Sehr gute Verlierer: Beim FCN ist Feuer unterm Dach

19.5.2020, 05:55 Uhr
Nicht mehr zum Anschauen: Club-Trainer Jens Keller haderte hinterher vor allem mit den vielen vergebenen Torchancen.

© Axel Heimken, dpa Nicht mehr zum Anschauen: Club-Trainer Jens Keller haderte hinterher vor allem mit den vielen vergebenen Torchancen.

Aus der Ferne hätte man meinen können, dass Christian Mathenia unsichtbar sein wollte. Einfach weg. Rote Jacke, rote Hose, rote Stutzen und rote Schuhe auf den roten Stufen des leeren Gegengeraden-Blocks C2; den vom Platz verwiesenen Torwart des 1. FC Nürnberg erkannte man in den letzten 20 Minuten im Millerntorstadion eigentlich nur noch an seiner kräftigen Statur.

Nach seinem erneuten Missgeschick saß er da wie ein Häuflein Elend und ganz allein. Auf Schalke blieb er Ende November 2018 mal zwischen zwei Rollrasenstücken hängen und zog sich eine schwere Kapsel- und Sehnenverletzung im rechten Knie zu, Anfang Oktober 2019, im Hinspiel gegen St. Pauli, zertrümmerte ihm der Kollege Boris Tashchy bei einer unglücklichen Karambolage die Kniescheibe. Zwischendurch einige gute und einige weniger gute Spiele – und auch einige Diskussionen um die Nummer eins.

Es wird einfach nicht ruhig um diesen ohne Zweifel talentierten Torwart, was man auch dem ganzen Club nachsagt. Auch um den 1. FC Nürnberg wird es nicht ruhig, selbst nach neunwöchiger Wettkampfpause und nur einem verlorenen Geisterspiel ist schon wieder ordentlich Feuer unterm Dach.


"Müssen in Führung gehen": FCN-Kapitän Behrens ärgert sich


Das Potenzial sei vorhanden, heißt es, beim Torwart, beim Rest. Trotzdem droht binnen 14 Monaten der zweite Abstieg, sogar mehr denn je; das Szenario vom freien Fall in Liga drei ist nach der 0:1-Niederlage in Hamburg wieder etwas wahrscheinlicher geworden. Acht Partien sind es noch, vier zuhause, vier auswärts. Wobei ohne Zuschauer von einem Heimvorteil nicht die Rede sein kann. Auch der FC St. Pauli wirkte am Sonntagnachmittag in der eigenen Arena zunächst einigermaßen desorientiert, weil überrascht von den nominellen Gästen. Mit teilweise atemberaubenden Ballstafetten rissen die Nürnberger immer wieder Löcher in den gegnerischen Abwehrverbund, freilich ohne auch nur den geringsten Nutzen aus der eigenen Überlegenheit zu ziehen.

Dieser Club ist einfach eklatant ineffizient: viele Möglichkeiten, keine Tore. Ergibt Platz 15 mit nur noch hauchdünnem Vorsprung auf Wehen und Karlsruhe dahinter. "Für das Nervenkostüm nicht optimal" seien Auftritte wie der am Sonntagnachmittag, meinte Jens Keller, "aber Sorgen mache ich mir nicht, ich finde, die ganze Mannschaft hat ein gutes Spiel gemacht – bis zur 55. Minute." Bis Behrens im Mittelfeld den Ball hergab und einen Steilpass später plötzlich Veerman allein vor Mathenia auftauchte.


Negativ-Konstante FCN: Auf den Club ist halt Verlass


Die Szene des Nachmittags wird den Club noch ein paar Tage verfolgen; für seine Notbremse wird Mathenia heute wohl für zwei Spiele gesperrt und müsste somit gegen Aue am Freitagabend und in Regensburg vier Tage später tatenlos zusehen, wie seine Kollegen versuchen, mal wieder zu gewinnen. Es wird nicht einfacher nach den Resultaten vom Wochenende und in einer Zweiten Liga, die sich mittlerweile einen Spaß daraus zu machen scheint, den ach so starken und ach so prominent besetzten 1. FC Nürnberg nach unten durchzureichen.

Wehe, wenn der Gegner zuerst trifft

Dass sie sich hinterher trotzdem auffällig oft loben und auch gelobt werden, selbst wenn es schiefging, ist nicht neu. Erzielt der Club nicht das erste Tor, wird es eng: 15 Mal ist das gelungen in dieser Spielzeit, woraus 26 Zähler resultierten. Und nur zwei, wenn der Gegner 1:0 in Führung ging, was zehn Mal der Fall war. Mit drei Mal Rot und zwei Mal Gelb-Rot mischt der Club zumindest in der Kartentabelle ganz oben mit.

Die mindestens fahrlässigen Regelüberschreitungen von Sörensen in Aue und gegen Darmstadt, von Frey gegen Sandhausen, von Nürnberger ebenfalls gegen Darmstadt und jetzt von Mathenia in St. Pauli kosteten hochgerechnet sechs bis acht Punkte, die demnächst fehlen könnten.

Sie sehen sich häufig besser als es das Ergebnis behauptet und lassen sich von Komplimenten blenden: So sind schon ganz andere Vereine in der nächsttieferen Klasse entschwunden. Spielverläufe wie am Sonntag mit zunächst optischen Vorteilen, aber einer Chancenverwertung zum Grausen hat der Club schon einige hinter sich seit Ende Juli, ohne aber grundsätzliche Zweifel an der eigenen Qualität zu erlauben.

Wohin das alles führen könnte, ahnt man nicht erst seit dem Geisterspiel neben dem Heilig-Geist-Feld in Hamburg-St. Pauli.

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