Club-Torwarttrainer Scharrer spricht über die vielen Gegentore

16.1.2019, 13:54 Uhr
Club-Torwarttrainer Scharrer spricht über die vielen Gegentore

© Daniel Marr/Zink

Herr Scharrer, wie oft haben Sie in der Hinrunde gedacht: Das kann doch wohl alles nicht wahr sein?

Martin Scharrer: Grundsätzlich haben wir es uns besser vorgestellt, vor allem mit weniger Gegentoren.

Ist die Zahl der Gegentore der zentrale Indikator für Ihre Beurteilung?

Scharrer: Die hat zumindest jeder vor Augen, die kann jeder für sich nachlesen und bewerten. Allerdings ist das Torwartspiel vielschichtiger.

Vor allem Fabian Bredlow, die ehemalige Nummer eins, tat sich schwer – warum?

Scharrer: Es hätte für ihn besser laufen können, das stimmt. Er spielt eine Saison mit Höhen und Tiefen. Gegen Düsseldorf hat er ein überragendes Spiel gemacht, gerade mit der starken Parade gegen Lukebakio, auch gegen Hannover stand die Null. Er sammelt wertvolle Erfahrungen in seiner ersten Bundesliga-Saison. Die Qualität der Abschlüsse ist jetzt eben deutlich höher.

Zum Wechsel gab es letztlich keine Alternative, richtig?

Scharrer: Christian Mathenia hat mit seiner Erfahrung, mit seiner Ruhe Stabilität hineingebracht, das war sehr solide. Er hat gezeigt, dass er ein richtiger Rückhalt sein kann. In den letzten Spielen des Jahres, als wieder Fabi zwischen den Pfosten stand, war dann die ganze Mannschaft ziemlich verunsichert.

Klingt nach komplizierten Monaten, speziell für Sie.

Scharrer: Definitiv, gerade aus psychologischer Sicht. Die Frage ist: Wie geht man selbst damit um? Wie viel Kritik ist angebracht, wie viel Lob? Ich muss den richtigen Bezug zum jeweiligen Torhüter finden, jeder Torhüter ist anders.

Geben Sie uns einen kurzen Einblick in Ihre Philosophie.

Scharrer: Grundsätzlich arbeitet das Torwart-Team einfach überragend zusammen. Egal wer gespielt hat, egal wer hinten dran war, er hat den anderen unterstützt. Das ist schon mal eine sehr gute Basis.

 

Das heißt: Sie müssen da gar nicht extrem eingreifen, nachhelfen?

Scharrer: Ich möchte mich nicht in den Vordergrund stellen. Die Jungs verstehen sich prima, Patric Klandt war den beiden in seiner Rolle auch noch ein starker Rückhalt. Es macht einfach Spaß, mit ihnen zu arbeiten. Beide sind sehr selbstkritisch, wollen immer mehr, meistens muss man sie eher bremsen. Aber das ist typisch für Torhüter.

Trotzdem lief einiges schief.

Scharrer: So viele Gegentore sind nicht schön, das muss man natürlich aufarbeiten. Ich versuche diese stets sachlich zu bewerten. Es gilt schlussendlich, aus den vielleicht weniger angenehmen Momenten zu lernen. Letztlich wissen sie selbst am besten, was gut oder nicht so gut war. Die große Kunst ist, einen Fehler im Spiel schnell abzuhaken. Bereits in der nächsten Aktion muss der Torwart wieder mit voller Konzentration, mit vollem Selbstvertrauen rein.

Was fehlt Fabian Bredlow noch?

Scharrer: Was ihm vor allem fehlt, ist in manchen Situationen die Ruhe. Er will oft zu viel.

Wie äußerst sich seine Unruhe?

Scharrer: Fabian macht es manchmal komplizierter als nötig. Eigentlich eine gute Eigenschaft, weil er immer die bestmögliche Lösung finden möchte. Oft geht es aber nur um die schnellstmögliche.

Sie meinen seine Spieleröffnung?

Scharrer: Es geht darum, Situationen schnell zu erkennen und die eigene Handlung einzuleiten. Zum Beispiel, ob er dem Innenverteidiger den Ball in den Fuß passen oder auf die Tribüne hauen soll.

Was raten Sie ihm?

Scharrer: Manchmal muss man eine einfache Lösung suchen, das muss nicht immer schön sein. Wichtig ist, dass man aus seinen Erfahrungen lernt und sich weiterentwickelt. Was aber sicher ist: Unsere drei Torhüter haben Bundesliga-Niveau.

Haben Sie eine psychologische Ausbildung?

Scharrer: Ja, ein pädagogisches Studium, da ist diese in gewisser Weise ja mit drin.

Müssen Sie die beiden auch mal in den Arm nehmen?

Scharrer: Das wäre etwas übertrieben. Aber man klopft ihnen schon mal auf die Schulter, um ein bisschen Lockerheit reinzukriegen. Sie müssen spüren, dass ich ehrlich mit ihnen umgehe, dass ich ihnen helfen möchte. Ich halte ihnen einen Spiegel vor – um ihnen zu zeigen, was sie besser machen könnten. Es ist aber ein engeres Verhältnis als zum Beispiel das zwischen Cheftrainer und Mannschaft. Ich bin ein Dienstleister für den Cheftrainer und ein Dienstleister für die Torhüter.

Bredlow hat nach dem 0:6 in Leipzig selbst eine Torwart-Diskussion angestoßen – wahrscheinlich einmalig im deutschen Fußball.

Scharrer: Wir haben darüber gesprochen, ich war auch ein bisschen überrascht. Fabian ist einfach ein ehrlicher Kerl. Ich hoffe nicht, dass er noch mal in so eine Situation kommt. Wenn doch, wird er vermutlich anders reagieren.

In der bisherigen Saison war allerdings jeder zweite Schuss auf sein Tor auch drin.

Scharrer: Damit hat er nahezu die gleichen Werte wie Manuel Neuer. So viel zum Thema Statistik. Ich bin kein großer Freund von Statistiken. Mich interessiert vielmehr, wie es zu der Situation kam, jedes Gegentor ist anders. Nur zu sagen, dass jeder zweite Schuss drin war, ist mir da zu einfach. Ich mache ja gerade meinen Torwarttrainerschein, da sind viele Kollegen richtig vernarrt in Statistiken.

Es gibt einen Torwarttrainerschein?

Scharrer: Erst seit kurzem, den erwirbt man beim DFB, die sogenannte Torwarttrainer-A-Lizenz. Fünfmal drei Tage, über das Jahr verteilt. Meines Wissens ist meiner erst der dritte Lehrgang überhaupt.

Glauben Sie, dass der Torwarttrainerschein Ihren Job aufwertet?

Scharrer: Auf jeden Fall. In anderen Ländern gibt es den schon länger.

Auf Druck der Fifa oder der Uefa?

Scharrer: Die Ausbildung wird von der Uefa überwacht. Michael Fuchs, mein Vorgänger als Torwarttrainer beim FCN, ist involviert, um den Torwarttrainerlehrgang aufzubauen und zu betreuen. Schon witzig: Er hat mich bereits in der Club-Jugend betreut.

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