"The Last Dance": Sehen Fans Michael Jordan nun mit anderen Augen?

20.4.2020, 14:35 Uhr
In der Zwangspause durch die Corona-Pandemie veröffentlicht ESPN eine Dokumentation über Michael Jordan und die Chicago Bulls.

© John Swart / dpa In der Zwangspause durch die Corona-Pandemie veröffentlicht ESPN eine Dokumentation über Michael Jordan und die Chicago Bulls.

Seit diesem Sonntag hat ESPN  "The Last Dance" im Angebot. Urspünglich hatte der US-amerikanische Sportsender die Veröffentlichung der zehnteiligen Dokumentation über den letzten Tanz der legendären Chicago Bulls für den Juni geplant, wenn die National Basketball Association auch für 2020 ihren Meister gefunden hat. Wenn das Publikum nach großem Sport auf großen Bildschirmen giert. Großen Live-Sport aber gibt es seit Mitte März auch in den USA nicht mehr zu sehen. Und während in der NBA darüber diskutiert wird, die Saison im Juni vielleicht doch noch zu beenden – in leeren Arenen, hat ESPN beschlossen, dass es einen besseren Zeitpunkt nicht geben kann, um diese Doku-Serie zu veröffentlichen.

Der Beste – aller Zeiten

Ein Filmteam hatte angefragt, ob es die Chicago Bulls durch die Saison 97/98 begleiten dürfe. Und die Bulls sagten zu, ließen die Kamera in die Kabine, wohl weil sie wussten, dass es ihre letzte gemeinsame Reise werden sollte. Von 1991 bis 1993 hatten sie die NBA bereits dominiert, dann irrte Jordan, er müsse der Welt beweisen, dass er auch als Baseballspieler alles gewinnen könne. 1996 kehrte er zurück und die Bulls, mittlerweile um den damals noch exzentrischen, heute vollkommen durchgeknallten Dennis Rodman verstärkt, gewannen wieder – alles.

Im US-Profigeschäft aber enden Ären nicht mit großen Niederlagen, sondern mit einer Entscheidung der Unternehmensleitung. Phil Jackson, Erfolgstrainer und Zen-Meister, musste nach der Saison gehen. Und mit ihm ging Jordan, weshalb es nicht nur gegen die Phoenix Suns, die Seattle Supersonics oder die Indiana Pacers ging, sondern auch gegen Jerry Krause, den Präsidenten der Bulls. Es war also die perfekte Saison, um den unerreichten Siegeshunger der Bulls zu dokumentieren, vor allem aber die Wut, den Ehrgeiz und die Besessenheit Michael Jordans.


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"Ihr werdet denken, dass ich ein schrecklicher Typ bin", hat Jordan dem Sportportal The Athletic gesagt. "Wenn die Leute diese Ausschnitte sehen, bin ich mir nicht sicher, ob sie verstehen, warum ich so intensiv war, warum ich die Dinge sagte und tat, die ich gesagt und getan habe." Nur mag das vor allem für Basketballfans gelten, die nicht mehr das Glück hatten, Jordan live spielen zu sehen, die nicht wissen, dass der Mann, der ihren Sneakers einen Namen gegeben hat, schon immer auch für seine krankhafte Spielsucht bekannt war oder für eine Chuzpe, die man je nach Sympathie gerne auch Arroganz nennen darf.

Dominique Wilkins, in den 80er Jahren der große Gegenspieler des jungen Jordan, hat ebenfalls The Athletic von seinem ersten Aufeinandertreffen mit dem Anführer der Bulls erzählt: "Ich erinnere mich daran, dass er vor unserem Spiel in Chicago einfach in unsere Kabine spaziert ist. Mich hat er nicht einmal beachtet und ich habe mir nur gedacht, was diesem Typen eigentlich einfällt. Er hat dann Randy Wittman aufs Bein getippt und gesagt, dass er die Schuhe heute mal etwas fester schnüren solle, es werde eine verdammt lange Nacht für ihn. Dann ist er aufs Feld gegangen und hat Randy und uns 60 Punkte eingeschenkt."


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Erste Rezensionen für "The Last Dance" sind hymnisch. In Deutschland sind die ersten beiden einstündigen Episoden ab Montag, 9.01 Uhr, auf Netflix zu sehen. Ab 11 Uhr dürften erste Fans den Menschen Michael Jordan vielleicht tatsächlich mit anderen Augen sehen. Die Frage aber, wer der beste Basketballer aller Zeiten sei, Jordan oder LeBron James, dürfte sich dann bereits erübrigt haben.

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