Sportjugend und Corona: "Wie eine Kriegsgeneration"

14.11.2020, 15:20 Uhr
Die Mannschaft als verschworene Gemeinschaft – eine wichtige Erfahrung (nicht nur) für Kinder und Jugendliche.

© Foto: Mathias Hochreuther Die Mannschaft als verschworene Gemeinschaft – eine wichtige Erfahrung (nicht nur) für Kinder und Jugendliche.

Der BLSV spricht im Zuge des Lockdowns von "dramatischen Auswirkungen" auf Kinder und Jugendliche – ist die Lage wirklich so ernst?

Ja, wir sehen die Lage schon ernst. Es kommt, gerade im Kinder- und Jugendbereich, vermehrt zu Austritten aus den Vereinen. Und, noch dramatischer: Die Neueintritte gehen massiv zurück. Beim Nachwuchs sprechen wir im Schnitt von einem Mitgliederschwund von mindestens fünf Prozent. In manchen Bereichen, wie etwa der Fußballjugend, ist dieser noch schlimmer.


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Befürchten Sie eine verlorene Generation?

Es droht das Szenario, dass der Sport und die Freude an der Bewegung als Gesundheitsfaktor wegfällt. Es wird auch sehr schwer, die Kinder und Jugendlichen, die ich jetzt nicht in die Vereine bekomme, in zwei, drei Jahren für den Sport zu begeistern. Ich würde fast sagen, das ist so ähnlich wie bei einer Kriegsgeneration. Da wird es eine Delle geben, was die Sporttreibenden angeht.

"Sport war nie verboten"

Welche Erfahrungen können Sie aus dem ersten Lockdown ziehen?

Der Rückgang an Mitgliedern ist im Kinder- und Jugendbereich stärker als bei den Erwachsenen. Dort stagnieren die Zahlen eher. Die Vereine haben viele digitale Angebote gemacht, zum Beispiel Trainingsvideos oder Online-Trainingsprogramme. Aber bei Kindern und Jugendlichen ist es nicht leicht, das zu initiieren. Einen kleinen Handballspieler zu motivieren, sich zu Hause fit zu halten, ohne seine Mitspieler, das funktioniert nur bedingt.

Die Fallzahlen steigen drastisch – muss man da nicht Verständnis haben für die Maßnahmen der Politik?

Wir haben dieses Verständnis. Im Vergleich zu anderen Ländern sind die Maßnahmen bei uns noch moderat. Sport zu treiben war ja nie verboten. Das begrüßen wir natürlich.

Innenminister Joachim Herrmann spricht von einer "sehr konstruktiven und vertrauensvollen" Zusammenarbeit mit dem BLSV. Haben Sie das auch so empfunden?

Ja, das ist schon auch unser Eindruck. Die Kommunikation ist hier recht eng. Der Stufenplan zur Wiederaufnahme des Amateursports etwa, den wir mitentworfen haben, wurde dann ja sogar etwas schneller umgesetzt als geplant.

Kehrt das Mannschaftstraining bald zurück?

Für den zweiten Lockdown hätten Sie sich aber andere Regelungen gewünscht, besonders was den Jugendbereich angeht?

Wir hätten uns mehr Freiräume gewünscht, zum Beispiel für Bewegungsangebote in der Grundschule oder Kita. Da braucht man Gruppen, zwei Zehnjährige können ihren Sport nicht ohne Anleitung ausüben. Deswegen wären wir froh, die Staatsregierung würde das Training in Gruppen von acht, zehn oder zwölf Personen für Kinder und Jugendliche freigeben. Das könnte man ja altersmäßig begrenzen.

Andere Bundesländer, etwa Mecklenburg-Vorpommern, haben entschieden, das Mannschaftstraining im Nachwuchsbereich zu erlauben. Haben Sie mit der Staatsregierung darüber gesprochen?

Wir haben diesen Vorschlag eingebracht, ob dem aber entsprochen wird, das kann ich noch nicht sagen. Die Staatsregierung will darüber diskutieren. Ich nehme aber positiv auf, dass der Vorschlag nicht sofort abgewiesen wurde.

Vieles wird ja auch auf lokaler Ebene entschieden...

Ja, das ist im Moment ein bisschen unsere Hauptherausforderung. Von den Kommunen hängt viel ab. Es gibt auch welche, die haben ihre Sporthallen überhaupt nicht freigegeben. Die Staatsregierung schafft zwar Rahmenbedingungen, aber wie die ausgenutzt werden können, entscheidet sich vor Ort. Nun hat die Staatsregierung Sport in geschlossenen Räumen aber vollständig untersagt. Wir hoffen, dass das nur vorübergehend ist und Sport alleine oder zu zweit oder speziell für den Nachwuchs in Kleingruppen auch in Hallen bald wieder möglich wird.

"Hoffen, dass regeln aufgeweicht werden"

Sportplätze dürfen für Individualsport ja weiter geöffnet bleiben. Wie bewerten sie das?

Natürlich positiv, da hat man viel aus den Erfahrungen des ersten Lockdowns gelernt. Das betrifft ja auch Schwimmbäder. Und die Nachwuchskader, die in diesem Lockdown auch von Anfang an weiter trainieren dürfen. Man merkt, dass man Sport ermöglichen will.


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Volker Renz, Vorsitzender der Bayerischen Sportjugend.

Volker Renz, Vorsitzender der Bayerischen Sportjugend.

Was können die Vereine nun machen, damit der Nachwuchs nicht wegläuft?

Die Vereine sind sehr kreativ, gerade was digitale Angebote angeht. Zum Beispiel Trainingsaufgaben für die Mannschaften oder Online-Trainingseinheiten. Aber die Rahmenbedingungen für so etwas wie ein geregeltes Training sind sehr schwierig. Darum hoffen alle, dass die Regeln für Sport unter Kinder und Jugendlichen etwas aufgeweicht werden.

Zur Person: Volker Renz, 51 Jahre alt, ist seit fünf Jahren Vorsitzender der Bayerischer Sportjugend (BSJ) und Präsidiumsmitglied im Bayerischen Landes-Sportverband (BLSV). Seine Wurzeln liegen ursprünglich im Turnen, über eine Verbandstätigkeit dort kam er letztlich zur BSJ. Renz ist Chemiker und hat in theoretischer Physik promoviert.

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