Radoki gegen Videobeweis: "So geht der Fußball kaputt"

27.3.2017, 05:51 Uhr
Spielfeld für Experimente: Augsburgs Jonathan Scherzer foult Fürths Daniel Steininger. Im Strafraum? Es sieht so aus, der Videoassistent war allerdings anderer Meinung.

© Sportfoto Zink Spielfeld für Experimente: Augsburgs Jonathan Scherzer foult Fürths Daniel Steininger. Im Strafraum? Es sieht so aus, der Videoassistent war allerdings anderer Meinung.

Die Szene war neu und irritierend: Jurgen Gjasula hatte sich den Ball am Elfmeterpunkt zu Recht gelegt, Andreas Luthe im Tor des FCA stand bereit, die Spieler am Sechzehner lauerten auf einen möglichen Nachschuss oder die finale Rettungsaktion.

Dann rückte Marco Fritz in den Mittelpunkt. Es dauerte gefühlt eine Ewigkeit bis der 39 Jahre alte Schiedsrichter sein Gespräch mit dem für die Zuschauer imaginären Videoassistenten in Köln beendet hatte. Danach war klar: Kein Elfmeter, nur Freistoß. "Ich habe auf Strafstoß entschieden, den Kollegen aber gebeten, die Szene zu überprüfen. Er kam zu dem Schluss, dass das Foul außerhalb des Sechzehners war", sagte Fritz, der den Spielern auf dem Platz mit den Fingern einen Bildschirm andeutete. Das Zeichen für den Videobeweis.

Hohe Auflösungsquote in der Bundesliga - theoretisch

Es war eine Zentimeterentscheidung und mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen, dass Jonathan Scherzer Fürths Daniel Steininger bereits vor dem Strafraum abgeräumt hatte. Von der Tribüne – also aus der Sicht eines Fans oder Reporters – schon gar nicht. Beschwert hatte sich über den Pfiff aber auch keiner. Weder auf dem Platz noch an der Seitenlinie.

Reicht schon diese eine Szene, um den Videobeweis als notwendig oder gar dringend überfällig anzusehen? Nun gut, es war nur ein Freundschaftsspiel und das Ergebnis eher zweitrangig. Im wöchentlichen Millionenspiel Bundesliga kann eine falsche Entscheidung am letzten Spieltag hingegen schon einmal über Abstieg, Aufstieg oder der Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb entscheiden.

Die DFL lässt Zahlen sprechen. In der laufenden Bundesliga-Saison bis einschließlich des 24. Spieltags hätten durch den Video-Schiedsrichter 56 von 71 strittigen Szenen aufgelöst werden können.

Strittige Szenen wurden von der Fifa bei der Genehmigung der Testphase strikt festgelegt. Sie beschränken sich auf Torerzielung, Strafstoß, Platzverweis und Spielerverwechslung. Sowohl der Schiedsrichter kann im Videowagen nachfragen als auch der Videoassistent selbstständig per Funk eingreifen. Er ist permanent mit dem Schiedsrichter verbunden. Das Phantomtor von Leverkusens Stefan Kießling gegen Hoffenheim hätte mit dem Videobeweis somit verhindert werden können, nicht aber Hamburgs Ausgleichstreffer in der 90. Minute der Relegation 2015 gegen den KSC, der die Badener in die Verlängerung zwang und am Ende mit dem Nicht-Aufstieg endete. Die Volksseele kochte ob des gegebenen Hand-Freistoßes durch Schiedsrichter Manuel Gräfe, der zum Last-Second-Ausgleich durch Marcelo Diaz führte.

Geahndet werden darf beim Videobeweis nur die unmittelbare Toraktion wie bei Kießling. Die Entscheidung in Karlsruhe – ob Freistoß oder nicht – war trotz Torfolge eine vorfinale Aktion und obliegt auch in Zukunft alleine der Bewertung des Schiedsrichters auf dem Feld. Wie weit Aktionen – unter dem Blickwinkel Ursachen und Folgen – zurückverfolgt und gegebenenfalls korrigiert werden sollen, wird über die Testphase noch entschieden.

Radoki wettert

"Es hat ungefähr eine Minute gedauert, bis die Entscheidung stand", sagte Fritz zur Entscheidung am Donnerstag in Augsburg. "Im Regelbetrieb geht es schneller, weil wir dann mehr Kameras und Bilder zur Verfügung haben." Drei, viermal habe er im Verlauf des Spiels mit dem Kollegen vor dem Bildschirm noch Rücksprache gehalten. "Ich sehe das System positiv und nicht als Belastung. Es nimmt uns Schiedsrichtern den Druck", sagt Fritz.

Fürths Trainer Janos Radoki hat eine andere Meinung zu der geplanten Neuerung. Radoki ist kein Diplomat, spricht aus, was er denkt: "Erstens ist das Ganze ausbaufähig und zweitens Schwachsinn." Der Fußball lebe von Emotionen und Diskussionen meinte Radoki. Und Fehler habe es schon immer gegeben. "Jeder, der hier im Stadion war, hat es als Elfmeter gesehen. So geht der Fußball kaputt."

Zum Bratwurststand?

Gjasula, der die Entscheidung von Fritz geduldig abwartete, berichtete aus der Sicht des Spielers. "Es war schon komisch. Du stellst dich darauf ein, zu schießen und musst dann zwei, drei Minuten warten. Für den Schützen ist das nicht gut", meinte der 31 Jahre alte Gjasula. Die Konzentration geht flöten, am Ende fliegt der vielleicht doch berechtigte Elfmeter neben die Kiste oder in die Arme des Torhüters.

"Ich weiß, was die Leute in Zukunft machen werden, die gehen dann zum Bratwurststand", legte Radoki noch süffisant nach. Oder verpassen nach dem Schlusspfiff ihren Zug. Zwei, drei Entscheidungen pro Spiel können eine Partie schnell mal um zehn Minuten verlängern. Es ist ganz sicher nicht davon auszugehen, dass sich der eng getaktete Fahrplan der Deutschen Bahn künftig nach den Bedürfnissen des Videoschiedsrichters richten wird. Da bleibt nur eins: Rechtzeitig eine Bratwurst kaufen und auf dem Weg zum Bahnhof darauf vertrauen, dass im Videowagen in Köln alles richtig läuft.

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