Rückblick: Frankenderby entscheidet Deutsche Meisterschaft

11.6.2020, 12:26 Uhr
Der 13. Juni 1920 auf den Sandhöfer Wiesen in Frankfurt am Main: Der 1. FC Nürnberg (im dunklen Trikot) und die Spielvereinigung Fürth im Endspiel um die Meisterschaft.

© Foto: Dr. Harro Schweizer/dpa Der 13. Juni 1920 auf den Sandhöfer Wiesen in Frankfurt am Main: Der 1. FC Nürnberg (im dunklen Trikot) und die Spielvereinigung Fürth im Endspiel um die Meisterschaft.

Am 31. Mai 1914 blickte man in Nürnberg in einer Mischung aus Neid und Bewunderung in die Nachbarstadt. In Magdeburg hatten die Fußballer der Spielvereinigung Fürth, nach 154 Minuten Spielzeit, mit 3:2 gegen den VfB Leipzig gewonnen und durften sich als der erste Deutscher Meister aus Franken feiern lassen. Das Kleeblatt war der populärste deutsche Fußballverein, mit 3000 Mitgliedern auch der größte und der erfolgreichste obendrein.


Jahrhundert-Derby in Nürnberg: Stuhlfauth und die Meister-Geister


Aus dem Marktflecken Fürth war, auch dank eines reichen jüdischen Erbes, eine expandierende Industrie- und Handelsstadt geworden, die Spielvereinigung wurde von weitsichtigen Kaufleuten geführt und von der städtischen Oberschicht getragen. Hatten die Jahreseinnahmen 1903, im Gründungsjahr, noch bei 168 Reichsmark gelegen, waren es 1910 bereits 14.205 Reichsmark.

Fußball hatte begonnen, ein Phänomen zu werden, das Kleeblatt war dabei die größte Attraktion im Land und in Fürth ein gesellschaftliches Ereignis. "Die Namen der einzelnen Mannschaftsmitglieder", notierte durchaus etwas pikiert der in Fürth geborene Philosoph Hermann Glockner, seinerzeit der führende Hegel-Forscher, "waren bekannter als die Namen unserer größten Dichter."

"Stoppen, schauen, zuspielen" wird Fürths Markenzeichen

Der Beifall für die Fürther, betreut von William Townley aus Blackburn, der ihnen den gepflegten schottischen Flachpass beibrachte, nagte gewaltig am 1. FC Nürnberg. Fürth war der modernere Verein, hatte mit dem Ronhof das schönste Stadion des Kaiserreichs und genug Geld, um den Fußball-Pionier Townley, als dreifacher Torschütze für die Blackburn Rovers im englischen Cup-Final 1890 gegen The Wednesday eine frühe Legende des jungen Sports, aus Karlsruhe loszueisen.

"Stoppen, schauen, zuspielen": Townley brachte den Fürthern jenen Kombinationsfußball bei, der zu ihrem Markenzeichen wurde. Es hätte damals eine Ära werden können, aber das Glück des Sommers 1914, in dem im Königreich Bayern noch Ludwig III. regierte, endete jäh. Der Fürther Torjäger Karl Franz, dem auf dem Victoria-Platz in Magdeburg das umjubelte Siegtor gelungen war, ließ keine drei Monate später sein 22 Jahre junges Leben in Lothringen.

Beim FCN versuchte man alles, um mit Fürth gleichzuziehen

Auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges starben auch die Meisterspieler Hans Jakob, Sebastian Seidel und Frigyes Weicz, genannt Fritz, der bewunderte Ungar, den Townley aus Karlsruhe nach Fürth mitgebracht hatte. Sechs Jahre lang sollte es dauern bis zum nächsten Endspiel um die Deutsche Meisterschaft, aus dem Reich war eine Republik geworden – und beim 1.FC Nürnberg versuchte man alles, um mit den in den Anfangsjahren noch als Lehrlinge belächelten Fürthern gleichzuziehen. Auch der noch nicht so ruhmreiche Club engagierte einen Fußball-Pionier; Alfred Schaffer, besser bekannt als "Spezi", ein im damals zum Königreich Ungarn gehörenden Pressburg geborener Weltenbummler, sollte Nürnberg als Mittelstürmer und Spielertrainer auf die Höhe der Fußballzeit bringen.

Das ließ sich gut an, in der Kreisliga Nordbayern – höhere Spielklassen gab es noch nicht – gewann der Club beide Derbys gegen die Fürther und qualifizierte sich schließlich als Süddeutscher Meister für die Endrunde, an der die Fürther als Titelverteidiger teilnehmen durften – und schnell wieder in Schwung kamen; nach einem 7:0 gegen den VfTuR 1889 München-Gladbach, einen Vorläuferklub von Borussia Mönchengladbach, und einem 4:0 gegen die Vereinigten Breslauer Sportfreunde standen sie wieder im Finale, das der 1.FC Nürnberg mit einem 2:0 gegen den VfB Leipzig und einem 3:0 gegen den FC Titania Stettin erreichte. Brisanter hätte die Konstellation am 13. Juni 1920 nicht ausfallen können: Endspielgegner um die Deutsche Meisterschaft waren im Sportpark auf den Sandhöfer Wiesen in Frankfurt der 1. FC Nürnberg und die Spielvereinigung Fürth.

Frankenderby im Finale um die Deutsche Meisterschaft 1920

"Der Ausgang des Spiels bildete in Nürnberg und Fürth das Tagesgespräch", notierte der Fränkische Kurier: "Selbst Kreise, welche sonst für sportliche Bestrebungen wenig Neigung übrig haben, wurden vom allgemeinen Interesse ergriffen." Man erwartete eine Auseinandersetzung zwischen gepflegter Spielkultur und physischer Kraft, gepaart mit taktischer Raffinesse, etwa so muss es dann auch gewesen sein. "Bestechend fürs Auge", schrieb der Fränkische Kurier, "spielten die Fürther"; es war kein Lob, sondern ein Tadel der mangelnden Effektivität der spielerisch besseren Mannschaft.

Nürnbergs Defensive um Torwart Heiner Stuhlfauth und Mittelläufer Hans Kalb, die bald zu den prominentesten Spielern ihrer Zeit gehören sollten, bremsten den Fürther Flachpass aus, Luitpold Popp und der Ungar Peter Szabo, den Spezi Schaffer nach Nürnberg gelotst hatte, glückten die Tore zum 2:0-Endstand, der Meistertitel ging von Fürth nach Nürnberg. Die Goldenen Zwanziger mit vier weiteren Meisterschaften für den Club und zweien für Fürth sollten die größte Ära des fränkischen Fußballs werden.


Schwächstes Geister-Team: Kleeblatt-Krise vor dem Derby?


Am Samstag sehen sie sich, auf den Tag genau hundert Jahre nach dem großen Finale, in Nürnberg wieder, es ist nur noch die 2. Bundesliga, besonders gepflegte Spielkultur ist eher nicht zu erwarten, aber immerhin die Ausgangslage ist, auf niedrigem Niveau, ähnlich wie am 13. Juni 1920. Fürth hat Nürnberg ein bisschen abgehängt, dem Club droht der Absturz in die Dritte Liga. Es wäre immerhin eine Premiere: In einer höheren Liga als der 1.FC Nürnberg stand das Fürther Kleeblatt noch nie.

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