TV 1860 Gunzenhausen: Auf dem Einrad zum Erfolg

7.3.2020, 10:49 Uhr
Auch so genannte Hochräder kamen bei der Aufführung des "Zauberlehrling" zum Einsatz.

© Mathias Hochreuther Auch so genannte Hochräder kamen bei der Aufführung des "Zauberlehrling" zum Einsatz.

Eigentlich hat Maria Lenk in der Rolle des mächtigen Zauberers eine unmissverständliche Botschaft an ihren Schüler: „Nun, möchte er selbst beschwören die Geister, hat er zunächst zu dienen dem Meister.“ Doch der Lehrling hält sich nicht daran, will sich in Abwesenheit des Zaubermeisters beweisen, dass er selbst schon Manns genug ist, die Geister zu beschwören. Zunächst scheint das zu klappen, der Schüler labt sich an seiner vermeintlichen Macht – bis die Situation außer Kontrolle gerät.

Goethes Ballade „Der Zauberlehrling“, die von Selbstüberschätzung, Autonomiestreben und Macht erzählt, gehört zu den Klassikern deutscher Lyrik. Ein Stoff also, möchte man meinen, mit dem man niemanden mehr überraschen kann. So aber wie der „Zauberlehrling“ am Mittwoch im Rahmen der Sportlerehrung in der Stadthalle Gunzenhausen zur Aufführung kam, hatte ihn aber wohl noch keiner der Gäste gesehen: Rund 30 Einradfahrerinnen bringen Goethes Ballade in einer komplexen Choreografie auf die Bühne. Hand in Hand fahren sie über die Bühne, drehen Pirouetten, zeigen auf ihren Einrädern anspruchsvolle Tricks. Alles perfekt im Einklang mit der eigens geschnittenen Originalmusik des Komponisten Paul Dukas.

"Da saß ich viele Abende dran"

15 Minuten tanzen die Mädchen mit ihren Einrädern über die Bühne. Mitten drin Maria Lenk, die in dem Stück den alten Zaubermeister zwar nur spielt, aber auch im echten Leben die Chefrolle innehat. Die 36-Jährige leitet das Ensemble, das der Einradabteilung des TV 1860 Gunzenhausen entstammt. Die Choreografie hat sie selbst entwickelt. „Zum Leidwesen meines Mannes saß ich während der letzten Sommerferien da viele Abende dran“, erzählt Lenk. Sie ist Musiklehrerin am Simon-Marius-Gymnasium (SMG). Die Kontakte zu den Mädchen mit denen sie heute arbeitet, kamen meist über die Schule zustande.

Seit 25 Jahren ist sie auf dem Einrad aktiv, hat in ganz Bayern ihre Spuren hinterlassen, den Einradsport bei mehreren Vereinen etabliert. Erst in ihrer alten Heimat Gilching, 2011 dann beim TV 1860 in der Altmühlstadt. „In der Schulturnhalle gab es damals eine große Info-Veranstaltung“, erinnert sich Rebecca Salomon. Die 18-Jährige trainiert seit Jahren unter Lenk. Die Disziplin, die Salomon und ihre Mitstreiterinnen ausüben, heißt Einradkür. Ähnlich wie beim Eiskunstlauf präsentieren die Sportlerinnen dabei Tänze und Tricks – möglichst perfekt abgestimmt auf die Musik. Je nach Art der Kür steht man alleine, als Paar oder in einer Gruppe auf der Bühne.

„Eine Jury bewertet Technik und Präsentation“, erklärt Salomon. „Die schauen sich zum Beispiel an, ob die Bewegungen zur Musik passen und ob die Ausstrahlung stimmt. Außerdem werden Ausführung und Schwierigkeitsgrad der Tricks bewertet.“ Viel hat sich getan im Einradsport über die vergangenen Jahre, berichtet die junge Sportlerin. Das technische Niveau sei stark gestiegen. Das bedeutet auch: Wer wirklich gut sein will, muss als Kind anfangen, sonst wird es schwer. Viel Engagement braucht es außerdem – auch von Seiten der Trainerin.

Podestplatz auf der Deutschen Meisterschaft?

„Ich investiere schon sehr viel Zeit meines Privatlebens in den Einradsport“, sagt sie. Lenk entwickelt die Choreografien, schneidet die Musik, übt jede Woche in mehreren Trainingseinheiten mit ihren Schützlingen. Dabei hilft ihr ein gut funktionierendes Eltern-Team. „Die kümmern sich um Schminke, Kostüme und die Frisuren. Das klappt wirklich wahnsinnig gut“, lobt Lenk. Unterstützung bekommt sie auch von ihrer Schule. „Für die Deutsche Meisterschaft brauchen wir alle einen Tag schulfrei – und den gewährt uns das SMG.“ Die sportlichen Erfolge, die sie schon mit ihrem jungen Team gefeiert hat, wären sonst kaum möglich gewesen.

Maria Lenk als Zaubermeister.

Maria Lenk als Zaubermeister. © Mathias Hochreuther

Auf der Bayerischen Meisterschaft im vergangenen Jahr belegte die U15 die ersten beiden Plätze. Auf der Deutschen Meisterschaft schrammte man mit Platz vier nur haarscharf am Podium vorbei. Das Ziel für die nächsten nationalen Titelkämpfe Ende März in Bottrop ist daher klar: Ein Podestplatz soll her! Die Stärke ihres Teams sei vor allem das gute Zusammenspiel von Musik und Tanz, sagt Lenk. „Das kann dann auch mal über technische Schwächen hinweghelfen.“ Für ungeübte Augen allerdings sind technische Unzulänglichkeiten nicht einmal zu erahnen. Die Kunststücke, die Lenks Jugendliche auch in der Stadthalle zeigen, sind vielmehr atemberaubend.

Die Sportlerinnen treten in die Pedale während der Sattel am Boden schleift. Sie nehmen die Füße von den Pedalen und drehen den Reifen mit der Hand weiter oder bewegen sich mitsamt dem Einrand hüpfend über die Bühne. Das geht nur mit viel Training. Ein bis zwei Monate muss man rechnen bis man sich halbwegs sicher auf dem Einrad fortbewegen kann. Dann geht es Stück für Stück an die Tricks – zumindest, falls man sich für die Einradkür entscheidet. Denn es gibt noch viele andere Disziplinen. Fast alles, was denkbar ist, wird auch gemacht: Zum Beispiel Einradsprint, Einradmarathon oder Einradhockey.

Gemeinsam kreativ sein

Für die unterschiedlichen Disziplinen gibt es jeweils passende Einräder. Mit dünnen oder dicken Reifen, große oder kleinere Einräder. Die Küreinräder, die Maria Lenk mit ihrer Gruppe verwendet, sind vollständig aus Aluminium. Knapp fünf Kilo wiegt ein Sportgerät, 400 Euro muss man für Anschaffung rechnen. Fachgeschäfte sind allerdings rar. Genauso wie professionelle Mechaniker. „Das Reparieren eignet man sich deshalb mit der Zeit selbst an“, berichtet Lenk. Die Unzulänglichkeiten, die eine Randsportart mit sich bringt, nimmt sie in Kauf: „Ich finde das Einradfahren toll, aber noch besser ist es, dass man dabei gemeinsam kreativ sein kann.“ Wer das selbst einmal ausprobieren will, ist beim TV 1860 jederzeit willkommen. Allerdings sollte man im Idealfall schon Einrad fahren können.

Auf dem Einrad kann man auch tanzen.

Auf dem Einrad kann man auch tanzen. © Mathias Hochreuther

Maria Lenk ist inzwischen fast mit ihrem Sportgerät verschmolzen. Rebecca Salomon berichtet, sie habe ihre Trainerin schon öfter auf dem Einrad durch Gunzenhausen fahren sehen – mit Kinderwagen. Gut möglich also, dass Lenks Sprösslinge schon bald statt auf ein Fahrrad direkt aufs Einrad steigen. Die Mutter würde sich ganz sicher freuen. Erst muss sie aber noch um das Chaos kümmern, das der größenwahnsinnige Zauberschüler auf der Bühne der Stadthalle angerichtet hat. Kein Problem – schon nach ein paar energischen Worten aus dem Mund des Meisters herrscht wieder Ordnung. Und das Publikum klatscht begeistert.

Verwandte Themen


Keine Kommentare