Rückenschmerzen und Corona: Krise strapaziert das Kreuz

26.3.2021, 13:45 Uhr
Rückenschmerzen und Corona: Krise strapaziert das Kreuz

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Herr Dr. Kraus, wann hatten Sie zuletzt Rückenschmerzen?

Das kommt schon gelegentlich mal vor, zum Beispiel nach ungewohnten Belastungen beim Sport. Außerdem hatte ich vor einigen Jahren einen schweren Skiunfall, das spüre ich auch hin und wieder.

Wie oft kommen Patienten mit Rückenschmerzen zu Ihnen in die Praxis?

Täglich mehrfach, das ist so etwa die Hälfte unseres orthopädischen Klientels.


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Um welche Schmerzen geht es da genau?

Der weit überwiegende Anteil ist in der unteren Lendenwirbelsäule angesiedelt, im Übergang zum Kreuzbein. Oft strahlt das bis in die Pobacken aus. So etwa 30 Prozent haben im Hals-, Nacken- und Schulterbereich Schmerzen. Die restlichen Patienten haben andere Beschwerden, zum Beispiel am Übergang von der Brust- zur Lendenwirbelsäule.

Büroarbeiter besonders gefährdet

Was sind die häufigsten Ursachen für Rückenschmerzen?

Meistens liegt die Ursache in der verkümmerten Muskulatur und verkürzten Sehnen und Gelenkkapseln. Auch das Körpergewicht und die Haltung spielen eine wichtige Rolle. Und es gibt Leute, die sehr viel Muskeltraining für den Rücken machen, aber den Bauch vergessen. Da kommt es dann zu Dysbalancen mit schmerzhaften Muskelkrämpfen. Die verkrampfte Muskulatur verstärkt die Schmerzen noch.

80 bis 90 Prozent der Rückenpatienten arbeiten zudem im Büro. Da ist die Ursache für Schmerzen definitiv die mangelhafte oder verkümmerte Muskulatur. Einen Maurer oder einen Zimmermann mit Rückenschmerzen sieht man einmal im Jahr. Das ist wirklich frappierend.

Welche Altersgruppe trifft es meistens?

Die meisten Patienten sind zwischen 40 und 70 Jahren alt. Es gibt aber auch Jugendliche, die mit Rückenschmerzen kommen.

Wie wirkt sich der Lockdown und die damit oft einhergehende Bewegungsarmut aus?

Von der Krankenkassen gibt es inzwischen ja sehr sinnvolle Präventionsprogramme, oder auch Kurse in Pilates, Yoga, Nordic Walking. Natürlich spielt auch der Reha-Sport in dem Zusammenhang eine große Rolle. Solche Angebote sind gerade für Patienten, die sonst keinen Sport machen, sehr wichtig und motivierend. Das ist weitgehend weggebrochen, das ist alles tot. Darunter leiden viele Patienten schon sehr.

Verschlechterung im Lockdown

Können sich dadurch bestehende Krankheitsbilder verschlechtern?

Ja, die können sich sogar relativ stark verschlimmern. Diese Sportangebote waren für viele Patienten wichtig und sie haben mit gutem Erfolg daran teilgenommen. Die merken jetzt eine starke Verschlimmerung der Beschwerden.

Dazu kommt auch der psychische Druck durch Corona. Das können familiäre Probleme oder auch die Angst vor Ansteckung sein. So etwas wirkt sich auch stark auf den Rückenschmerz aus.

Sehr sportliche Menschen, die sich bis ins hohe Alter fit halten, kommen natürlich ganz gut durch die Krise. Andererseits gibt es aber auch Patienten, die mit 50 das erste Mal Muskelkater durch Sport haben. Die brauchen Anleitung und Hilfestellung, die schaffen es nicht, alleine Übungen zu machen.


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Wie eng ist denn die Verbindung zwischen Psyche und Rücken? Erleben Sie oft Patienten, deren Schmerzen psychischer Natur sind?

Man kann das nicht so ganz sauber trennen. Das geht Hand in Hand. Meistens ist es schon so, dass es für den ursprünglichen Schmerz eine organische Ursache gibt. Es gibt aber auch Patienten, die kommen mit starken Schmerzen und man sieht im Kernspin gar nichts. Andere haben kaum Beschwerden, aber man wundert sich, wie schlimm der Rücken aussieht.

In der Schmerzverarbeitung kommt dann eben auch die psychische Komponente ins Spiel und wie man mit sich und seinem Körper umgeht. Das ist ein komplexes Zusammenspiel, das durch Stressfaktoren, Schmerzerlebnisse in der Vergangenheit und familiäre Faktoren beeinflusst wird.

"Nordic Walking ist ideal"

Heißt das, je mehr Stress, Druck und Anspannung ich spüre, desto größer ist mein Rückenschmerz?

An sich schon, ja. Es gibt Menschen, die können mit Stress und psychischen Herausforderungen gut umgehen und bekommen davon keine Rückenschmerzen. Wer aber eine gewisse Veranlagung dafür hat, verarbeitet seinen psychischen Druck auch viel über den Rücken. Ein Beispiel dafür sind Patienten, die nachts mit den Zähnen knirschen. Das ist eine reine Stressreaktion. Der Kaumuskel ist einer der kräftigsten Muskeln, die es im Körper so gibt. Wenn jemand nachts knirscht, überträgt sich das eins zu eins auf die Halswirbelsäule, weil es auch muskuläre Verbindungen zwischen Kaumuskel und Halswirbelsäule gibt. Dieses Knirschen hat eine starke psychische Komponente. Neben einer Aufbissschiene hilft da auch Sport als psychischer Ausgleich.

Sport ist ja sicher auch allgemein eine gute Präventionsmöglichkeit?

Ja, aber das ist immer individuell. Patienten, die einer sportliche Vergangenheit haben, wird man andere Dinge empfehlen als Patienten, die seit 20 Jahren nur am Schreibtisch sitzen. Sinnvolle Ansätze bieten die Präventionsprogramme der Krankenkassen, der Reha-Sport oder Yoga und Pilates.

Grundsätzlich ist alles gut, was ohne Stoß-, Druck- und Drehbelastungen funktioniert. Nordic Walking ist ein idealer Gesundheitssport. Übungen am Crosstrainer, Rudergerät oder Kurse in Fitnessstudios bieten auch vieles für den Rücken. Die Kräftigung und Dehnung der Rumpf- und Rückenmuskulatur ist zur Prävention wichtig. Durch Corona gibt es da inzwischen auch tolle digitale Angebote.

"Viele wollen sofort ins Kernspin"

Wenn es zu Schmerzen kommt, greifen viele Patienten zu Medikamenten wie Ibuprofen – ist das sinnvoll?

Gerade ab einem gewissen Alter hat ja jeder mal einen Hexenschuss oder gewöhnliche Rückenschmerzen. Da kann man schon mal ein paar Tage Ibuprofen nehmen. Wenn die Schmerzen dann aber nicht verschwinden oder sogar schlimmer werden, sollte man zum Arzt. Man sollte nicht vergessen, dass es auch Krankheitsbilder, wie etwa einen Bandscheibenvorfall, gibt bei denen Lähmungserscheinungen auftreten können.

Wenn man zum Beispiel feststellt, dass man die Zehen nicht mehr richtig hochziehen kann oder die Kraft in den Armen oder Beinen vermindert ist, dann ist das ein orthopädischer Notfall. Da gibt es oft nur ein begrenztes Zeitfenster zur Behandlung bevor Nerven zerstört werden.

Wie problematisch sind die Nebenwirkungen frei verkäuflicher Schmerzmittel?

Wenn man keine Vorgeschichte mit Erkrankungen der Magenschleimhaut hat, kann man schon eine Woche lang drei Ibu 600 am Tag nehmen. Sollte man Oberbauchschmerzen bekommen, muss man die Medikation absetzen. Auf jeden Fall vermeiden muss man die chronische Einnahme von Schmerzmitteln. Wenn man mehrere Wochen oder gar Monate durchgängig Schmerzmittel nimmt, kommen auch andere Risiken wie Nierenerkrankungen oder Bluthochdruck dazu.

Welche Fehlinformation zum Thema Rücken begegnet Ihnen besonders oft?

Viele Patienten mit Rückenschmerzen wollen sofort ins Kernspin. Die wollen sich erst gar nicht untersuchen lassen. Da ist es manchmal schwer zu erklären, dass das Kernspin letztlich nur Bilder macht – davon wird noch kein Schmerz besser. Kollegen auf der Arbeit erzählen den Patienten manchmal, dass man bei Rückenschmerzen unbedingt ins Kernspin muss, weil es ja ein Bandscheibenvorfall sein könnte. Ich erkläre dann, dass man therapeutisch trotzdem zunächst nichts anderes machen würde als Wärme-, und Strombehandlung, Gymnastik und Schmerzmittel.

Orthopäde Dr. Steffen Kraus.

Orthopäde Dr. Steffen Kraus. © Foto: Foto Eisele Schwabach

Zur Person: Dr. Steffen Kraus, Jahrgang 1968, ist Arzt im Zentrum für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin in Gunzenhausen und Schwabach. Zuvor arbeitete er in den Kliniken Landshut, Regensburg und Gunzenhausen. Von 2010 bis 2012 war er Oberarzt am Klinikum Ingolstadt und betreute auch die Profifußballer des FC Ingolstadt.

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