"Scheißspiel": Ein planloser Club erschreckt sich selbst

6.2.2019, 17:44 Uhr
Schwache Leistung in Hamburg: Die Mannschaft entschuldigt sich bei den mitgereisten Fans.

© Fotos: Sportfoto Zink Schwache Leistung in Hamburg: Die Mannschaft entschuldigt sich bei den mitgereisten Fans.

Aufsichtsratschef Thomas Grethlein stapfte mit grimmigem Blick grußlos in die Kabine, Sportvorstand Andreas Bornemann huschte gesenkten Hauptes und ebenso wortlos an den um Auskunft bittenden Journalisten vorbei, Trainer Michael Köllner suchte kleinlaut wie noch nie nach Erklärungsansätzen - das Pokal-Aus beim Hamburger SV, oder besser: die erbärmliche Art und Weise, wie dieses 0:1 (0:0) zustande gekommen war, schien den 1. FC Nürnberg am Dienstagabend in einen kollektiven Schockzustand versetzt zu haben.

"Es ärgert mich maßlos, dass wir so eine große Chance liegengelassen haben, in die nächste Runde einzuziehen", gestand Köllner nach einem "Scheißspiel", das den zarten Aufwärtstrend der letzten beiden Wochen brutal konterkariert hatte. War das 1:1 gegen Werder Bremen allgemein als zarter Hoffnungsschimmer in düsteren Zeiten interpretiert worden, hatte der Club in Hamburg gefühlt endgültig das Licht ausgeknipst.

Die Bilanz von rekordverdächtigen 1:20 Torschüssen und 0:6 Ecken lässt ungefähr erahnen, wie sich Nürnbergs Offensivbemühungen gegen den alles andere als brillanten Zweitliga-Spitzenreiter gestalteten. Hätte ein unter anderem ohne seinen verletzten Top-Torjäger Pierre-Michel Lasogga angetretener HSV seine Dominanz nur ein bisschen zielstrebiger ausgespielt, dem klassenhöheren Gast hätte im Volksparkstadion nicht weniger als ein Debakel gedroht. Letztlich sollte Hamburg nach kollektiver Konfusion im Nürnberger Strafraum ein Treffer von Berkay Özcan, übrigens einer dieser ja so schwer zu findenden Winterneuzugänge, genügen, um ungefährdet in die nächste Runde einzuziehen und sozusagen im Spazierengehen zwei Millionen Euro zu kassieren.

"Ich kann mir auch nicht erklären, was heute hier passiert ist. Wir können uns bei den mitgereisten Fans für diese Leistung nur entschuldigen. Das haben sie nicht verdient", flüsterte Hanno Behrens mit Blick auf die fast 4000 Anhänger, die an einem Wochentag den knapp 600 Kilometer langen Trip in den hohen Norden auf sich genommen hatten. Nicht nur der Kapitän wirkte bei der Analyse der "wohl schlechtesten Saisonleistung" reichlich ratlos: "Ich weiß nicht, ob einige vielleicht vom Kopf her nicht bereit waren oder nicht wussten, was hier auf uns zukommt." Diesen Eindruck musste man in der Tat gewinnen.

Allenfalls der souveräne Ewerton sowie mit Abstrichen Innenverteidigerkollege Lukas Mühl und Torhüter Christian Mathenia hatten so etwas wie Bundesliga-Tauglichkeit angedeutet. Rechtsverteidiger Kevin Goden, 19 Jahre jung, war gegen den flinken Bakery Jatta, 20 Jahre jung, komplett überfordert, auf der anderen Abwehrseite stand Enrico Valentini frühzeitig am Rande eines Platzverweises. Der für ihn eingewechselte Eduard Löwen vermittelte eher den Eindruck, als habe er so gar keinen Bock auf den Job als Aushilfslinksverteidiger. Sebastian Kerk und Federico Palacios waren praktisch nicht existent, der gegen Bremen noch so hochgelobte Brasilianer Matheus Pereira schien diesmal wieder seinen Zwillingsbruder aus dem Freibad geschickt zu haben.

Ondrej Petrak blieb einmal mehr nur ein braver Mitläufer, der arme Behrens hatte vor allem damit zu tun, seine irrlichternden Kollegen irgendwie in Position zu dirigieren. Und vorne haderte ein abgemeldeter Mikael Ishak bevorzugt mit sich selbst und der Welt. Es war, gelinde gesagt, ein fußballerischer Offenbarungseid, der bundesweit nur noch Hohn und Spott erntete. "Was machen die Nürnberger eigentlich beruflich?", ätzte etwa der frühere Sky-Reporter Rolf Fuhrmann auf Twitter.

Köllner versuchte durch ständige Rochaden und taktische Systemanpassungen verzweifelt gegenzusteuern, erzeugte damit auf dem Rasen aber nur noch mehr Chaos. Irgendwann schien überhaupt niemand mehr zu wissen, wohin er eigentlich laufen sollte. Selten hatte man eine Nürnberger Elf so hilf-, harm- und planlos erlebt. Hätte man als Trainer vielleicht irgendetwas anders machen können, wurde Köllner später gefragt. Natürlich nicht. "Am Ende hat es viel damit zu tun, ob jeder auf seiner Position seine Aufgaben erfüllt", konstatierte der 49-Jährige lapidar – und meinte damit ausschließlich seine Spieler. Einige würden sich nach dieser Partie "bestimmt ihre Gedanken machen", grummelte Köllner.

Kein Feuer, kein Kampfgeist

Gedanken machen muss man sich aber auch darüber, warum sich die Mannschaft diesmal erst in einer leicht panikartigen Schlussphase gegen die drohende Niederlage stemmte. Kein Feuer, kein Kampfgeist, kein Aufbäumen – als wäre dieser DFB-Pokal irgendein lästiges Einladungsturnier in der Sommervorbereitung, als hätte es 2007 in Nürnberg nie gegeben. "In den letzten Wochen haben wir immer von den Emotionen und der Leidenschaft gesprochen, die wir auf den Platz bringen müssen, um in den Spielen bestehen zu können. Aber heute haben wir vieles vermissen lassen", klagte ein sichtlich angefressener Mathenia und forderte gerade im Hinblick auf das richtungsweisende Kellerduell in Hannover, "schleunigst Tacheles zu reden. Wenn wir uns so am Samstag präsentieren, gibt es ein böses Erwachen."

Man benötigt allerdings schon viel Fantasie, um dem Tabellenvorletzten in diesem Zustand einen im Prinzip ja lebensnotwendigen Sieg beim Schlusslicht zuzutrauen. Endet auch die Dienstreise nach Niedersachsen in einem Fiasko, dürfte die Stimmung im Umfeld endgültig kippen – und ein trotziges Wegducken der Entscheidungsträger dann kaum mehr funktionieren.

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