Fußball-EM

Schleier über Schland: Heute Frankreich - DFB-Auftakt bei EM

15.6.2021, 11:54 Uhr
Im Fokus, so gut es eben geht: Vielleicht wird es noch ein wenig dauern, bis jeder Nationalspieler seinen Platz gefunden hat.

© Federico Gambarini, dpa Im Fokus, so gut es eben geht: Vielleicht wird es noch ein wenig dauern, bis jeder Nationalspieler seinen Platz gefunden hat.

Kaum hatte sich die deutsche Nationalmannschaft am Montagvormittag in zwei türkisfarbenen Bussen voller Vorfreude auf den Weg nach München gemacht, um dort den familiären Herzogenauracher Home Ground mit dem noblen Teamhotel am Tucherpark zu tauschen, folgte aus dem hohen Norden der erste Stimmungsdämpfer. Die Elefantendame Yashoda, einer jener tierischen Orakel-Epigonen des bei der WM 2010 ein bisschen berühmt gewordenen Kraken Paul, hatte es doch glatt gewagt, im Hamburger Tierpark Hagenbeck die französische Flagge aus dem Korb zu rüsseln. Was dem offenbar schlecht integrierten Indien-Import prompt Pfiffe und Buh-Rufe der Besucher einbrachte.

Mit ihrer Wahl dürfte Yashoda allerdings im Trend liegen. Bei den Wettanbietern werden die Franzosen vor dem Spiel am Dienstagabend (21 Uhr/ZDF und MagentaTV) als Favorit gehandelt, wenn auch nur mit knapp besseren Quoten. Und auch bei den deutschen Fans ist die Erwartungshaltung vor dem Start ins erste paneuropäische Mammut-Turnier zunächst einmal: bescheiden. Zu präsent sind noch die herben Enttäuschungen der vergangenen Jahre. Angefangen von der historischen Schmach bei der WM 2018 in Russland, als ein überheblich wirkender Weltmeister schon in der Vorrunde spektakulär havarierte, über den Abstieg in der Nations League bis hin zu desaströsen Länderspielauftritten gegen Spanien (0:6) oder die Fußballgroßmacht Nordmazedonien (1:2).


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Die Skepsis liegt wie ein diffuser Schleier über "Schland", viele wären wohl schon froh, wenn es in der "Todesgruppe F" mit Weltmeister Frankreich, Titelverteidiger Portugal und den unbequemen Ungarn zu einem jener vier besten dritten Plätze reichen würde, die den Einzug ins Achtelfinale garantieren. Und dann? Dass der DFB im Falle des Titelgewinns eine Rekordprämie in Höhe von 400 000 Euro pro Spieler ausgelobt hat, wurde im traditionell missgünstigen Deutschland eher amüsiert zur Kenntnis genommen – zu utopisch erscheint die Vorstellung eines vierten EM-Triumphs nach 1972, 1980 und 1996.

Turniermannschaft gesucht

Aber vielleicht kann genau in dieser neuen Bescheidenheit auch eine Chance liegen. Vielleicht erhält die über Jahrzehnte trotzig gehütete These der Deutschen als so genannte Turniermannschaft ja ein Update. Und vielleicht findet ein zusehends entmystifizierter Joachim Löw bei seinem "letzten Tanz" zurück zu jener Strahlkraft, Motivationskunst und taktischen Raffinesse, die ihn viele Jahre seiner Amtszeit als Rekord-Bundestrainer ausgezeichnet haben.

Von der latenten Arroganz, die Löw vor der WM in Russland fast schon demonstrativ zur Schau getragen hatte, ist drei Jahre später nichts mehr zu spüren. Auch die Verbitterung über die Zweifel an seinen Fähigkeiten scheint einer finalen Aufbruchstimmung gewichen. Löw wirkt vor seinem achten und letzten Turnier wieder extrem fokussiert, akribisch, ehrgeizig und kämpferisch, und er verspricht, "dass wir mit Stolz das Trikot tragen und alles raushauen, was wir brauchen".


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Auch intern soll die schwarz-rot-goldene Chemie wieder stimmen. Wie Kapitän Manuel Neuer betont, wolle die Mannschaft "die Ära krönen" und Löw einen "goldenen Abschied" schenken. "Eine viel bessere Atmosphäre als 2018" verspürt auch Rückkehrer Mats Hummels, er habe "viel mehr das Gefühl, dass alle an einem Strang ziehen". Was wiederum auch mit Hummels selbst zu tun haben könnte. Der Dortmunder soll als zentrales Glied der Abwehrkette, flankiert von Matthias Ginter und Antonio Rüdiger, gemeinsam mit Torwart-Ikone Neuer, den erfahrenen Mittelfeldstrategen Toni Kroos und Ilkay Gündogan sowie dem nach über zweijähriger Verbannung ebenfalls reaktivierten bajuwarischen Lausbubenstürmer Thomas Müller eine verlässliche Achse bilden, an der sich Jüngere wie Joshua Kimmich, Serge Gnabry, Robin Gosens und Kai Havertz orientieren können.

Dass gleich zu Beginn der ultimative Stresstest wartet, das wissen nicht nur Elefanten. Vor dem Kräftemessen mit der Équipe Tricolore um die Top-Stars Kylian Mbappé, Antoine Griezmann und N’Golo Kanté ahnt Löw, was seiner Elf vor 14.000 Zuschauern in Fröttmaning bevorsteht: "Wir müssen leidensfähig sein." Und das zumindest ist eine Tugend, die Deutschlands Fußballer und Fans in den letzten Jahren einigermaßen verinnerlicht haben dürften.

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