Selbstversuch: Von der Couch zum Marathon

20.11.2020, 06:03 Uhr
Selbstversuch: Von der Couch zum Marathon

© Foto: Klaus-Dieter Schreiter

Bevor wir uns treffen, will Gerhard Müller wissen, was eigentlich mein Ziel ist. "Öhm", sage ich am Telefon, und nach kurzem Überlegen: "Wissen, wie ich nach langer Pause wieder gut mit dem Laufen anfangen kann." Aber das ist keine Antwort, die Müller zufriedenstellt. Der 75-Jährige aus Möhrendorf hat über 400 Triathlons beendet und ist über 50 Marathons gelaufen. Er ist Triathlon-, Handball- und Fußball-Trainer. "10 000 Meter, Halbmarathon oder Marathon?", hakt er nach.

"Öhm", sage ich wieder. Das mit der langen Pause stimmt nämlich. Vor März habe ich recht viel Sport gemacht, und bin nur ab und zu Laufen gegangen. Aber die Dinge, die ich gerne mache, Kampfsport, Krafttraining oder Surfen, waren lange kaum möglich. Und seit im Sommer meine Tochter geboren wurde, ist mein einziger Sport, nachts im Kreis herumzulaufen und Schlaflieder zu summen.

Ein wahres Märchen?

"10 000 Meter", sage ich also, obwohl mir auch das unrealistisch vorkommt. Aber dann fällt mir ein, dass ich Lokalsportredakteur von Beruf bin. Und Lokalsportredakteure sollen in Geschichten denken. "Oder doch Marathon", schiebe ich hinterher und habe die Überschrift für meinen Artikel schon im Kopf: Von der Couch zum Marathon, wahre Märchen werden immer gerne gelesen.

Als ich Gerhard Müller ein paar Tage später an den idyllischen Möhrendorfer Karpfenweihern treffe, merke ich schnell, wie weit ich von einem Happy End entfernt bin. Nachdem er mit Hilfe des EN-Fotografen eine Videoanalyse gemacht hat, gleitet sein kritischer Blick an mir herunter bis zu meinen geliebten 15 Jahre alten Laufschuhen. "Die Schnürung ist falsch, du rutschst mit der Ferse hoch im Schuh", erklärt er mir.

Gleich trittsicherer dank "Marathon-Schnürung"

Tatsächlich ist mir nie aufgefallen, dass sich oberhalb der Schnürsenkel noch ein unbenutztes Loch befindet. "Wer keine Stabilisation hat, wird auf den letzten Kilometern müde", erklärt er mir die Vorteile der "Marathon-Schnürung". Die zu beschreiben, würde hier zu weit führen – am besten mal googeln. Damit fühle ich mich gleich trittsicherer.

Auch andere Fehler hat Müller gleich erkannt: Die Arme soll ich im 90-Grad-Winkel parallel zum Körper halten, damit die Schultern nicht mitwippen. Sonst werden die zuerst mit Sauerstoff versorgt und nicht die Beine – das kostet Kraft. Außerdem: "Du sitzt mir mit dem Hintern zu weit unten. Du musst dich strecken. Kopf hoch", fordert er.

"Der Bledel läuft wieder"

Immerhin sehe ich so mehr von der malerischen Strecke. "Es gibt Leute, die haben hier beim Laufen im Wald noch nie die Möhrendorfer Kirche gesehen. Weil sie immer runterschauen", witzelt er. Ich schaue also hoch und sehe die wirklich nette Kirche. Was ich nicht sehe: dass ich meine Füße beim Laufen schon wieder leicht kreuze. "Du bremst dich selbst aus", schimpft Müller freundlich.

Die nächsten Kilometer erklärt er mir in Kurzform, was er sonst zwei Tage lang in seinen Seminaren unterrichtet – wie ich am besten trinke ("Gib dem Körper ruhig schon nach drei Kilometern mit einem Schluck das Signal: "Der Bledel läuft wieder."), die Vorteile angepasster Einlegesohlen ("Warum haben der Seeler und der Beckenbauer von Adidas ihre Schuhe zugeschnitten bekommen?") und die Notwendigkeit eines Belastungs-EKGs ("Du weißt nicht, was du alles schon verschleppt hast.").

Mich beruhigt vor allem, was Müller mir am Ende sagt. "Ein Marathon ist immer schädlich für den Körper. Der erste Läufer ist 490 vor Christus nicht umsonst danach tot umgefallen. Es ist das Training dafür, das gesund ist. Weil man da ja höchstens 25 bis 30 Kilometer unterwegs ist." Und tatsächlich habe ich nach drei Stunden in Möhrendorf vor allem auf eines Lust: einfach loslaufen.

Bisher in der Serie "Lokalsport-Redakteure stellen sich vor" erschienen:

Folge 1 : Martin Schano, der an einem Fitness-Bootcamp teilnimmt.

Folge 2 : Dominik Mayer, der die Boxhandschuhe anzieht.

Folge 3: Michael Fischer, der den Tennisschläger schwingt.

Folge 4: Mathias Hochreuther, der am Schießstand ein Auge zudrückt

Folge 5: Kevin Gudd, dem ein Besen-Beschleuniger fehlt

Folge 6: Roland Jainta, der das Schach-Diplom macht

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