Radsport: Jakob Klinge, ein Europameister aus Bubenreuth

14.6.2021, 17:48 Uhr
Ein spezielles Fahrrad braucht Jakob Klinge vom Herrmann Radteam für seinen Sport nicht. Bei der EM war er auf einem regulären Zeitfahrrad unterwegs.

© erl-paracycling-20210608-163052_app11_00.jpg, NN Ein spezielles Fahrrad braucht Jakob Klinge vom Herrmann Radteam für seinen Sport nicht. Bei der EM war er auf einem regulären Zeitfahrrad unterwegs.

Obwohl er weiß, was danach passieren wird, spielt Jakob Klinge als Kind in Bubenreuth ganze Nachmittage lang Fußball. Erst am nächsten Tag, wenn die Füße wieder abgekühlt sind, kommen die starken Schmerzen. "Aber irgendwie habe ich das ausgeblendet. Es hat zu viel Spaß gemacht", erzählt er.

Die Schmerzen kamen, weil unter anderem Klinges Wadenmuskulatur geschwächt und seine Achillessehne verkürzt ist. Der 24-Jährige ist mit Klumpfüßen auf die Welt gekommen, eine orthopädische Einschränkung, die etwa jedes 1000. Baby betrifft. "Dadurch zieht es den Fuß in eine ungünstige Stellung", erklärt er.

Schon als Baby operiert

Ältere Menschen, die diese Behinderung haben, können oft nur mit Unterstützung gehen. Mittlerweile gibt es bessere Behandlungsmöglichkeiten: Klinge wurde im ersten Lebensjahr und im Teenageralter operiert. Als Baby musste er Schienen und Gipse tragen, auch nachts.

Radsport: Jakob Klinge, ein Europameister aus Bubenreuth

© Foto: Peter Maurer

Im normalen Alltag ist er nun, mit 24, nur wenig eingeschränkt. Er kann normale Schuhe tragen oder Treppen steigen. Schwierig ist es nur im Sport. Aber der ist Klinges große Leidenschaft, schon immer.

Schwierige Suche nach einer Sportart

Mit der Pubertät wird es immer schwieriger, Sportarten zu finden, die er ohne Schmerzen ausüben konnte. Joggen etwa geht nicht. Stattdessen macht er lange Kraftsport. "Kurze und kontrollierte Bewegungen kann ich besser wegstecken."

Und dann entdeckt er das Radfahren. Ein Kumpel nimmt ihn im Sommer 2018 mit – und Klinge findet seinen Ausdauersport. Auf dem Rennrad kann er stundenlang fahren ohne am nächsten Tag mit Schmerzen im Sprunggelenk aufzuwachen. 2020 spricht ihn bei einer Gruppenausfahrt Peter Renner vom Baiersdorfer Herrmann Radteam an. Und fragt, ob er schon an Behindertensport gedacht hat. Hat er nicht.

Proberunde mit dem Landestrainer

Kurz darauf fährt Klinge eine Proberunde mit Landestrainer Michael Teuber vom Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband (BVS), fünfmaliger Paralympics-Gewinner. "Ich war Feuer und Flamme, weil ich mich auspowern konnte. Und mein Ehrgeiz war geweckt", erzählt Klinge. Er trainiert fortan wie Leistungssportler ohne Behinderung auch, sechsmal die Woche auf dem Rad, macht zusätzlich Kraftübungen. Er fährt mit dem BVS ins Trainingslager, nimmt an Bayerischen Meisterschaften teil.


10.000 Höhenmeter durch die Fränkische Schweiz


Am Ende vergangener Woche finden in Österreich zum ersten Mal seit langem wieder Europameisterschaften im Para-Radfahren statt. Klinge rutscht als unabhängiger Starter ins Feld, er ist nicht im Nationalkader. "Eigentlich habe ich mir keine große Chancen ausgerechnet", sagt er.

"Ich dachte erst, es kann ja auch ein Messfehler sein"

Das Zeitfahrrad leiht er sich eine Woche vorher aus Frankfurt, das Deutschland-Trikot von Peter Renner. 12,5 Kilometer mit 120 Höhenmetern muss er rund um Lochen am See zurücklegen. Klinge geht als Vorletzter der sieben Starter in der Kategorie C5 ins Rennen. Es ist die, bei der die Athleten die im Vergleich wenigsten Einschränkungen haben. Die Einstufung in den Para-Sport ist für Klinge aber eine klare Sache. Durch seine Behinderung hat er eine sehr schmale Wadenmuskulatur und ist in seinen Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt. "Jemand, der genauso viel trainiert wie ich und diese Einschränkungen nicht hat, der ist natürlich im Vorteil", sagt er.

Als er nach schnellen 18:00,87 Minuten über die Ziellinie kommt, ist er völlig verausgabt. Da läuft der Co-Bundestrainer zu ihm und erzählt: In der inoffiziellen Ergebnisliste liegt er auf Platz eins. "Ich konnte es nicht glauben. Ich dachte erst, es kann ja auch ein Messfehler sein."

Ein eigenes Europameister-Trikot

War es nicht. Klinge ist Europameister im Einzelzeitfahren. Und hat nun sein eigenes Europameister-Trikot: Es ist weiß mit blauen Streifen und goldenen Sternen. Ein Jahr lang muss er es bei offiziellen Einzelzeitfahren tragen.


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Es ist nicht die einzige Medaille, die er in Österreich holt: Auch im Straßenrennen wird er Dritter. Und jetzt? "Mir macht es so viel Spaß, es wäre mir egal, wenn nichts bei rumkommt", erzählt Klinge. "Aber im Hinterkopf ist schon das Ziel, es in den Nationalkader zu schaffen und vielleicht an den Paralympischen Spielen teilzunehmen."

Vom Sport hat er sich nie abhalten lassen. Und bald wird er sein Beruf: Klinge, der noch in Bubenreuth lebt, studiert in Köln Sport- und Ernährungscoaching. Seine unstillbare Leidenschaft will er weitergeben.

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