Paul Jaeckel: Fürths Zukunft hat ein großes Herz

20.1.2020, 12:36 Uhr
Macht auch beim Fußballtennis eine gute Figur: Fürths Verteidiger Paul Jaeckel.

© Sportfoto Zink / Wolfgang Zink Macht auch beim Fußballtennis eine gute Figur: Fürths Verteidiger Paul Jaeckel.

Die Trainingseinheit am Sonntagvormittag beginnt unter strahlend blauem Himmel. Die Stimmung bei der SpVgg Greuther Fürth ist gut, es wird geflachst. Als Paul Seguin einen Angriff über die Flügel vom Zentrum aus einleiten soll, rutscht er aus. Alle lachen, Stefan Leitl feixt in Richtung Manager Rachid Azzouzi: "Wir brauchen einen neuen Sechser!" Eine halbe Stunde später aber wird der Trainer ernster, die Stürmer sind vor dem Tor zu umständlich, die Pässe von Innenverteidiger Paul Jaeckel krumme Dinger. Leitl wird lauter: "Paul Jaeckel, irgendwann sollte mal ein Pass ankommen. Oder gehen wir laufen? Meine Güte, du." Es ist eine Momentaufnahme, aber eine, die zeigt, wie schmal der Grat zwischen Lob und Tadel ist.

Noch vor wenigen Wochen schwärmte Leitl von dem 21-jährigen Talent. Nach dessen starker Leistung gegen Bochum, als er den verletzten Marco Caligiuri vertrat, bekamen Innenverteidiger-Kollege Maximilian Bauer und er den Titel: "Sie sind die Zukunft des Vereins." In dieser Deutlichkeit hat er das noch in keinem seiner bisherigen großen Vereine gehört: nicht im Internat von Energie Cottbus, nicht bei Erstligist Wolfsburg. Die Gefahr, dass der gebürtige Brandenburger jetzt abhebt, besteht aber wohl nicht. Er wuchs in einem Dorf nahe Eisenhüttenstadt auf, das klingt schon nach ehrlicher, harter Arbeit. Dem Klischee entsprechend ist Jaeckel auch beim Reden Defensivspezialist. Über das Nachwuchsleistungszentrum des reichen VfL Wolfsburg sagt er: "In der Jugend haben sich viele Spieler darauf ausgeruht, dass sie mit 18 oder noch jünger mehr verdient haben als ein Elternteil. Bei manchen hat sich das negativ ausgewirkt."

Ausbildung zum Sporttherapeuten als "Orientierungshilfe"

Sportlich aber, und davon profitierte er, "hat man alles gehabt, was man gebraucht hat". Mit dieser Reflektiertheit kann er auch mit dem Wechsel in die zweite Liga nach Fürth vor eineinhalb Jahren umgehen. "Für mich war das kein Rückschritt. Ich habe ja nur mit der ersten Mannschaft mal trainiert, drei Spiele gemacht durch Ausfälle. Da hat Glück dazu gehört. Ich bin aus der Regionalliga in die zweite Liga aufgestiegen." Mit dem Sport-Abi in der Tasche hat er in Fürth einen eineinhalbjährigen Online-Kurs zum zertifizierten Sporttherapeuten begonnen. Lerninhalte sind Physiotherapie, Mentaltraining und Ernährung. Er mache das als "Orientierungshilfe", um herauszufinden, was er später machen wolle. Den zeitlichen Aufwand dafür habe er zwar unterschätzt.


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Aber er plaudert erfrischend ehrlich über sein Leben als Fußballprofi: "Wenn man um elf Uhr Training hat, ist man um 14 Uhr zu Hause. Dann weiß ich oft nicht, was ich machen soll. Ich kann mich nicht vor die Playstation setzen oder warten, bis ich das Abendbrot zubereiten kann." Auch deshalb hat er sich ein Ehrenamt gesucht. Jaeckel hat bei einem der halbjährlichen Sozialtage der SpVgg, an dem sich Spieler, Trainer und Funktionäre in verschiedenen Einrichtungen engagieren, die "Tagesstätte Süd" der Jakob-Wassermann-Schule in der Fürther Südstadt kennengelernt. "Das sind Kinder, die in der Sprache gefördert werden müssen. Deshalb hängen sie in der Schule ein bisschen hinterher."

"Eine Sache, um auf dem Boden zu bleiben"

Der Kleeblatt-Profi ist seit einem Jahr fast jede Woche dort, meistens donnerstags für ein Fußballtraining. An anderen Tagen helfe er den Erst- bis Viertklässlern aber auch bei den Hausaufgaben, oder spiele mit ihnen Fangen. "Ich habe etwas gesucht und gefunden, mit dem ich mich neben dem Fußball beschäftigen kann." Er habe zwar auch eine Playstation zu Hause, "aber das gehört genauso wie Sprachen und Instrumente nicht unbedingt zu meinen Begabungen. Die staubt momentan ein". Dafür bekomme er in der Lebenshilfe-Schule unheimlich viel zurück, "es ist eine Sache, um auf dem Boden zu bleiben. Zu sehen, dass es Leute gibt, denen es schlechter geht und ich sie unterstützen kann". Der Vergleich hinkt etwas, aber genau das gelingt ihm auch immer besser auf dem Fußballplatz: Als Innenverteidiger, als er die Chance zum Ende der Hinrunde bekam, half er auf dem Feld dort, wo man ihn brauchte.

Das war gegen Bochum so, beim 5:1 in Karlsruhe sogar als Torschütze und -vorbereiter. Dass er und Maximilian Bauer laut Trainer "die Zukunft des Vereins" sein sollen, hat Jaeckel nach dem Bochum-Spiel gar nicht mitbekommen. "Das höre ich zum ersten Mal", gibt er zu, "ich lasse die Medien oftmals außen vor." In diesem Fall aber weckt es sein Interesse: "Wenn ich das höre, hört sich das für mich gut an." Bevor er weiterredet, überlegt er lange. Schließlich sagt er: "Aber er spricht immer noch von der Zukunft. Maxi und ich dürfen uns darauf nicht ausruhen, wir müssen noch ein Stück gehen, um dorthin zu kommen." Nach einer Viertelstunde Interview verabschiedet er sich auf sein Hotelzimmer. Die nahe Zukunft heißt Mittagsschlaf.

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