Paraclimbing: Wie ein Fürther mit einem Arm klettert

7.5.2021, 06:02 Uhr
Hoch hinaus: Kevin Bartke beim Training  in der Kletterhalle der Erlanger Sektion des Deutschen Alpen-Verbandes.

© Harald Sippel, NN Hoch hinaus: Kevin Bartke beim Training  in der Kletterhalle der Erlanger Sektion des Deutschen Alpen-Verbandes.

Es ist der letzte Tag eines anstrengenden Kaderlehrgangs im Erlanger Kletterzentrum „Sparkassen Bergwelt.“ Während von außen der Regen an die Fensterscheiben klatscht, steht Kevin Bartke in seiner Klettermontur vor einer 17 Meter hohen Wand. „8-“ steht auf einem kleinen Schild, um anzuzeigen, dass sich Bartke gerade für eine der schwierigeren Routen der Halle entschieden hat. Unbeeindruckt davon hangelt er nach den ersten orangefarbenen Griffen, um sich galant Meter um Meter nach oben zu ziehen. Zwischendurch wandert seine linke Hand immer wieder zu einem kleinen Beutel, der seine Handfläche mit Magnesium versorgt.

Mit dem Ellenbogen am Griff

Währenddessen hält sich der 35-jährige mit seinem rechten Arm geschickt an der Wand. Was auf den ersten Blick nicht ungewöhnlich erscheint, sieht man erst bei genauerem Hinsehen. Bartkes rechter Arm reicht aufgrund einer Behinderung nur bis kurz unter den Ellenbogen. Die sonst für das Klettern so wichtigen Finger fehlen an diesem Arm. Dennoch gelingt es ihm, sich mit seinem Ellenbogen im Griff einzuhaken. Dass Kevin Bartke trotz seiner Behinderung klettert, hat er einem Sommerferienkurs vor 21 Jahren zu verdanken. Schon damals faszinierte ihn die Vielseitigkeit und Komplexität dieser Sportart.

Aus der ersten Begeisterung wurde schnell ein zeitintensives Hobby. Bald fuhr Bartke regelmäßig mit seinem Zwillingsbruder Benjamin mit dem Zug in die Fränkische Schweiz, um auf eigene Faust die dortigen Felswände zu erklimmen. Anfangs verursachte die ungewohnte Belastung Schmerzen in der rechten Bizepssehne. So intensiv wie beim Klettern hatte er seinen rechten Arm im Alltag zuvor nie genutzt. Zudem merkte er, dass er durch die fehlenden Hände und die geringere Spannweite seiner Arme nicht alle Griffe in den zerklüfteten Felsen der Fränkischen Schweiz erreichen kann. „Mein Bruder, der keine Behinderung hat, war immer besser als ich.“

Mit viel Arbeit viel erreichen

Bartke motivierte das jedoch noch mehr. Schnell stellte er fest, dass er mit viel Arbeit und hohem zeitlichen Aufwand trotzdem viel erreichen kann. Seiner Willensstärke und dem intensiven Training hat er es zu verdanken, dass er heute einer der besten Paraclimber der Welt ist. In der Klasse AU-2 (Athleten mit Armamputation) hat er bereits mehrfach an Weltcups und Weltmeisterschaften teilgenommen und immer auf dem Podest gestanden. 2019 wurde er bei der Para-WM in Frankreich Dritter. Im Wettkampf profitiert er vor allem von seiner guten Technik und seiner mentalen Stärke: „Ich kann mich auf Wettkämpfen immer sehr gut auf mich fokussieren und so meine volle Leistung abrufen.“

Finanzieller Unterschied zu Nicht-Behinderten

Seit 2017 ist Bartke zudem Mitglied im DAV-Paraclimbingkader. Vier bis fünfmal im Jahr finden Kaderlehrgänge statt. Diese bieten Bartke die Möglichkeit sich mit anderen Paraclimbern auszutauschen. In seinen DAV-Heimsektionen in Erlangen und Nürnberg fehlt dem Fürther das. „Auf regionaler Ebene haben wir einfach zu wenige Sportler mit Behinderung, um eine gemeinsame Leistungsgruppe aufzubauen.“ Die Kaderzugehörigkeit bietet Bartke außerdem kostenlosen Zutritt zu allen DAV-Hallen in Deutschland. Dennoch stellt er finanzielle Unterschiede zum Kader der Nichtbehinderten fest. „Wir haben leider ein deutlich geringeres Budget, sodass bei Wettkämpfen im Ausland häufig nur zwei bis drei Sportler starten können.“


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Um sich international trotzdem zeigen zu können, trainiert Bartke hart. Zwei bis dreimal in der Woche übt er kletterspezifisch an Boulderwänden oder mit Kletterpartnern am Seil. Als wegen Corona die Kletterhallen geschlossen waren, verlegte er sein Training in die Fränkische Schweiz und übte allein in der Kälte an den dortigen Felsen. Zusätzlich macht Bartke viele Dehn- und Kraftübungen. „Das ist vor allem bei uns Einarmigen sehr wichtig, um Asymmetrien auszugleichen.“ Freie Tage nutzt er, um sich auf dem Rad fit zu halten.“ Einen Trainer hat Bartke nicht. „Alleine bin ich einfach flexibler.“

Die Paralympics als Traum

Für Bartke ist das wichtig, denn neben seinem zeitintensiven Hobby ist er zweifacher Familienvater und arbeitet Vollzeit bei einem Großhandelsbetrieb für Bio-Lebensmittel. Allein vom Klettern wird Bartke wohl nie leben können, dafür ist die mediale Reichweite im Paraclimbing zu gering. Einige seiner Kaderkollegen investieren viel Zeit in die Suche nach Sponsoren, um wenigstens einen Teil finanzieren zu können „Mir wäre das aber zu viel Aufwand“. In diesem Jahr in Tokio wird das Klettern das erste Mal in das olympische Programm aufgenommen.

Bei den paralympischen Spielen ein paar Wochen später wird die Sportart aber 2021 noch nicht vertreten sein. Bartke hofft, dass sich, das bald ändert. „Das wäre schon ein kleiner Traum für den es sich lohnt, weiter hart zu trainieren.“ Mittlerweile hat Bartke den obersten Griff seiner Kletterroute erreicht. „Ab!“ ruft er, um wenig später wieder auf dem Boden der Kletterhalle zu stehen. Seine Kaderkollegen nicken ihm anerkennend zu, während Bartke die Kletterwände schon wieder nach der nächsten Herausforderung absucht.

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