das ist ein gesellschaftliches Thema: Man muss darüber reden, dass die Bahn attraktiver und das Auto umweltfreundlicher wird."

Vanessa Nord, selbstständige Beraterin im Bereich Nachhaltigkeit, nimmt neben den Profiklubs auch die Städte in die Pflicht, denn sie "müssen durch die Infrastruktur die Voraussetzungen schaffen". Der Fußball ist in seinem Einfluss auf die Fan-Mobilität begrenzt, denn er bewegt sich nicht im luftleeren Raum. Er ist nicht nur Spiegel, sondern auch Brennlinse der Gesellschaft und ihrer Entwicklung.


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Dieser Umstand birgt Chancen. Der Trend zur Gamification, also die Übertragung von spieltypischen Elementen auf spielfremde Vorgänge, kann die Basis für ein Konzept schaffen, das die Stadionbesucher zur umweltfreundlichen Anreise animiert. Sport- und Nachhaltigkeitsberater Anton Klischewski erklärt: "In einer App wählt ein User seinen Lieblingsklub aus und sammelt anschließend Punkte für nachhaltiges Verhalten – zum Beispiel für die Anreise zum Stadion mit dem Fahrrad." Durch ein Ranking am Saisonende soll der Verein mit den nachhaltigsten Fans gekürt und damit die Rivalität der Anhänger genutzt werden.

Oder: Vater, Sohn und alle anderen Fans gehen einfach nicht mehr ins Stadion - besonders nicht zu Spielen in der Fremde. Keine (Auswährts-) Fahrer, keine Anreise, keine Emissionen? Eine einfache Rechnung, die ob des Generationenwandels unter den Fans und den Möglichkeit der Digitalisierung, zum Beispiel durch Avatare von zuhause am Spiel teilzunehmen, plausibel erscheint. Die Klubs könnten die Plätze unendlich oft verkaufen und damit eine Gewinnmaximierung generieren.


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Erstrebenswert wäre diese Option nicht: "Wir wollen volle Stadien, Stimmung und nicht die digitalen, über VR-Brille sehenden Zuschauer", erklärt Sarah Roithmeier vom FC PlayFair. Ihr Verein unterstützt Klubs auf dem Weg zur Optimierung der Nachhaltigkeit mit einem eigens entwickelten Audit. Dessen Bewertung ist an den "Fußball als Kulturgut angepasst", zu dem freilich auch die Fans zählen. Dr. Petra Schoele, Wissenschaftliche Leitung am Sportbusinesscampus, erklärt: "Wenn Auswärtsfahrer nicht mehr ins Stadion kommen, bricht ein kultureller Aspekt weg. Es entsteht soziale Distanz." Was diese mit den Menschen und Geisterspiele mit dem Fußball machen, erleben wir alle momentan - in Zeiten der Tristesse, an deren Ende hoffentlich eine bessere Zukunft steht.

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